TGesundheitscampus Fredenbeck: Ideen gegen die Hausarzt-Krise

Bei der Podiumsdiskussion: Dr. Stephan Brune, Corinna Lange und Matthias Hartlef stellen sich den Fragen von Moderator Thomas Waldner (von links). Foto: Fehlbus
In den nächsten acht bis zehn Jahren wird ein Großteil der Hausärzte in der Samtgemeinde Fredenbeck in den Ruhestand gehen. Mit dem Gesundheitscampus will die Kommune darauf vorbereitet sein. Wie das gelingen soll, haben Experten diskutiert.
Fredenbeck. 200 Schülerinnen und Schüler und noch einmal so viele ältere Menschen aus der Samtgemeinde Fredenbeck haben die Auftaktveranstaltung für die Zukunft der medizinischen und pflegerischen Versorgung besucht. Gesundheitscampus Fredenbeck ist die Überschrift, unter der auch dank Fördermitteln des Landes binnen dieses Jahres ein Konzept erarbeitet werden soll.
Im ländlichen Raum drohen immer deutlicher Engpässe. Hausarztpraxen können keine neuen Patienten mehr aufnehmen, Facharzttermine liegen oft in weiter Ferne.
Die Auftaktveranstaltung war als Ideensammlung angelegt. An vielen Stelltafeln in der Geestlandschule wurden in Fredenbeck drängende Probleme notiert, aber auch Anregungen. Zum Abschluss gab es eine Podiumsdiskussion.
Überschaubare Resonanz auf Podiumsdiskussion
Aus der Politik war die Landtagsabgeordnete Corinna Lange (SPD) aus Deinste beim abschließenden Gespräch mit Moderator Thomas Waldner dabei. Von der Kassenärztlichen Vereinigung nahm Dr. Stephan Brune als Vorsitzender des Stader Bezirksausschusses der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) teil.
Podiumsdiskussion
T Fredenbecks Gesundheitscampus: Bürger sollen mitreden
Für die Kommune sprach Samtgemeindebürgermeister Matthias Hartlef. Der Rahmen war überschaubar. Am Mittwochnachmittag fanden knapp 40 Zuhörer in die Geestlandschule. Darunter waren viele Ärzte, Apotheker und Vertreter aus dem großen Sektor der Gesundheitsberufe rund um die Pflege.
Impulsgeber finden: Besonderes Modell von unten gedacht
Es soll nur der erste Aufschlag zum Begriff Gesundheitscampus gewesen sein. „Wir wollen auf unserer Ebene Impulsgeber finden“, erläuterte Hartlef die Intention. Ein Prozess solle gestartet werden. Was am Ende stehen wird, ist offen.
Es sei ein besonderes Modell, einmal unten anzufangen, sagte Brune. Das sei ein lobenswerter Ansatz. „Aber es müssen alle die Wahrheit sagen, das fehlt mir immer in der Politik“, sagte Brune mit einem Seitenblick auf Corinna Lange. „Wir haben das vor 15 Jahren schon gesagt, dass wir in einen Ärztemangel hineinlaufen“, ergänzte der KV-Bezirks-Vorsitzende, Kardiologe und Sportmediziner aus Stade. Trotzdem wurden die Zahl der Studienplätze, die Zugangsmöglichkeiten und die Attraktivität des Berufsbilds Landarzt in diesen Jahren nicht verändert.
Es fehlen freie Termine bei Fach- und Hausärzten
Corinna Lange schilderte die Patientenebene: „Ich habe die gleichen Aufregerthemen wie andere auch“, sagte sie und nannte als Beispiel, dass sie zwar von der KV einen Facharzttermin vermittelt bekomme. „Aber wenn ich einen Termin beim Facharzt in Wedel bekomme und dafür über die Elbe fahren muss, bringt mich das nicht weiter.“ Der Umkreissucher gerät durch das Nadelöhr Elbtunnel oft an seine Grenzen.
Einig sind sich alle: Es fehlen Termine beim Haus- und Facharzt, der nächste Kinderarzt ist in Harsefeld, und die älter werdende Gesellschaft braucht mehr Versorgung und ist eingeschränkt mobil.
Da wirkt auch der Lösungsansatz Telemedizin bei den Anwesenden nicht auf Anhieb überzeugend. Es könnte eine Lösung sein, um den Überschuss von Standorten in einigen Bereichen Deutschlands zu nutzen, erklärt Dr. Stephan Brune. In Städten wie München, wo kein Mangel herrsche, könnten Ärzte zum Beispiel solche Aufgaben zusätzlich übernehmen.
Gesünderes Leben und weniger zum Arzt gehen
Stephan Brune regte mehr Aufklärung an den Schulen an. Gesunde Ernährung, mehr bewegen, keine Drogen, Sport. Die einfachste Rechnung: Wer gesünder lebt, braucht weniger Ärzte. Darauf zielen auch einige Vorschläge an den Stelltafeln ab. Ein weiterer Punkt für die Mobilität: Es müsse leichter sein, zum Arzt zu kommen, wenn der weit entfernt seine Praxis hat.
Ganz ohne Mediziner wird das System nie auskommen. Das fließt als Grundlage in alle angedachten Lösungen ein: Medizinische Versorgungszentren mit angestellten Ärzten oder Anreize für junge Ärzte, aufs Land zu gehen, gehören dazu. Allgemein gelten attraktive Praxisräume und gute Infrastruktur, neue Baugebiete, gute Kinderbetreuung und gute Schulen als gute Voraussetzung.
Negative Einschätzungen können Lage dramatisieren
Christine Becker von Salutoconsult, verantwortlich für die fachliche Beratung der Kommune während des Projekts in Fredenbeck, schilderte als Kritikpunkte aus dem Fachpublikum einen Widerstand bei Ärzten, sich auf Rückmeldungen zu Patienten und Behandlungsempfehlungen einzulassen, wenn diese von Physiotherapeuten, Pflegediensten oder Apothekern kämen.
Das wies Brune entschieden zurück: „Wenn Sie damit sagen wollen, dass wir auf so einem hohen Ross sitzen, würde ich das ablehnen“, sagte er. Vielmehr seien heute die meisten Ärzte froh, wenn die Patienten außerhalb der Praxen gut behandelt würden und nicht zusätzlich im Wartezimmer landeten.
Medizinische Versorgung
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Die Lage ist angespannt. Die Grenzen der Ärzte sind erreicht. Wer nicht im Angestelltenverhältnis, sondern als Selbstständiger eine Praxis führt, kennt den Begriff Work-Life-Balance nicht. Brune unterstrich, dass es wichtig sei, die Stimmung nicht umschlagen zu lassen. Die meisten Ärzte arbeiteten über das Normalmaß hinaus. Auch wenn längere Wartezeiten auf Termine dem Einzelnen etwas anderes widerspiegelten.
Interprofessionelle Zusammenarbeit als Entlastung?
Die Ansätze des Fachpublikums gingen in Richtung inter- und multiprofessionelle Zusammenarbeit. Wenn Mitarbeitende der Pflegeberufe, Hebammen, Ärzte in den Praxen und im Krankenhaus, Physiotherapeuten und Ernährungswissenschaftler in den engen Austausch kämen, könnte das die Praxen entlasten. Bei den Beispielen wurde es schwieriger. Am ehesten funktioniert es bei der Palliativmedizin. Diese basiert aber auf engmaschigen Hausbesuchen von Arzt und spezialisierten Pflegekräften. Sie wird gesondert abgerechnet. Der Aufwand erscheint aber für die Normalversorgung zu groß.
Zukunftsräume Niedersachsen: Lösungen dringend benötigt
Die Zahl der Patienten steigt, mehr Ärzte werden in den Ruhestand gehen als nachkommen. Das ist auch in der Samtgemeinde Fredenbeck abzusehen. Von den Ärzten in den selbst geführten Hausarztpraxen werden in den nächsten Jahren die meisten eine Altersgrenze erreichen, zeigte Dr. Sylvia Metz auf. Die praktizierende Hausärztin aus Mulsum hält die Erarbeitung einer zukunftssicheren medizinischen Versorgung in Fredenbeck deshalb für dringend notwendig.
Im nächsten halben Jahr soll der Gesundheitscampus mit Leben gefüllt werden. Die Samtgemeinde Fredenbeck will die Förderung - mit dem Eigenanteil geht es um rund 190.000 Euro im Rahmen des Projekts „Zukunftsräume Niedersachsen“ - nutzen, um Lösungen zu entwickeln.
Öffentlichkeit weiter beteiligen und ergebnisoffen planen
Das Programm richtet sich an niedersächsische Klein- und Mittelstädte sowie Gemeinden und Samtgemeinden in ländlichen Räumen, in denen ein Grund- oder Mittelzentrum festgelegt ist. Diese Zentren übernehmen wichtige Versorgungsfunktionen für ihr Umland.
„Am Ende könnte auch ein Gebäude stehen, es kann alles sein“, sagte Matthias Hartlef, „wir werden unter Beteiligung der breiten Öffentlichkeit weiterplanen.“ Auch Corinna Lange versprach, im Gespräch mit den Akteuren zu bleiben. Zum Thema Bürokratieabbau verwies sie auf den Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Das sei seine Aufgabe. In Niedersachsen ist auch ein Sozialdemokrat Minister für den Bereich: Sozialminister Dr. Andreas Philippi. Dieser mache das sehr gut, so die Landtagsabgeordnete aus Deinste. „Wir sind da nicht immer mit der Ampel in Berlin auf einer Linie.“

Bei der Podiumsdiskussion: Dr. Stephan Brune, Corinna Lange und Matthias Hartlef stellen sich den Fragen von Moderator Thomas Waldner (von links). Foto: Fehlbus

Die Ideen wurden an Stellwänden gesammelt. Foto: Fehlbus

Damit wirbt die Kommune für ihr Projekt. Es wird vom Land Niedersachsen mit 114.000 Euro gefördert. Foto: Samtgemeinde Fredenbeck