TIm Schatten der Schulden: Wenn das Kaufen zur Sucht wird

Das Kaufen von Konsumgütern kann schnell zum Verhängnis werden. Die Kaufsucht betrifft mehr Menschen, als man denkt. Foto: Lindenau
Kaufrausch statt Besinnung: In der Vorweihnachtszeit steigt die Konsumfreude. Doch was, wenn der Einkaufsdrang zur Sucht wird? Ein Blick auf die Schattenseiten des Kaufens und die Auswirkungen – ein Thema, das viele Menschen bewegt.
In einer Welt, in der ein neuer Pullover oder neue Schuhe nur einen Klick von uns entfernt sind, verfallen Millionen Menschen immer häufiger dem völligen Konsum. Dieser reicht manchmal aber weit über die alltäglichen Bedürfnisse hinaus und lässt manche in einen richtigen Kaufrausch verfallen. Er kann sich schnell zu etwas Ernsterem entwickeln. Doch was genau verbirgt sich eigentlich hinter der sogenannten Kaufsucht, und was bedeutet sie?
Kaufsucht – Was ist das eigentlich?
Für manche zeigt sich die Sucht in unzähligen Kleidungsstücken, die dann ungetragen, noch mit Preisschildern versehen im Schrank landen und dort verbleiben. Andere wiederum türmen technische Geräte oder Sportutensilien auf. Kaufsucht ist eine zwanghafte Form des Einkaufsverhaltens, bei der Betroffene den Drang verspüren, kontinuierlich und impulsiv auf Shopping-Tour zu gehen, unabhängig davon, wie viel Geld ihnen zur Verfügung steht. Dieses Verhalten kann zu erheblichen persönlichen und finanziellen Problemen führen.
Experten warnen vor der Versuchung
Experten schlagen Alarm und weisen auf die tiefgreifenden psychologischen Auswirkungen der Kaufsucht hin. „Krankhaftes Konsumieren ist oft ein Versuch, Stress zu bewältigen oder emotionale Leere zu füllen“, erklärt Eileen Strupat, Leiterin für Suchtprävention und Rehabilitation beim Caritasverband in Bremen.
Die Versuchung, der Sucht nachzugehen, wird heute durch den ständigen Zugang zu verschiedenen Shopping-Plattformen verstärkt. Kaufentscheidungen basieren nun nicht mehr auf rationalen Überlegungen, sondern auf impulsiven Entscheidungen und Emotionen, erklärt die Expertin.
Der Drang zu kaufen vernebelt die Sinne
Eine genaue Anzahl an Menschen zu ermitteln, die unter Kaufsucht leiden, ist schwer, da die Definition von Kaufsucht variiert. Doch meist sind es jüngere Menschen, insbesondere Frauen, die von dieser Erkrankung betroffen sind.
Die eigenen Sinne werden von dem ausgehenden Drang, ständig zu kaufen, beeinflusst. Auch wenn gerade nichts gekauft wird, schwebt der Gedanke den Betroffenen immerzu im Kopf herum. Was also als harmloses Shoppen beginnt, kann in einem finanziellen Engpass enden. Die Glücksgefühle, die beim Kaufen entstehen, entwickeln sich zur Sucht, und die Kontrolle über die eigenen Ausgaben schwindet. Die Gefahr einer Überschuldung wird erst dann präsent, wenn sie schon eine gewisse Dimension erreicht hat.
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Ehemalige Schuldnerin berichtet von ihrem Weg aus der Krankheit
Es können nicht viele von sich behaupten, allein, ohne professionelle Hilfe aus der Kaufsucht zu kommen. Doch Clara Müller* (Name geändert) hat es geschafft. Die 24-Jährige litt an Kaufsucht, und trieb sich so selbst in den finanziellen Ruin. Clara kommt aus dem Landkreis Rotenburg und arbeitet als Einzelhandelskauffrau. „Anfangs war alles in Ordnung, aber mit der Zeit bin ich in eine Art Kaufsucht verfallen“, sagt sie. Als dann auch noch ein Inkassobrief im Briefkasten liegt, realisiert sie, dass sie etwas ändern muss.
Doch wie fing alles an?
Es ist Mitte 2020, Deutschland steht in vielen öffentlichen Bereichen des Lebens still. Die Coronapandemie ist auch im Landkreis angekommen. Der Weg in die Schuldenfalle beginnt für Clara genau hier. Sie arbeitet im Supermarkt und gehört zu den wenigen Menschen, die zu den Zeiten noch arbeiten durften. Um sich selbst ein wenig zu belohnen, für den Stress, dem sie tagtäglich standhält, beginnt sie sich online ein paar Klamotten zu kaufen. Doch schnell wird es mehr als eine Notwendigkeit und nimmt ein hohes Ausmaß an. In Claras Wohnung beginnen sich Kartons zu türmen. Pakete, bestellt im Internet.
„Ich habe teilweise einen Tisch durch einen Karton ersetzt“, erzählt sie an einem grauen Tag, als sie auf der Couch in dem Wohnzimmer ihrer Eltern sitzt.

Die Kaufsucht verlagert sich zunehmend ins Internet – der Trend geht zum Online-Shopping.Foto: lindenau Foto: lindenau
Über die Fehler ihrer Vergangenheit zu sprechen, fällt ihr nicht leicht. Der damalige Alltag der jungen Frau wird zu einem Teufelskreis. Nach Feierabend fällt sie in ein Loch. Ständig allein zu sein und keine sozialen Kontakte zu haben, belastet die damals 20-Jährige schwer. Um das zu kompensieren, kauft sie. Jeden Tag.
Über Wochen und Monate sammelt sie Schulden an. Alles für einen kleinen Augenblick des Glücks, den sie beim Bestellen verspürt. Doch als wäre das nicht genug, beginnt sie auch den Frust und die Trauer mit Süßigkeiten zu kompensieren. Das Resultat daraus ist eine starke Gewichtszunahme, die Clara zusätzlich psychisch belastet. 15 Kilo legt sie zu.
Die eigene Wohnung muss sie aufgeben. Zu hoch sind ihre Schulden mittlerweile. Als dann auch noch der Inkassobrief ins Haus flattert, ist es für sie der Anfang vom Ende. „Ich habe Panik bekommen“, erinnert sie sich noch ganz genau. Dennoch: Gehandelt hat Clara nicht, der Brief landet ungeöffnet im Müll.
Depressionen und Selbstzweifel kommen auf
Über diese dunkle Zeit ihres Lebens zu sprechen, fällt ihr sichtlich schwer. Es sind Probleme, mit denen sie schon lange gekämpft hat. Clara versinkt in Depressionen und Selbstzweifeln. Sie lebt von jetzt an abgekapselt von der Außenwelt und ihrem familiären Umfeld. Das Essen und das Klicken des Kaufbuttons werden zu Claras Lösung für ihre Probleme.
Ein Ultimatum verändert ihr Leben
Ein Ultimatum ihres Freundes ist der Wendepunkt für Claras Leben. Heute geht es ihr wieder gut, und sie hat ihre Schulden durch Hilfe ihrer Familie und des Freundes in den Griff bekommen. Sie ist zurück ins Elternhaus gezogen und zahlt die Schulden zurück. Voller Dankbarkeit berichtet sie von ihren Eltern, die sie tatkräftig unterstützen und nicht verurteilen. So auch ihr Partner. „Ich kann mich so glücklich schätzen. Jeder, der unter einer Sucht leidet, dem wünsche ich genauso eine Unterstützung, wie ich sie bekomme“, weiß sie.
Finanzsorgen
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In die Zukunft blickt die junge Frau positiv. Sie hat es noch geschafft, die Schulden in den Griff zu bekommen. Doch leider trifft das nicht auf jeden zu. Clara wünscht sich in Zukunft mehr Aufmerksamkeit für das Thema. Ihr ist es wichtig zu vermitteln, dass es niemandem unangenehm sein muss, um Hilfe zu bitten. Damit möchte die ehemalige Schuldnerin andere motivieren, sich der Kaufsucht zu stellen.
Suchtberatungsstellen im Landkreis Stade
Wer bereit ist, sich Hilfe zu suchen, wird natürlich auch im Landkreis Stade dabei unterstützt.
In Buxtehude bietet der Diakonieverband ein Suchtberatung an. Jeden Dienstag von 14.30 bis 16.30 Uhr können Betroffene unverbindlich in die Offene Sprechstunde (Harburger Str. 2, Tel. 04161-644446) kommen.
Auch in Stade betreibt der Diakonieverband eine Fachstelle für Suchtberatung (Neubourgstr. 6, Tel. 04141-411726).
Der Verein für Sozialmedizin Stade bietet ebenfalls Beratung und Hilfe bei Suchtproblemen an (Tel. 04141/9993-0) und betreibt Fachstellen in Freiburg (Hauptstraße 31, Tel. 0179/ 614 66 53), Drochtersen (Sietwender Str. 11, Tel. 04143 / 999 780) und Harsefeld (Herrenstraße 25a, Tel. 04141 / 999 30).