THeimattreue und Politik: Lars Klingbeil wird Vizekanzler und Finanzminister

Aus dem Wahlkreis in die Welt: In seinem Berliner Büro hat Lars Klingbeil Andenken an seine Heimat Munster, aber auch aus aller Welt. Foto: Heitmann/RK
SPD-Politiker Lars Klingbeil macht als Vizekanzler und Finanzminister den nächsten Karrieresprung. Kann er seine Versprechen an die Region und seinen Wahlkreis „Rotenburg I - Heidekreis“ halten?
In Lars Klingbeils Büro im fünften Stock des Willy-Brandt-Hauses in Berlin hängen ein Trikot von Eintracht Munster, dem Fußballverein aus seiner Heimatstadt. Schräg gegenüber hängt eines von Bayern München, dem deutschen Fußball-Rekordmeister. Und auf einem Regal stehen Devotionalien von Klingbeils Besuchen aus aller Welt.
Der SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende versucht den Spagat zwischen Heimatverbundenheit und großer Politik, zwischen Wahlkreis und Bundesregierung. Der soll er künftig angehören, als Vizekanzler und Finanzminister – jetzt ist es offiziell. Das Parteipräsidium hat sich für Klingbeil als Finanzminister und Stellvertreter des wohl künftigen Kanzlers Friedrich Merz (CDU) ausgesprochen. Klingbeil wird somit der erste Minister und Vizekanzler aus dem Wahlkreis „Rotenburg I - Heidekreis“.
Erster Vizekanzler aus dem Wahlkreis „Rotenburg I - Heidekreis“
Mancher war schon vor der Bundestagswahl skeptisch, ob Klingbeil die Ämterhäufung vereinbaren kann. Die CDU säte Zweifel, wie präsent Klingbeil hierzulande als Bundestagsabgeordneter für „Rotenburg I - Heidekreis“ ist. Genutzt hat es den Christdemokraten wenig, Klingbeil erhielt mehr als 40 Prozent der Zweitstimmen, was ihm wiederum bundespolitisch zusätzlichen Auftrieb gegeben haben mag. Da auch Vivian Tauschwitz in den Bundestag einzog, über die CDU-Landesliste, ist der Wahlkreis nun sogar durch zwei Mandatsträger in Berlin vertreten, kein Nachteil für die Region.

Im Bundestagswahlkampf holt Lars Klingbeil den Noch-Kanzler Olaf Scholz in seinen Wahlkampf nach Bad Fallingbostel, am Wahltag trennen sich ihre Wege. Foto: Heitmann Foto: Heitmann
Tauschwitz will sich nun auch nicht über Klingbeils Karriere und deren Auswirkungen auf seine Abgeordnetenarbeit äußern. Zumal ihre beiden Parteien ja in einer Koalition zusammenarbeiten wollen. Dagegen kritisierte der Junge-Union-Kreisvorsitzende Aaron Kruse den Bundespolitiker Klingbeil dafür, nach der Bundestagswahl anderen die Schuld für die Stimmenverluste gegeben zu haben. Da ist er sich sogar mit der Nachwuchsorganisation der SPD, den Jusos, einig.
Klingbeil kennt natürlich das Misstrauen, auch an der eigenen Basis, und tut viel dafür, es zu zerstreuen. Auf seiner Website ist für jede Stadt, sogar jedes größere Dorf in seinem Wahlkreis aufgeführt, „was ich mit Ihnen erreicht habe“. Vorwiegend sind das Förderprogramme und Zuschüsse. Viele Millionen, mit denen vor Ort Schulen, kulturelle Projekte, Radwege und schnelles Internet unterstützt wurden.
Parteigenossen glauben an Klingbeils Heimatverbundenheit
Gleichzeitig hat er sich selbst dafür ausgesprochen, dass Kommunen eigentlich mit genug Geld ausgestattet werden müssten, um selbst finanzielle Gestaltungsmöglichkeiten zu haben. Der Koalitionsvertrag nährt diese Hoffnung. Ob ein Heidjer im Finanzministerium mehr Geld in den Wahlkreis bringt, ist fraglich.
Klingbeils Parteigenossen im Unterbezirk Rotenburg glauben an seine Heimatverbundenheit. Auf Nachfrage der Mediengruppe Kreiszeitung betonen die beiden Vorsitzenden Ina Helwig und Sebastian Brandt: „Wenn er ein Amt annimmt, dann setzt er es auch zu 100 Prozent gut und engagiert um. Und darum haben wir überhaupt keine Bedenken, dass er unsere Region und seine Heimat vernachlässigen wird.“
Als Finanzminister ein Bonus für die Region
Als Finanzminister sei Klingbeil ein echter Bonus für die Region. Seine Beteiligung an den Koalitionsverhandlungen habe laut der Unterbezirks-Vorsitzenden „maßgeblich dazu beigetragen, dass auch der ländliche Raum stark von den Beschlüssen profitieren wird“.
Digitalisierung, Bildung und auch Verteidigung sind Dinge, die Klingbeil glaubhaft und langfristig als Herzensangelegenheiten dargestellt hat. Er ist sich 2023 aber auch nicht zu schade gewesen, sich gegen den Neubau einer Bahnstrecke zwischen Hamburg und Hannover auszusprechen, die durch seinen Wahlkreis geführt hätte.
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Zu Weihnachten verschickte sein Büro handgeschriebene Grußkarten von Klingbeil, im Wahlkampf in Rotenburg kritisierte er SPD-Politiker, die wenig Ahnung vom ländlichen Raum hätten. Er kennt nach wie vor viele Genossen beim Vornamen und ja, er nimmt sich auch Zeit für die Heimatpresse. Man nimmt ihm irgendwie ab, dass er sich beim Grillen des SPD-Ortsvereins in Bötersen wohler fühlt, als beim Abendessen im Berliner Edellokal Borchardt.
Dafür hat er vielleicht auch gar keine Zeit, denn Klingbeil war bei den Koalitionsverhandlungen laut dem Nachrichtenmagazin Spiegel, anders als Friedrich Merz, ganz vorne dabei, wenn um Formulierungen, Kernforderungen und Knackpunkte gerungen wurde. Vier Stunden Nachtschlaf oder weniger ist er, der Kaffee schwarz trinkt, mittlerweile gewohnt.
Dafür duzt er sich nun mit Merz, über den sich Klingbeil noch am Abend vor der Wahl ärgerte, als der CDU-Chef sich über linke Spinner ausließ, die gegen Rechtsextremismus demonstriert hatten. Ein gutes Jahr zuvor hatte Klingbeil selbst mit „Omas gegen rechts“-Schild auf der Rotenburger Geranienbrücke gestanden. Am Wahltag gratulierte Merz Klingbeil morgens telefonisch zum Geburtstag, am Abend rief Klingbeil Merz an, um ihm zum Wahlsieg zu gratulieren. Wenn die beiden ein Auskommen finden, kann das nicht nur gut für Schwarz-Rot sein, sondern fürs ganze Land.
Klingbeil schafft es meist, nicht als Machtmensch dazustehen
Als die Hauptstadtjournalisten in der Wahlnacht schon ins besagte Borchardt abgewandert waren, kam Klingbeil im Willy-Brandt-Haus aus seinem Büro ins Erdgeschoss vor die Mikrofone, um zu verkünden, dass er für den Fraktionsvorsitz seiner Partei kandidieren werde. Flankiert wurde er dabei von einem Schreiben seines Vorgängers Rolf Mützenich, die Parteiführung sei zu dem Schluss gekommen, dass Jüngere den Karren weiterziehen sollten. Am früheren Abend gab sich Klingbeil noch unsicher, wie viel vom schlechtesten SPD-Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik die eigene Partei wohl ihm anlasten würde.
Klingbeil hatte erst vier Stunden vorher, direkt nach Bekanntwerden der lediglich 16,4 Prozent, von einem „Generationswechsel“ gesprochen, und sich offenbar zur jüngeren Generation gezählt. Das hatten die Jusos, die jetzt auch Stimmung gegen den Koalitionsvertrag machen, anders verstanden – sie warten noch auf den Wandel in ihrer Partei in ihrem Sinne. Und JU-Kreischef Kruse wundert sich zumindest, dass der Soldatensohn Klingbeil mit seiner Affinität zur Bundeswehr, auch wenn er dieser früher kritisch gegenüberstand, nie Ambitionen hat erkennen lassen, Verteidigungsminister zu werden, dafür jetzt ins Finanzministerium kommt.
Aber Klingbeil schafft es meist, nicht als Machtmensch dazustehen, sondern als jemand, der am richtigen Ort zur richtigen Zeit gerade wohl oder übel die Verantwortung übernehmen muss. Dabei helfen ihm seine leise, bedächtige Art und auch seine Wurzeln im Heidekreis. Dadurch gilt Lars Klingbeil einerseits als bodenständig bis für SPD-Verhältnisse konservativ und andererseits als demokratischer Kämpfer aus Überzeugung.
Dabei gibt er sehr private Dinge lieber sparsam und mit Zeitverzug preis, etwa die Geburt seines Sohnes oder auch seine Zungenkrebskrankheit vor mehr als zehn Jahren. Mit dem SPD-Linken Kevin Kühnert hat er einen fröhlichen Podcast bespielt, sie sind befreundet, ohne dass beide besonders oft politisch einer Meinung waren. Da ist er wieder, der Spagat, bei dem sich Klingbeil bislang nie schmerzhaft verrenkt hat. Dass er aber eine Herausforderung ist, daraus hat Lars Klingbeil nie einen Hehl gemacht.