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Bürokratie

TIntegration gelungen - und abgeschoben: Warum Ali Razavi gehen musste

Facharbeiter Ali Razavi (Foto) wurde nach Griechenland abgeschoben. Kollegen und Arbeitgeber sind entsetzt.

Facharbeiter Ali Razavi (Foto) wurde nach Griechenland abgeschoben. Kollegen und Arbeitgeber sind entsetzt. Foto: Heyne

Er arbeitete in Vollzeit, zahlte Steuern, besaß eine eigene Wohnung und ein Auto. Auch eine noch gültige Duldung konnte nicht verhindern, dass Ali Razavi abgeschoben wurde.

Von Ulla Heyne Samstag, 02.08.2025, 17:50 Uhr

Rotenburg. Der Rotenburger Metallbaubetrieb Brillant Metallverarbeitung hat gut zu tun. 40 Mitarbeiter hat das Unternehmen - es könnten mehr sein, Aufträge hat der Fachbetrieb für Geländer, Treppen, Feuerschutztüren und andere Metallbauarbeiten genug.

Der iranische Geflüchtete Ali Razavi, der sich im Frühsommer 2024 auf eine Anzeige in einer Lokalzeitung bewirbt und nach einigen Tagen Probearbeit eingestellt wird, ist für das Unternehmen ein Glücksfall: fachlich kompetent, freundlich, pünktlich und immer gut gelaunt - selbst einige langjährige Mitarbeiter, die Zuwanderern eher skeptisch gegenüberstehen, sind angetan vom neuen Kollegen.

Der 48-Jährige, der als Facharbeiter für Metallbau mit Mechatronik- und Schweißaufgaben betraut ist, kann nach Bauzeichnungen fertigen, spricht gut Deutsch und hat gerade seine B1-Deutschprüfung gemacht. „Ein Glücksfall für das Unternehmen“, betont Kerstin Brockmann, Ehefrau des Geschäftsführers.

Ein Paradebeispiel für Integration möchte man meinen. Doch Razavi wurde vor einigen Wochen aus der Werkstatt von der Polizei abgeholt und nach Griechenland abgeschoben, dem Land seines Eintritts nach Europa.

Dabei hatte der Mann, der in Rotenburg nicht nur einer Vollzeitbeschäftigung nachgeht und Steuern zahlt, sondern auch eine eigene Wohnung, ein Auto und ein Leben, eine Duldung, die noch mehrere Wochen lang gültig war. Die jedoch, so besagt das Kleingedruckte, „erlischt mit dem Tag, an dem der noch gesondert mitzuteilende Ausreisetermin stattfindet“. Mitgeteilt wurde der Ausreisetermin per Haftbefehl von den Beamten, Vollstreckung: sofort.

Trotz aller Bemühungen wird Mitarbeiter abgeschoben

Wenn Brockmann sich an die Ereignisse der letzten Woche erinnert, kommt ihr nach eigenem Bekunden „die Galle hoch“. Trotz aller Bemühungen des Geflüchteten und des Unternehmerehepaars wurde ihr geschätzter und integrierter Mitarbeiter, der selbstverständlich bei Feiern und Grillabenden dabei ist, abgeschoben - nicht zum ersten Mal.

Bereits im März war der Iraner von einer Baustelle in Bremerhaven von der Polizei verhaftet und abgeführt worden - und das in Handschellen. „Der Kunde hat uns gefragt, was wir denn für Leute beschäftigen“, erinnert sich Brockmann.

Damals fuhren die Polizeibeamten mit dem Iraner nach Rotenburg in seine Wohnung, damit er seine Papiere holen konnte. In der Tasche seines Blaumanns trug er noch sein Cuttermesser. Der verzweifelte Mann, der bereits in Griechenland mehrere Jahre auf Bewilligung seines Asylantrags gewartet hatte, schnitt sich in einem unbemerkten Moment die Pulsadern auf.

Den genauen Hergang der Ereignisse hat Brockmann rekonstruiert: Gerade hat sie eine Rechnung vom Diakonie-Krankenhaus weitergeleitet bekommen, in der ihm das Setzen der Nähte mit 150 Euro in Rechnung gestellt wurden - und das, obwohl Razavi hier krankenversichert war.

Wie es kommen konnte, dass die Polizisten mit ihm nach seinem Suizidversuch und Behandlung im Rotenburger Diakonieklinikum zum Frankfurter Flughafen fuhren, ist der zweifachen Mutter bis heute nicht klar.

Fakt ist: Das Westerveseder Ehepaar erhält am späten Abend einen Anruf von der Polizei: Ob sie ihren Mitarbeiter vom Frankfurter Flughafen abholen und nach Rotenburg zurückbringen könnten? Der Mann habe am nächsten Vormittag einen Termin bei der Ausländerbehörde.

„Offensichtlich war die Abschiebung nicht durchgeführt worden“, so Brockmann. Den Rückweg tritt der Asylbewerber schließlich mitten in der Nacht mit einem von Kerstin Brockmann organisierten ICE-Ticket an. Auf Socken - die Schuhe waren, wie die Beamten zugaben, im Krankenhaus verloren gegangen.

„Allen scheinen die Hände gebunden“

Bei der Ausländerbehörde, die Brockmann mit ihrem Mitarbeiter inzwischen mehrmals besuchte, sei die Sachbearbeiterin nett gewesen, allein: „Allen scheinen die Hände gebunden.“

Razavis Pech: Seinen Asylantrag hatte er vor einigen Jahren in Griechenland gestellt, bevor er nach Rotenburg kam, weil hier Familienangehörige leben, in der Hoffnung, hier würde es schneller gehen mit der Anerkennung. Inzwischen wurde der griechische Asylantrag bewilligt - damit war für die deutschen Behörden der Fall klar: Sein Asylantrag wurde abgelehnt.

Was Brockmann Hoffnung machte, war der Passus in dem Schreiben des Landkreises vom Februar: „Wenn Sie weiterhin Ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen möchten, ist es notwendig, dass Sie eine Erklärung zum Beschäftigungsverhältnis einreichen.“

Den nachgeforderten Arbeitgebernachweis schickte sie sofort ab, die Arbeitserlaubnis gilt bis 2028. Darüber hinaus setze das Unternehmen alle Hebel in Bewegung, um die Abschiebung des geschätzten Mitarbeiters und Steuerzahlers zu verhindern. „Wir haben versucht, eine Beschäftigungsduldung zu erhalten“, so Brockmann, aber dafür hätte er vor dem 31. Dezember 2022 einreisen und 18 Monate beschäftigt sein müssen.

Auch eine zweite Option sollte sich zerschlagen: Der seit Januar 2024 mögliche „Spurwechsel“ von Asylantrag zu Einreise zur Arbeitsaufnahme gilt nur für Migranten, die vor dem 29. März 2023 eingereist sind. Der Versuch, den Iraner über das Fachkräftezuwanderungsgesetz zu legalisieren, scheiterte - Mechatroniker ist in Deutschland kein gesuchter Beruf, außerdem gilt Razavi mangels Ausbildungsnachweise über seine formelle Berufsqualifikation als „Helfer“.

Auch eine Arbeitsmigration kommt nicht infrage: Hier liegt die Einkommenshürde bei 45.000 Euro jährlich. So kam es, dass er trotz Duldung Mitte Juni von Polizisten aus dem laufenden Betrieb abgeführt und bis zum Flug nach Athen einige Tage später in die Justizvollzugsanstalt in Abschiebehaft verbracht wurde.

Arbeitgeber will Kampf gegen Bürokratie nicht aufgeben

„Keiner kann helfen, keiner ist zuständig“, hat das Ehepaar festgestellt, auch bei Anfragen an Landrat Marco Prietz und dem damaligen MdB Lars Klingbeil. Dessen Büro riet dazu, sich juristischen Beistand zu suchen. Das habe aber nicht geklappt: „Es ist immer alles zu kurzfristig und es ist schwierig, jemanden Kompetenten zu finden, der sich auch mit dem komplizierten Ausländerrecht auskennt“, so Brockmann.

Die Krux: Nur, wer schon einige Jahre in Deutschland ist, habe eine Chance auf Eingliederung. „Diejenigen, die schon lange hier sind und womöglich dem Staat auf der Tasche liegen, dürfen bleiben, wer sich schnell integriert, muss gehen, weil eine Abschiebung direkt von der Arbeitsstelle einen leichten Erfolg für die Abschiebe-Zahlen verspricht“, mutmaßt Brockmann.

Nach Griechenland sei jahrelang nicht abgeschoben worden - bis zu einem Beschluss im April, laut dem junge, gesunde und arbeitsfähige Männer abgeschoben werden können, da hier die Gefahr der Verelendung nicht gegeben sei. „Wir waren so naiv zu glauben, dass Ali mit 48 Jahren und in psychologischer Behandlung nach seinem Suizidversuch erst mal relativ sicher ist“, meint die Westervesederin.

Dabei stellt sie klar, dass der Landkreis und auch der Bund rechtmäßig gehandelt haben, „aber ob es auch sinnvoll ist, Menschen die nun ja schon mal hier sind, unabhängig davon wann sie gekommen sind, die arbeiten, die Steuern zahlen, die sich integrieren und sich nichts zu Schulden kommen lassen, abzuschieben und dann in Indien, Mexiko, Peru und Kolumbien Fachkräfte anzuwerben? Die Ausländerbehörden haben doch alle Informationen - es könnte ganz einfach sein, wenn wir hier nicht diese überbordende Bürokratie hätten und es auch Einzelfallentscheidungen gäbe.“

Razavi hat Arbeit in Griechenland gefunden

Wie es nun weitergeht, mit dem Auto, mit der Wohnung, in der sich noch die Papiere befinden, vor allem aber mit Razavi, der inzwischen in Griechenland Arbeit gefunden hat und bei Bekannten wohnt, weiß Brockmann nicht.

Brockmanns Hoffnung: Im Zuge der Erweiterung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes von Akademikern und ITlern auch auf Handwerker versuchen die Handwerkskammern beschleunigte Verfahren umzusetzen.

Eigentlich gilt diese Regelung nur bis zu einem Alter von 45 Jahren; wenn Razavi Papier über seine Berufsausbildung im Iran beibringen kann und Rentennachweise, könnte es klappen - vorausgesetzt, dass das die wohl verhängte 30-monatige Einreisesperre nach der Abschiebung vom „Bamf“ (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) aufgehoben werden kann. Sie will den Kampf gegen die Bürokratie nicht aufgeben: „Es muss doch eine Möglichkeit geben, unseren Mitarbeiter zurückzuholen.“

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