THigh-Tech-Experte aus Indien: Warum hat er sich für den Kreis Stade entschieden?
Parth Rawal kam 2014 aus Indien nach Deutschland. Foto: Richter
Am Geld liegt es nicht, erklärt Parth Rawal. Der 34-jährige Mechatronik-Experte hat ganz andere Gründe dafür, dass er seinen Lebens- und Arbeitsort hier gewählt hat.
Landkreis. Jung, sehr gut ausgebildet und jahrelange Arbeitserfahrung im High-Tech-Bereich: Der 34-jährige Parth Rawal gehört zu der Sorte Fachkräfte, die zurzeit rund um den Globus gesucht werden. Doch von allen Orten der Welt hat sich der gebürtige Inder Stade als Arbeitsort erkoren. Im Leichtbau-Forschungszentrum CFK Nord arbeitet er beim Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM) im Bereich Automatisierung und Produktionstechnik.
Das Fraunhofer IFAM in Stade hat zurzeit 85 Mitarbeiter, davon 30 Werkstudenten, die ihre Masterarbeit dort schreiben. Viele von ihnen stammen aus Asien, mehrere aus Indien - wie die 27-jährige Sakshi Jitendraa Sethia, die gerade an ihrem Schreibtisch in der Halle sitzt und an ihrer Masterarbeit in Mikroelektronik schreibt.
Sakshi Jitendraa Sethia, eine von mehreren Studierenden aus Indien, schreibt am Fraunhofer IFAM an ihrer Masterarbeit in Mikroelektronik. Foto: Richter
Für eine Studien- oder Projektarbeit mit viel Praxisbezug sei das Fraunhofer IFAM sehr gut ausgestattet, erklärt Parth Rawal bei einem Rundgang und zeigt auf einige Mini-Roboter, die Schüler hier während eines Praktikums mit dem 3-D-Drucker erstellt haben.
„Deutschland hat in Indien einen guten Ruf bei den M-Fächern: Mechatronik, Maschinenbau, Materialwissenschaft“, sagt er. Das sei auch der Grund dafür, dass es ihn nach seinem Mechatronik-Bachelor an der Universität Gujarat 2014 nach Norddeutschland zog, obwohl er die Sprache nicht konnte.
Die Technische Universität Hamburg (früher TU Harburg) war gut ausgestattet und kam mit ihren Schwerpunkten seinen Interessengebieten nahe: Automatisierung und Robotik, in den letzten Jahren ergänzt um Künstliche Intelligenz (KI). Genau das kann Rawal heute am Fraunhofer IFAM anwenden, das er schon als Werkstudent kennenlernte. Seit 2017 arbeitet er dort in Vollzeit und betreut auch Studenten.
2014 war es für Inder noch nicht so einfach, nach Deutschland zu kommen. Dabei war der Fachkräftemangel damals längst da: Schon im Jahr 2000 hatte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder eine Green-Card-Initiative gefordert, um in Indien zehntausende fehlende Computerexperten anzuwerben.
Jürgen Rüttgers, damals CDU-Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen und während der Kohl-Regierung sogar Zukunftsminister, reagierte mit dem berüchtigten Slogan: „Kinder statt Inder“. Den Wahlsieg brachte ihm das nicht, aber eine große Welle der Empörung.
250.000 Inder leben in Deutschland, davon 298 im Landkreis Stade
Seither hat sich viel getan. „Wir wollen, dass hochqualifizierte Fachkräfte und junge Leute aus Indien nach Deutschland kommen“, sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, als sie im Dezember 2022 nach Indien reiste, um ein deutsch-indisches Migrationsabkommen zu schließen.
Zu der Zeit lebten 200.000 indische Staatsangehörige in Deutschland, heute sind es 250.000, davon 298 im Landkreis Stade. Parth Rawal zählt seit einem Jahr übrigens nicht mehr dazu: Er ist jetzt Deutscher - nachdem er vom Antrag bis zur Einbürgerung sieben Jahre warten musste.
Indische Einwanderer verdienen im Schnitt mehr als Deutsche
Von allen Einwanderern in Deutschland bekommen Inder laut Institut der deutschen Wirtschaft die höchsten Gehälter und verdienen auch im Vergleich mit Deutschen überdurchschnittlich: Bei Menschen mit deutschem Pass lag der Medianlohn vor einem Jahr bei 3.945 Euro, indische Beschäftigte kamen auf 5.359 Euro - das untermauert, wie hoch qualifiziert diese Einwanderergruppe ist.
Trotzdem sagt Parth Rawal: „Wenn die Priorität ist, viel Geld zu verdienen, sind Deutschland und sogar Europa nicht ideal.“ Auch in indischen Großstädten wie Mumbai, Bangalore oder Hyderabad werde in seiner Sparte sehr gut bezahlt. Die besten Argumente für das Leben und Arbeiten im Kreis Stade seien ganz andere.
Standortvorteil Nr. 1: Gute Arbeitsbedingungen
Work-Life-Balance ist in Indien nicht angesagt. „Der Druck ist viel höher, es wird viel mehr gearbeitet“, berichtet Rawal. Bei amerikanischen Konzernen wie Google oder Microsoft sei es ein wenig besser, aber nicht so entspannt wie in Deutschland.
Rawal schwärmt von seinen netten Kollegen. Seit Januar 2020 schreibt er an den Wochenenden und im Urlaub an seiner Doktorarbeit. Dafür darf er auch während der Arbeitszeit etwas tun, sofern es sich um Schnittstellen-Themen handelt, die dem Institut zugute kommen.
Arbeiten die Deutschen aus seiner Sicht zu wenig? „Naja. Eine halbe Stunde mehr pro Tag wäre vielleicht gut“, sagt Parth Rawal. Das sage er aber nicht aufgrund eigener Erfahrungen, sondern mit Blick auf den allgemeinen Fachkräftemangel.
Zurzeit gebe es aufgrund der Wirtschaftskrise möglicherweise nicht genug zu tun. Damit sich die Dinge nicht weltweit verschieben und die Krise zum Dauerzustand wird, sei Innovation zurzeit deshalb besonders wichtig.
Hoffnung machen Rawal zum Beispiel Entwicklungen in der KI: Wenn Prozesse in der Luft- und Raumfahrtindustrie mit sprachbasierten KI-Modellen verknüpft werden, bräuchte der Mensch nicht mehr zu programmieren. Er könnte der Maschine einfach nur noch sagen, was er von ihr will: „Das würde die europäische Wirtschaft extrem voranbringen.“
Standortvorteil Nr. 2: Gute Luft und Lebensqualität
Rawal sagt auch: „Die gute Luft ist ein Basisgrund für ein Leben in Deutschland. Wenn ich nach Hause fliege, habe ich schon am Flughafen sofort den Smog in der Nase.“ Ahmedabad, die dicht besiedelte Provinzhauptstadt von Gujarat, hat nur halb so viel Fläche wie Hamburg, aber mehr als doppelt so viele Einwohner.
Die Herausforderungen des Klimawandels sieht Rawal übrigens auch als Chance: CO2-Reduktion, Dekarbonisierung, der Umstieg auf erneuerbare Energien und Wasserstofftechnologie erfordern es, neue Denkweisen zu entwickeln, um ein neues Niveau der Technologie zu erreichen.
Standortvorteil Nr. 3: Der deutsche Pass
„Für mich war es eindeutig die richtige Entscheidung, deutscher Staatsbürger zu werden“, sagt Parth Rawal. Die Lebensqualität und die Sicherheit in Deutschland wisse er zu schätzen. Übrigens arbeitet er zwar in Stade, wohnt aber in Buxtehude, weil er von dort schneller mit der Bahn in Hamburg ist, wo einige Freunde wohnen.
Rawal ist Einzelkind, aber seine Eltern besuchen ihn in Deutschland und er fährt mindestens einmal im Jahr zu ihnen. Für Indien braucht er kein Visum und kann sehr leicht auch eine Niederlassungserlaubnis bekommen. Der deutsche Pass, sagt Parth Rawal, öffnet ihm die Tür in mehr Länder als fast alle anderen Pässe der Welt.