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Kritik

TIngo Appelt in Stade: Dieser Mann ist von vorgestern

Schnell und derb reden: Das ist Ingo Appelts Markenzeichen.

Schnell und derb reden: Das ist Ingo Appelts Markenzeichen. Foto: Buchmann

Mit einem Stück Papier schockierte Ingo Appelt in den 90er-Jahren ganz Fernseh-Deutschland. Im Stadeum will er provozieren, offenbart aber eine Schwäche.

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Von Steffen Buchmann
Samstag, 15.03.2025, 17:45 Uhr

Stade. Das Publikum im Stadeum ist sich einig: Ingo Appelt ist ein Wichser. Unter Buhrufen und Beleidigungen tritt der Komiker nach der Pause auf die Bühne. „So gefällt mir das gleich viel besser“, lobt Appelt die vorher schnell einstudierte Begrüßung und freut sich wie ein kleiner Mephisto. Denn jetzt hat der Verführer die Zuschauer im Sack.

Ab der ersten Sekunde legt Ingo Appelt los wie eine Dampflok auf Speed. Laktose-Intolerante, Trans-Personen, Vegetarier: Appelt bremst für niemanden. Schlag auf Schlag feuert er hämische Kommentare über Homosexuelle ab, rehabilitiert den Puff-Witz und schwärmt von fettigem Krustenbraten und Zigeunersoße. „Und hat uns das als Kinder geschadet?“, fragt der 57-Jährige ins Publikum. Klatschen und „So isses“-Rufe lassen den Altersschnitt im abgedunkelten Saal erahnen.

Von Dildofeen und Schweineschmalz-Massagen

Dass Appelt ein Meister seines Fachs ist, steht nicht zur Debatte. Ohne Punkt und Komma redet der Komiker auf sein Publikum ein. Wenn ein Witz über eine schwule Bundeswehr nicht zieht, wechselt er blitzschnell zum homophoben Putin. Treffer.

Er geht dabei vor wie ein Jäger mit der Schrotflinte, der blind in den Wald schießt: Irgendetwas wird er schon erwischen. Dass aus dieser Flachwitz-Flut nur wenig beim Publikum hängen bleibt, ist von Appelt einkalkuliert: „Am nächsten Morgen werden Sie sich fragen: Was hat der noch mal gesagt? Ach, irgendwas mit Ficken oder so.“

Seit 30 Jahren will Appelt mit Empörung punkten.

Seit 30 Jahren will Appelt mit Empörung punkten. Foto: Buchmann

Derbe Zoten über Analverkehr, die Dildofee oder Po-Massagen mit Schweineschmalz sind es, die den gelernten Maschinenschlosser groß gemacht haben. Schließlich kam seine Karriere richtig ins Rollen, als er in den 90er-Jahren ein Schild mit dem Wort „Ficken“ in die Kamera hielt und Fernseh-Deutschland schockierte. Und wer heute ein Ticket für Appelt kauft, sucht das Vulgäre im stillen Kämmerlein.

Schocken und Provozieren wie vor 30 Jahren

Appelt lockt mit dem Verbotenen, verpasst seiner Show das provokante Siegel: „Ab 18 Jahren geeignet“. Außer einem Mann in zu engen roten Hosen und mit feuchter Aussprache ist auf der Bühne jedoch nichts Anzügliches zu sehen. Appelt setzt vollends auf sein umfangreiches Polter-Vokabular, um das Kopfkino im Hansesaal anzuwerfen. War Appelt früher als frauenfeindlich verrufen, hat er sich laut eigener Aussage „vom Saulus zum Paulus“ gewandelt: Jetzt bekommen nämlich beide Geschlechter ihr Fett weg.

Beinahe krankhaft oft leitet sich Appelt aus den verhaltenen Reaktionen auf seine Schwulenwitze ab: „Sie sind ja ganz schön verklemmt hier.“ Ist es wirklich Verklemmtheit oder der moralische Kompass, der beim Publikum ausschlägt? Appelt sonnt sich in seiner Überlegenheit, alles frei von der Prostata sagen zu können. Damit die Zuschauer während seiner Dampfplauderei nicht wegdämmern, grunzt und röhrt Appelt immer wieder übersteuert in sein Mikrofon.

Nicht nur verbal entgleist Ingo Appelt auf der Bühne.

Nicht nur verbal entgleist Ingo Appelt auf der Bühne. Foto: Buchmann

Doch kann ein Mann in extravaganten Anzügen und losem Mundwerk heute noch schockieren? Ein Publikum der Generation „lineares Fernsehen“ sicherlich. Vor allem, wenn es selbst eingeladen wird, den „Stock aus dem Arsch zu ziehen“ und einfach mal selbst lautstark zu fluchen, bevor es wieder ins traute Heim zurückkehrt. Aber Appelt, der derbe Zweisilber hinausblökt und sich unsichtbares Sperma aus den Zahnzwischenräumen kratzt, wirkt zwischen Tiefschlag-Satirikern wie Lisa Eckhart oder Serdar Somuncu wie ein blasser Schuljunge.

Ingo Appelt ist ein Anachronismus

Auch wenn Appelt seine Themenfassade mit Whatsapp-Sprachnachrichten und Klimakleber vermeintlich modernisiert hat, sind die Witze dahinter seit über 30 Jahren die gleichen. Jetzt nur mit dem Label: „Das darf man heute gar nicht mehr sagen.“

Mit diesem Empörungskabarett über Wokeness und vermeintliche Sprachpolizisten sichern sich Komiker wie Ingo Appelt, Mario Barth oder Dieter Nuhr derzeit ihren Lebensunterhalt. Denn politisch Inkorrektes verfängt, in Zeiten von Sozialen Netzwerken und Whatsapp-Gruppenchats als moderne Stammtische mehr denn je.

Neben Fickificki-Sprüchen legt Appelt noch ein zweites Talent an den Tag - Imitationen. Ob als Herbert Grönemeyer, Angela Merkel oder Udo Lindenberg: Spielerisch wechselt der Komiker zwischen den Figuren, lässt sie sogar miteinander reden.

Spätestens hier wird jedoch klar: Ingo Appelt ist ein Anachronismus. Denn wer sich darauf verlässt, dass sein Publikum sich noch wie vor 20 Jahren über die Langsamkeit eines Rudolf Scharping oder die wässrige Aussprache von Helmut Kohl beäumelt, lebt im kabarettistischen Vorgestern. Das fast ausverkaufte Stadeum zeigt jedoch: Zeitreisen sind weiterhin ein lukratives Geschäft.

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