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Lokalgeschichte

TVerfolgung: Warum in Buxtehude mehr Hexen verbrannt wurden als in Stade

Hexensabbat: Hexen in Vorbereitung von Verbrechen(Hans Baldung Grien, 1510).

Hexensabbat: Hexen in Vorbereitung von Verbrechen (Hans Baldung Grien, 1510). Foto: Archiv

Es war nicht das finstere Mittelalter, als in Buxtehude, Stade und dem Alten Land Hexen verbrannt wurden. Es war die Neuzeit, sagt Historiker Dr. Rolf Schulte.In Stade fiel die Hexenjagd weniger blutig aus. Warum? Dazu hat er eine spannende These.

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Von Anping Richter
Mittwoch, 06.12.2023, 18:00 Uhr

Landkreis. Am Brunshauser Deich, nahe der Schwinge, wird 1603 in Stade eine Hexe hingerichtet - vermutlich verbrannt. „Die Brodhagen‘sche“ wird sie genannt und hat jede Missetat gestanden, die ihr im Bunde mit dem Teufel vorgeworfen wird. Unter der Folter mit Quetschinstrumenten hatte sie keine Chance, erklärt der Historiker Dr. Rolf Schulte.

Wenige Hexenprozesse in Stade

Der Historiker beschäftigt sich seit einem Vierteljahrhundert mit der Hexenverfolgung und forscht dazu zurzeit im Niedersächsischen Landesarchiv. Bei seinem Vortrag „Hexenverfolgung in Stade und Umgebung im 16. und 17. Jahrhundert“, zu dem der Stader Geschichts- und Heimatverein dorthin eingeladen hatte, stellte er vor etwa 100 Besuchern ganz frische Erkenntnisse vor.

In Stade gab es erstaunlich wenige Hexenprozesse und wohl nur eine einzige Hinrichtung. Das weckte Schultes Interesse: „Mich interessiert die Resilienz. Wer hat da nicht mitgemacht und warum?“

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Buxtehude, die Hochburg der Hexenverfolgung

Buxtehude, ebenfalls im Erzstift Bremen gelegen und mit eigener Gerichtsbarkeit ausgestattet, war eine Hochburg der Hexenverfolgung in Nordwestdeutschland: Es gab 21 Prozesse und 13 vermeintliche Hexen, möglicherweise mehr, die auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden.

Nun könnte man argumentieren, dass die Stader Akten dem Stadtbrand von 1659 zum Opfer fielen. Doch Schulte weist darauf hin, dass es stets Parallelüberlieferungen gab: „Hexenprozesse waren Volksfeste. Hunderte strömten hin, um sich die Hinrichtungen anzusehen.“

Jede vierte Hexe war ein Mann

Zudem konsultierte die städtische Gerichtsbarkeit häufig Obergerichte an Universitäten, was dokumentiert wurde. Stade hat das im fraglichen Zeitraum in 300 Fällen getan, doch nur ein Hexenprozess war dabei. Buxtehude konsultierte in Sachen Hexen oft Universitäten, gerne solche, die für ihre Härte bekannt waren.

So kam oft die Order zurück: Verbrennt sie. Oder ihn. Jede vierte Hexe war ein Mann, sagt Schulte. Die Opfer einte ein bestimmter Typus: Alt, arm, alleinstehend, ohne Lobby. Auf Frauen traf das freilich häufiger zu. Hinzu kam die Vorstellung der durch Eva verschuldeten Erbsünde.

Hexenverbrennung. Aus: Theodor Reinkingk, tractatus synopticus, 1662/1670. Reinkingk war Kanzler von Erzbischof Friedrich, dem Landesherrn des Erzstifts Bremen mit Stade, Buxtehude und dem Alten Land.

Hexenverbrennung. Aus: Theodor Reinkingk, tractatus synopticus, 1662/1670. Reinkingk war Kanzler von Erzbischof Friedrich, dem Landesherrn des Erzstifts Bremen mit Stade, Buxtehude und dem Alten Land. Foto: Archiv

Diabolischer Geschlechtsverkehr im Alten Land

Insgesamt gab es in Stade fünf Prozesse. Nur einer endete mit Hinrichtung. Im Alten Land waren es elf Prozesse, in sieben Fällen wurden andere Urteile gefällt, vier endeten mit Hinrichtung. 1596 wurde Gretke Wüppers aus Nincop im Alten Land beschuldigt, Feldfrüchte verdorben und Liebeszauber gewirkt, mit dem Teufel im Bunde gestanden und diabolischen Geschlechtsverkehr gehabt zu haben.

All das gestand sie nach Folter, auch einen Hexentanz auf der Nincoper Brücke. 1608 traf es die nächste Altländerin: Leneke Helmers. Jacob Cordes, ihr Nachbar, schlug ihr einen kleinen Gefallen ab. Daraufhin soll sie geflucht haben, „er solle krank oder toll werden“. Als dann jemand im Nachbarhaus erkrankte, wurde sie der Hexerei beschuldigt. Doch Landesherr Johann Friedrich, Erzbischof von Bremen, verhinderte den Prozess.

Hexe bei Zurichtung eines schadenstiftenden Topfzaubers, Flugblatt aus dem Jahr 1594.

Hexe bei Zurichtung eines schadenstiftenden Topfzaubers, Flugblatt aus dem Jahr 1594. Foto: Archiv

Der Hexenwahn entstand aus einer Situation, in der vieles an heutige Phänomene erinnert: Die „Kleine Eiszeit“ hatte im Alten Land schwere Sturmfluten und Missernten zur Folge. Großbauern verloren im Schnitt 33 Prozent ihres Vermögens, Kätner sogar 60 Prozent. Eine Wirtschaftskrise also, die soziale Konflikte verstärkte.

Verschwörungstheorien und frühe Fake News

Viele erlagen der Versuchung, Sündenböcke zu suchen. Eine theologische Dämonologie entstand, die den Bund der Hexen mit dem Teufel als eine Art organisierte Mafia beschrieb - eine Verschwörungstheorie. Für ihre Verbreitung sorgten neue Medien in Gestalt von Johannes Gutenbergs „schwarzer Kunst“. „Ohne Buchdruck keine Hexenverfolgung“, sagt Rolf Schulte.

Mit dem neuen Massenmedium verbreiteten sich die Luther-Bibel ebenso wie Heinrich Kramers „Hexenhammer“ (1486) oder Heinrich Rimphoffs „Drachenkönig“ (Rinteln,1647). Bei denen, die des Lesens unkundig waren, kamen bebilderte Flugblätter mit Hexen und ihren Schandtaten gut an.

Eine mächtige Frau macht dem Spuk ein Ende

Die Stader, so Schultes These, könnten mehrere Faktoren davor bewahrt haben, dem Hexenwahn öfter zu verfallen: Relativer Wohlstand - und eine größere Weltoffenheit, denn Stade gab calvinistischen Glaubensflüchtlingen Asyl, teils niederländischen, teils französischsprachigen aus Wallonien. Viele waren vermögende Kaufleute.

Auch eine liberal-protestantische Toleranz im Klerus, zu dem Otto Casmann, Leiter des Athenaeums, gehörte, mag eine Rolle gespielt haben. Letztlich war es eine mächtige Frau, die den Hexenprozessen endlich auch in Buxtehude ein Ende machte: Die schwedische Königin Christina verbot sie 1649.

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