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Feuerbestattung

TGeschäft mit dem Tod: Wie bleibt ein Krematorium trotzdem würdevoll?

Auf einem Steg fährt der Sarg in den Ofen. CremTec äschert pro Jahr etwa 9000 Verstorbene ein.

Auf einem Steg fährt der Sarg in den Ofen. CremTec äschert pro Jahr etwa 9000 Verstorbene ein. Foto: Derk Machlitt

Thies Heinrich verdient Geld, wenn Menschen sterben. Er arbeitet im Krematorium, seit er 13 ist. Und ist heute einer der Geschäftsführer von CremTec, dem Betreiber der Feuerbestattungen Stade. Wie schafft er es, Balance zwischen Pietät und Umsatz zu halten?

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Von Daniel Berlin
Dienstag, 21.11.2023, 05:50 Uhr

Stade. Was machst du beruflich? „Ich arbeite in einem Krematorium“, sagt Thies Heinrich. Die Leute, erzählt der 34-Jährige, reagieren neugierig. Einige haben ein verfälschtes Bild. Er würde ihnen seinen Arbeitsplatz zeigen, wenn sie mögen. Beim Smalltalk über Berufe ist er der Exot.

Heinrich verdient Geld mit dem Tod. „Wir haben keinen Einfluss darauf, dass der Tod eintritt“, sagt er. Sein Unternehmen hält er für eines, das Einäschern am besten kann. Kunden zu generieren, gehört für ihn zum „sportlichen Ehrgeiz“. Heinrich verdient Geld, wenn Menschen sterben. Er formuliert es anders: „Ich verdiene Geld mit einer Dienstleistung, die die Angehörigen und den Bestatter zufriedenstellt.“

Bestattungskultur hat sich geändert

Die Feuerbestattungen Stade existieren seit 1999. Zunächst als Verein. Das Bestattungsgesetz sah nicht den Betrieb eines privaten Bestattungsbetriebes vor. Seit sechs Jahren ist das Unternehmen eine GmbH und heißt CremTec. Kurz nach seiner Gründung Ende der 1990er haben Experten dem Unternehmen kaum Erfolgschancen nachgesagt, erzählt Heinrich. Eine Autobahnanbindung gab es nicht. Feuerbestattungen machten nur 40 Prozent der Bestattungen aus. Heute hat sich die Bestattungskultur geändert. Rund 80 Prozent der Toten werden eingeäschert.

Thies Heinrich ist einer der Geschäftsführer der CremTec GmbH in Stade.

Thies Heinrich ist einer der Geschäftsführer der CremTec GmbH in Stade. Foto: Privat

Heinrich nennt sozioökonomische Gründe. Die Leute hätten weniger Geld. Das gesetzliche Sterbegeld hatte bis zum Ende der 1990er die Bestattungskosten abgedeckt. Außerdem habe sich das Image eines Krematoriums geändert. „Das ist keine Gruselvorstellung mehr“, sagt Heinrich. Zudem eröffnen sich den Hinterbliebenen mehr Bestattungsmöglichkeiten. Seebestattungen oder Bestattungen im Ruhewald gehen nur mit einer Urne. Die Grabkosten einbezogen seien die Kosten für eine Feuerbestattung geringer. Die Gräber sind kleiner.

Heinrich sieht mit 14 den ersten Leichnam

Heinrich besserte sich mit 13 Jahren sein Taschengeld auf. Er wollte sich Schuhe kaufen. Er putzte im Krematorium mit der Zahnbürste die Anlagen. Heinrich war keine 14 Jahre alt, als er seine erste Leichenschau erlebte. Das habe nachhaltig nichts in ihm zerstört. Er sagt, er sei professionell und habe Distanz zu den Verstorbenen. Bei Kindern stelle er sich die Frage nach dem Warum. Klar könne es biologische Gründe geben. „Aber rein emotional bleibt es unfassbar, unerklärlich“, sagt Heinrich. Nach Hause nehme er solche Gedanken nicht. Vor der Trauer im privaten Bereich schütze das nicht. „Ich bin nicht abgestumpft“, sagt Heinrich.

Sechs Betriebe arbeiten unter der Regie der CremTec. Neben Stade sind das Krematorien in Celle, Hildesheim, Cuxhaven, Schwerin und Quedlinburg. In Stade arbeiten 16 Menschen. Dort sitzt auch die Verwaltung.

9000 Einäscherungen pro Jahr

Das Krematorium in Stade äschert pro Jahr etwa 9000 Verstorbene ein. Seit der Gründung hat sich die Anzahl vervierfacht. In der Bundesrepublik starben 2022 erstmals mehr als eine Million Menschen. Schön findet Heinrich die Aussage nicht, dass Feuerbestattungen ein krisensicheres Geschäft sind. „Aber es ist tatsächlich so“, sagt er. Und wenn er und die Kollegen in Stade weiter ihren Job professionell machen, bleibe das so. CremTec bildet Bürokaufleute, Industriekaufleute und Maschinen- und Anlagenführer aus.

Thies Heinrich redet technisch über die Abläufe im Krematorium. Sachlich. „Wir sind keine Trauerbegleiter. Das ist kein hochemotionaler Job. Wir sind eine ganz normale Firma“, sagt Heinrich. Es sei falsch zu sagen, die Belegschaft trauere mit jedem mit. Das sei nicht ihre Aufgabe. Empathisch sei sie trotzdem. Heinrich spricht den Hinterbliebenen nicht sein Beileid aus. Er sei kein Freund von falschem Pathos. Er trete vielmehr authentisch auf. Als Dienstleister. Tränen fließen nicht auf Knopfdruck. Aber bei allem, was er und seine Kollegen machen, spielen Würde und Pietät eine entscheidende Rolle.

Techniker sehen pro Tag etwa 40 Leichen

Kollegen aus der Technik assistieren dem Rechtsmediziner bei der gesetzlich vorgeschriebenen zweiten Leichenschau. Sie drehen und entkleiden den Leichnam behutsam und vorsichtig. Sie sehen pro Tag um die 40 Leichen. „Das sind entseelte menschliche Körper. Die behandelt man pietätvoll. Aber es gibt keine emotionale Bindung zu den Verstorbenen“, sagt Heinrich. Die Mitarbeiter bedienen die Maschinen mit stilvoller Ruhe.

Wenn die Hinterbliebenen bei der Einäscherung dabei sind, tragen die Mitarbeiter Anzug und erklären die Prozesse verbindlich, empathisch, aber mit professioneller Distanz. Kerzen säumen den Steg, auf dem der Sarg steht. Musik spielt. Auf Handzeichen fährt der Sarg in die Ofenanlage ein. Heinrich hat die Erfahrung gemacht, dass die Hinterbliebenen ob der schnelllebigen Zeit Interesse daran haben, dass nicht allzu viel Zeit verstreicht.

In Deutschland geht die Preisschere bei Einäscherungen auseinander, von 180 bis 800 Euro. Im Osten Deutschlands ist es günstiger, in Süddeutschland teurer, weil die Region wirtschaftlich besser aufgestellt ist. 160 Krematorien gibt es in Deutschland. Etwa die Hälfte liegt in privater Hand, die andere betreiben Städte und Kommunen. In der Nähe von Koblenz steht das größte Krematorium Deutschlands. In acht Öfen werden dort jährlich etwa 40.000 Verstorbene eingeäschert.

Verein organisiert Aus- und Weiterbildung

Die Feuerbestattungen haben einen Verein ins Leben gerufen, der sich auf die Aus- und Weiterbildung des Personals spezialisiert hat. Nicht nur in technischer Hinsicht. Der Verein organisiert Telefontraining. „Wir kommunizieren mit den Bestattern zu 85 Prozent über Telefon“, sagt Heinrich. Es gibt Seminare für Mitarbeiter in Führungspositionen, Branchenspezifisches, Bestattungsrecht, Hygiene, Trauerpsychologie und die Begleitung der Angehörigen im Krematorium. Die Kernkompetenz bei der Begleitung der Angehörigen ergibt sich aus einer Mischung aus Professionalität und Authentizität. „Wichtig ist eine unmissverständliche Ansprache“, sagt Heinrich. Eine nahbare Sprache. Nicht zu technisch, aber treffend. Bestatter bedienen sich einiger Euphemismen. Die Kühlung heißt Klimaraum. Der Sargdeckel heißt Sargoberteil. Knochen werden rein sprachlich nicht in einer Mühle gemahlen, sondern aufbereitet, damit sie in die Aschekapsel passen.

„Die Pietät ergibt sich aus unserer Bestattungskultur“, sagt Heinrich. Pietät ist schriftlich definiert in Bestattungsnormen und in einer Norm für Einäscherungsanlagen. Es gibt einen Leitfaden der Ethik. Der Absicht eines Unternehmers, Gewinne zu erzielen, stehe in der sensiblen Branche nichts entgegen. „Vieles ist gesunder Menschenverstand“, sagt Thies Heinrich.

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