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Interview

THerzchirurg Umes Arunagirinathan: „Liebe schützt unsere Herzen“

Herzchirurg Umes Arunagirinathan: „Liebe schützt unsere Herzen“

Der Mediziner spricht im Hamburg-über seine Flucht im Kindesalter, Treppen statt Fahrstühlen und sein Buch mit Peggy Parnass.

Von Dagmar Gehm Sonntag, 06.04.2025, 14:00 Uhr

Hamburg. Ein Samstagmorgen im Café Koppel in St. Georg. Im Holzfällerhemd und mit Baseballcap kommt er zum Interview. Fotografieren lassen mag er sich so aber nicht. Denn den weißen Kittel hat der Herzchirurg heute ebenso abgelegt wie seinen eigentlichen, für viele unaussprechlichen Namen Dr. Umeswaran Arunagirinathan, den er als Autor mehrerer Bücher ohnehin nicht nutzt. Der Sri Lankaner mit deutscher Staatsbürgerschaft, der ein gepflegteres Deutsch spricht als viele gebürtige Deutsche, hat viel zu berichten. Von seiner Motivation als Arzt, von Steinen, die ihm in den Weg gelegt wurden und von seiner Heimat, die mal Sri Lanka war und jetzt Hamburg ist.

TAGEBLATT: Was war Ihre Motivation, Medizin zu studieren?

Umes Arunagirinathan: Einer der Gründe war der Tod meiner älteren Schwester, die mit fünf Jahren an den Nieren erkrankte und mit zwölf Jahren verstarb. Im Bürgerkrieg auf Sri Lanka war die medizinische Versorgung sehr schlecht. Meine Mutter hat immer gesagt: „Wenn du fleißig bist und Mediziner wirst, hätten wir einen eigenen Arzt in der Familie.“

Haben Sie inzwischen auch Menschen in Sri Lanka behandelt?

Die Ausbildung zum Herzchirurgen hat lange gedauert. Doch das deutsche Staatsexamen wird auf Sri Lanka nicht anerkannt, mein Facharzt auch nicht. Trotzdem versuche ich, mit Hilfe des Honorarkonsuls in Hamburg eine Sondergenehmigung zu bekommen, um dort auch ärztlich tätig zu sein.

In Ihrer ehemaligen Heimat Jaffna, der Halbinsel im Norden Sri Lankas, waren auch Kindersoldaten im Einsatz. Hat man Sie damals auch rekrutieren wollen?

Es gab zwei Gründe, warum mich meine Mutter damals fortgeschickt hat: Einerseits wollte sie nicht, dass ich von Regierungssoldaten verhaftet oder sogar ermordet würde. Andererseits hatte sie Angst, dass ich von den Freiheitskämpfern, den Tamil Tigers, als Kindersoldat rekrutiert würde und mich aktiv am Krieg beteiligen müsste.

Wie genau lief die Flucht ab?

Meine Mutter hat einen Schlepper organisiert. Das war nicht einfach, denn er hat ungefähr 15.000 Mark dafür genommen. Über Singapur, Dubai, verschiedene afrikanische Länder bin ich in der Nacht vom 9. auf 10. September 1991 in Frankfurt als minderjähriger, unbegleiteter Flüchtling eingetroffen. Mit 12 Jahren bin ich abgereist, mit 13 angekommen.

Wieso sind Sie in Hamburg gelandet?

Ich habe einen Onkel in Hamburg. Seine Adresse und Telefonnummer hatte ich auswendig gelernt. Er kam am 11. September 1991 und hat mich vom Kinderheim abgeholt. So kam ich in meine Heimatstadt Hamburg.

Was ist aus Ihrer Familie geworden?

Als mein Vater 2014 starb, bin ich zum ersten Mal wieder nach Sri Lanka geflogen. Als ältester Sohn hatte ich nach hinduistischem Glauben die Aufgabe und die Ehre, das Feuer anzuzünden und seine Asche ins Meer zu streuen. Von fünf Kindern leben noch vier. Sie wurden einer nach dem anderen fortgeschickt, damit sie überleben. Die Familie setzt sich jetzt aus insgesamt fünf Nationalitäten zusammen: Meine Mutter ist Sri Lankanerin, eine Schwester Kanadierin, die andere Engländerin, mein Bruder Amerikaner und ich Deutscher.

Wie haben Sie in Deutschland Ihr Leben, Ihr Studium, finanziert?

Ich habe im Restaurant des ehemaligen Fußballspielers des FC St. Pauli, Walter Frosch, Teller gewaschen, um auch etwas an meine Eltern zu schicken. Dann habe ich bei McDonald‘s gearbeitet und nebenbei immer als Pflegehelfer.

Hatten Sie nie Heimweh?

Weil ich so furchtbare Bilder vom Krieg im Kopf hatte, war da auch immer die Angst, zurück in ein so gefährliches Land zu gehen.

Erst 2008 erhielten Sie die deutsche Staatsangehörigkeit. Warum hat es so lange gedauert?

Als Asylbewerber habe ich keine Erlaubnis bekommen, hier zu studieren. Also bin ich 2002 nach Dänemark gereist und habe dort den Antrag für ein Studium in Deutschland gestellt. Die Stadt Hamburg hat mir dabei geholfen, als anerkannter ausländischer Student wieder nach Deutschland zu kommen.

Wurden Ihnen wegen Ihrer Herkunft beruflich Steine in den Weg gelegt?

Ja, leider. Es gab zwar kein Problem, einen Job zu finden, aber was die Ausbildung betrifft. Ich habe Sprüche von Vorgesetzten gehört, wie „es wird doch für Sie ausreichen, wo Sie sich gerade befinden“. Oder: „Sei froh, dass du in Deutschland überhaupt in der Herzchirurgie eine Stelle gefunden hast.“ Oder noch vor zwei Jahren von einem Chefarzt: „Ich freue mich auf deutsche Bewerber.“ Daraufhin haben eine türkische Kollegin und ich gekündigt.

Mit der kürzlich verstorbenen Peggy Parnass haben Sie das gemeinsame Buch „Grenzen akzeptieren wir nicht“ geschrieben, das im Mai erscheint. Wie kam es dazu?

Uns verbindet viel: Flucht und Vertreibung, aber auch der Wunsch, die Welt ein bisschen besser zu machen. Peggy war für mich ein Vorbild, eine Inspiration.

Zurück zu Ihrem Beruf: Wie viele Herz-OPs haben Sie bereits durchgeführt?

Ich habe 200 Operationen am Herzen direkt gemacht, also eigenverantwortlich operiert. Als Erstassistent habe ich über 500 Operationen begleitet. Herzchirurgie heißt ja nicht nur, am Herzen direkt zu operieren, sondern auch, nicht operative Versorgung zu leisten oder Schrittmacher zu implantieren.

Ist so ein Eingriff für Sie zur reinen Routine geworden, oder lassen Sie dabei noch Gefühle zu?

Es ist schon etwas Besonderes, wenn man das Herz eines anderen wirklich berühren darf. Eine Verantwortung, die man nicht beschreiben kann. Um diese besondere Aufgabe machen zu dürfen, sollte man dankbar sein. Das Herz anderer Menschen in Händen zu halten, ist Vertrauen und Liebe zugleich.

Gehen Sie mit Ihrem eigenen Herzen verantwortungsvoll vor?

Ich rauche nicht, trinke nicht, habe keinen Zucker im Küchenschrank. Ich möchte aber nicht auf meine persönlichen Bedürfnisse verzichten, esse in Maßen gern mal Fleisch. Ich jogge häufig um die Alster, habe kein Auto, sondern bin oft mit Fahrrad oder zu Fuß unterwegs, esse viel Obst und Gemüse, trinke nur Wasser oder hundertprozentig reinen Saft. Wenn uns bewusst ist, was wir tun, ob wir uns genug bewegen, wie wir uns ernähren, sind wir schon gesund.

Was ist mit dem berühmten Glas Rotwein am Abend?

Ein Glas Rotwein zur Mahlzeit ist völlig in Ordnung. Was bringt es, 100 Jahre alt zu werden und keine Lebensqualität zu haben? Wenn jemand seinen Bedürfnissen nicht nachkommen kann, bedeutet es auch Stress für ihn.

Wie oft sollte man zum Gesundheitscheck gehen?

Wir Deutschen schaffen es zwar, regelmäßig unser Auto in die Kfz-Werkstatt zu bringen. Mindestens genauso wichtig ist es, einmal im Jahr zur Vorsorgeuntersuchung zu gehen. Wenn man keine Risikoprofile hat, reichen auch alle zwei Jahre.

Welche Ratschläge können Sie Menschen geben, die nicht viel Freizeit haben?

Wir müssen gesundes Verhalten in unseren Alltag integrieren, auch bei der Arbeit Bewegung suchen. In der Firma und am Bahnhof statt Rolltreppen und Fahrstuhl die Treppen nehmen. Muss man abends länger arbeiten, um 18 Uhr eine halbe Stunde für einen Salat einlegen.

Haben Sie weitere Empfehlungen für ein gesundes Herz?

Ab und zu raus aus dem Büro, aus dem Haus, spazieren gehen, in die Weite schauen. Zeit nicht allein verbringen, sondern mit anderen. Wenn Sie keine Familie und Freunde haben: Suchen Sie den Dialog mit Fremden. Treten Sie einem Verein bei. Oder gehen Sie in die Kirche und sprechen Sie mit Gott. Er hört Ihnen immer zu. Das ist gut fürs Herz und für die Seele. Liebe schützt unsere Herzen.

Zur Person – Vom Flüchtling zum Erfolgsautor

Dr. med. Umes Arunagirinathan wurde 1978 in Sri Lanka geboren. Wegen des Bürgerkriegs in Jaffna, dem tamilischen Teil der Insel, trat er als Zwölfjähriger die Flucht an und fand eine neue Heimat in Hamburg. Er wurde Landesschulsprecher, studierte Medizin in Lübeck, war Assistenzarzt am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und ist heute Facharzt für Herzchirurgie. Seine Bücher zu gesellschaftspolitischen und medizinischen Themen sind Bestseller, er ist beliebter Gast bei Lesungen und in Talkshows. Umes Arunagirinathan ist Single und wohnt in St. Georg.

Persönlich – typisch deutsche Tugenden

Wenn ich noch mal zwölf Jahre alt wäre …, würde ich mich von meinen Großeltern lieb verabschieden.

An meinem Wohnort St. Georg mag ich … das bunte Zusammenleben.

An deutschen Tugenden schätze ich … Pünktlichkeit, Fleiß und Ordnung.

Eine Auszeit von meinem Job nehme ich … für Lesungen meiner Bücher.

Auf meiner Bucketlist steht als Nummer eins … Oberarzt in der Herzchirurgie zu werden.

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