TGöhrde-Mörder vor Disco erkannt: Das sagt die Wirtin vom „Goldenen Drachen“

Die Discothek "Goldener Drachen" in Altenwalde von innen. Foto: privat/Eggeling
Eine Frau ist heute überzeugt, dass sie einst nur knapp dem Serienmörder Kurt-Werner Wichmann entkommen ist. Ist er auch für die „Disco-Morde“ verantwortlich? Eine Wirtin erinnert sich.
Altenwalde/Landkreis Cuxhaven. Hörgeräte. Warum funktionieren sie mal gut, mal eher schlecht? Fünf Minuten, zehn, fünfzehn. Die von Ingo Hensel liegen inzwischen auf dem Kaffeetisch. Neben dem leeren Teller, auf dem Uschi Bock sechs Stücke Coppenrath-&-Wiese-Erdbeerkuchen drapiert hatte. Die beiden reden von alten Zeiten im „Goldenen Drachen“ in Altenwalde, werfen sich Namen zu. Reinhard Chedor sitzt daneben. Geduldig. Manchmal lächelnd, wenn die Frage der richtigen Batterie oder eines Pfropfens im Ohr, den nur der Arzt lösen kann, zu detailreich besprochen wird.
Chedor hat früher das Hamburger Landeskriminalamt geleitet und war federführend an der Suche nach Birgit Meier beteiligt, deren Leiche 2017 unter der Garage von Kurt-Werner Wichmann entdeckt wurde.
Heute ist der 71 Jahre alte Chedor längst pensioniert. Er recherchiert weiter und ist schon auf zahlreiche ungeklärte Fälle gestoßen, für die Wichmann als Täter infrage kommen könnte.
Frauen sicher: Es war der Serienmörder Wichmann
Jagd kann eine mühselige Angelegenheit sein. Uschi Bock, heute 84 Jahre alt, hat gemeinsam mit ihrem verstorbenen Mann Jürgen den „Goldenen Drachen“ und später das „Piccalilly“ in Altenwalde betrieben. Nach dem Besuch der Discothek will eine 16-Jährige zusammen mit ihrer ein Jahr älteren Freundin Mitte der 70er Jahre in einen Sportwagen eingestiegen sein, auf dessen Beifahrersitz Kurt-Werner Wichmann gesessen hat. Da sind sich die Frauen sicher. Wichmann hat 1989 mindestens fünf Menschen getötet. Es sollen noch viel mehr sein.

Reinhard Chedor (rechts) und Eckhard Neupert rekapitulieren in Altenwalde Kriminalgeschichte. Foto: Eggeling
Reinhard Chedor versucht beim Kaffeekränzchen in Altenwalde herauszubekommen, wer damals alles kam, wer die Frauen kannte, wer auffällige Männer beobachtet hatte, vielleicht sogar Kurt-Werner Wichmann und den damaligen Fahrer des Wagens. Doch daran gibt es keine Erinnerung. Ingo Hensel hat im Lokal, in dem die beiden Frauen auch Haschisch kaufen wollten, als Kellner gearbeitet.
In Altenwalde gab es sogar zwei Diskotheken
Zwei Discotheken mitten im Ort: Das Lokal „Goldener Drache“ ist das Pendant zum „Altenwalder Hof“ mit echter Rockmusik statt Schlager und Pop. „Junge Menschen wie ich, mit langen Haaren und beseelt von ,Love and Peace‘, hatten dort eine echte Alternative“, erzählt ein Besucher, der noch heute in Altenwalde wohnt. „Ich war Gast von der Eröffnung bis zur Schließung.“
Im „Goldenen Drachen“ sind in den frühen Jahren auch hin und wieder Künstler aufgetreten. Der Altenwalder erinnert sich an Drafi Deutscher, Juliane Werding, Howard Carpendale und andere. „Einige passten nicht unbedingt in das normale Angebot im ,Drachen‘, aber das waren immer große Erfolge. Es gab eine Kooperation mit dem ,Top Ten‘ in der Deichstraße, wo die Stars am gleichen Wochenende engagiert waren.“

Die Discothek „Goldener Drachen“ in Altenwalde, später wurde sie in „Piccalilly“ umbenannt. Foto: privat/Eggeling
„Drache“ wird später in „Piccalilly“ umbenannt
Mit der Umbenennung in „Piccalilly“ bekommt das Lokal mehr Clubcharakter. „Die Zeit der großen Discos in Altenwalde war nach dem Abzug des Militärs vorbei. Die Musik wurde dementsprechend angepasst und bediente mehr das etwas gesetzte Alter und die Gäste aus dem Ort.“ Dennoch, so der 74-jährige Altenwalder, bleiben die Wirtsleute Jürgen und „Uschi“ sich treu und bieten weiterhin keine reine Schlagermusik an. „Slow Rock, NDW und fetziger Rhythmus waren die Markenzeichen bis zum Ende.“
Ex-LKA-Chef Chedor besucht Wirtin und zeigt Bilder von Wichmann
Es ist nicht der erste Besuch von Reinhard Chedor bei Uschi Bock. Die Frau mit den feuerroten Haaren hatte Bilder aus der alten Zeit gezeigt, Namen genannt, als Chedor vier Wochen vorher schon einmal da war. Es gab Telefonate, der ehemalige Spitzenpolizist hat Fotos dagelassen von Wichmann. „Kontakt pflegen und halten“, nennt der frühere Beamte sein Vorgehen. Es führt dazu, immer besser zu verstehen, was von Mitte der 1970er und Mitte der 1980er Jahre rundum Cuxhaven passierte.
Chedor hat Ingo Hensel am Vormittag zu Hause abgeholt, eine Dreiviertelstunde bis Altenwalde. Hensel war damals Soldat, jobbte nebenbei als Kellner und bei einem Gemüsehändler. Er kannte viele, viele kannten ihn. Er kennt die Gegend, das riesige Übungsgelände der Bundeswehr, weiß von Sand- und Kieskuhlen. Sagt er.
Privatermittler will Puzzle zusammenfügen
Hensel ist 78 Jahre alt, und nach 40, 50 Jahren sind Erinnerungen doch nicht mehr so belastbar und frisch, wie gedacht. Doch er zeigt die Gegend, berichtet, wo sich ein Straßenverlauf verändert hat. Das haben sie sich angeschaut, bevor es zu Uschi Bock ging. Der ehemalige Chef des Landeskriminalamtes Hamburg hat sich auch alte Karten besorgt, um die damaligen Wege der Tramperinnen besser nachzuvollziehen. All das gehört zu dem Puzzle, das Chedor Stück für Stück zusammenfügt, um die Vergangenheit besser zu verstehen.