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Intendantin des Ernst Deutsch Theaters

TIsabella Vértes-Schütter: „Theater muss die Vielfalt der Gesellschaft widerspiegeln“

Die Theater Intendantin und Politikerin Isabella Vértes-Schütter, porträtiert im Ernst Deutsch Theater.

Die Theater Intendantin und Politikerin Isabella Vértes-Schütter, porträtiert im Ernst Deutsch Theater. Foto: Lucas Wahl / Kollektiv25

Die Noch-Intendantin des Ernst Deutsch Theaters spricht im Hamburg-Interview über ihre letzte Spielzeit, den Übergang zu ihrem Sohn und die Zukunft des Hauses.

Von Dagmar Leischow Samstag, 16.11.2024, 08:00 Uhr

Hamburg. Zum Interview bittet Isabella Vértes-Schütter in die Intendanz-Räumlichkeiten über dem Ernst Deutsch Theater, das die Schauspielerin seit fast 30 Jahren leitet. Noch hat sie dort einen Schreibtisch, allerdings wird die Intendantin ihren Posten 2025 an ihren Sohn Daniel Schütter und die Regisseurin Ayla Yeginer abtreten. Egal, ob die 62-Jährige, die Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft ist, über diesen Generationswechsel spricht oder sich an den Tod ihres Mannes Friedrich Schütter, einst Intendant des Ernst Deutsch Theaters und Schauspieler, erinnert: Sie wirkt wie eine Frau, die mit sich im Reinen ist.

TAGEBLATT: Mit welchen Gefühlen sind Sie in Ihre letzte Spielzeit als Intendantin des Ernst Deutsch Theaters gegangen?
Isabella Vértes-Schütter: Tatsächlich mit sehr freudigen Gefühlen, weil die nächste Generation am Start ist. Wir sind mitten in einem Change-Prozess, dabei begleitet eine Coachin Ayla Yeginer, meinen Sohn Daniel Schütter, Jens-Peter Löwendorf, der als kaufmännischer Geschäftsführer weiter im Team bleibt, und mich. Gemeinsam versuchen wir, die Weichen für die Zukunft zu stellen. Das fühlt sich eher wie ein Aufbruch als ein Abschied an.

In welche Richtung soll sich Ihr Haus künftig bewegen?

Ich verstehe Theater als Ort der Begegnung. Als offenen Raum, in dem Menschen zusammenkommen, Erlebnisse miteinander teilen und sich austauschen können. Eine Besucherbefragung in Hamburg hat ergeben: Es gehen überwiegend gebildete, ältere, weiße Menschen ins Theater. Das Ziel ist es, dass sich die Diversität der Gesellschaft auch in unserem Publikum widerspiegelt. Das haben wir längst noch nicht erreicht, daran müssen wir weiter arbeiten.

Mit mehr Diversität auf der Bühne?

Wenn bei uns schwarze Darstellerinnen und Darsteller auftreten, fühlen sich schwarze Menschen anders repräsentiert und kommen auch ins Theater. Zum Beispiel, als in „Odyssee oder das Kalypsotief“ mit Yann Mbiene ein wunderbarer schwarzer Kollege auf der Bühne gestanden hat. Die Compagnie des Bundesjugendballetts ist grundsätzlich international und divers - entsprechend ist das Publikum bei ihren Auftritten diverser.

Warum verschenken Sie in dieser Spielzeit Karten?

Wir versuchen einfach, auf allen Ebenen Barrieren zu senken. Wir möchten auch diejenigen einladen, die sich den Kulturgenuss nicht leisten können. Dafür stellen wir kostenfreie Tickets zur Verfügung.

Wird diese Offerte manchmal missbraucht?

Diesen Eindruck haben wir nicht, im Gegenteil. Einige Leute, die unser Angebot angenommen haben, sagten: „Ich kann mir den normalen Preis zwar nicht leisten, aber zehn Euro hätte ich übrig. Die möchte ich bezahlen.“ Andere Menschen, die sich die regulären Karten kaufen können, haben etwas gespendet, weil sie unsere Idee gut finden. Dieses Solidaritätsprinzip wollen wir weiter voranbringen.

Ebenso wichtig ist es, mehr Jugendliche für das Theater zu begeistern. Was tun Sie dafür?

In unserer Jugendsparte wirken pro Spielzeit 250 Jugendliche mit. Wir haben ein Jugendgroßprojekt, bei dem wir mit vier Schulen kooperieren. Beispielsweise mit der Stadtteilschule Horn. Es geht darum, Jugendliche zu involvieren, die sonst nicht unbedingt mit Kulturangeboten in Berührung kommen. Wenn sie sich selber auf der Bühne ausprobieren können, erkennen sie, dass Theater ganz nah an ihrer Lebenswirklichkeit dran ist. Dadurch gehen sie völlig anders in eine Vorstellung hinein.

Sollte Theater eher unterhalten oder politisch sein?

Für mich ist das kein Widerspruch. Theater muss immer unterhaltsam sein. Es ist eine sinnliche Kunstform, die die Zuschauer emotional erreicht und dadurch etwas bewirkt. Auch bei politischen Themen. Heute wollen sich junge Menschen in einer Inszenierung auch mit politischen Inhalten auseinandersetzen. Das war in den 90er Jahren anders. Als ich als Intendantin am Ernst Deutsch Theater angefangen habe, kehrten sich Jugendliche eher von politischen Inhalten ab.

Nach dem Tod Ihres Mannes Friedrich Schütter haben Sie 1995 die Leitung des Theaters übernommen. War das eine große Herausforderung?

Ja. Zwischen der Krebsdiagnose meines Mannes und seinem Tod lagen nur dreieinhalb Wochen. Er hat mich gebeten, das Haus in seinem Sinne weiterzuführen. Aufgrund unserer Verbundenheit konnte ich gar nicht anders, als ihm dieses Versprechen zu geben. Ich habe mich einfach in diese Aufgaben hineingeworfen. Vielleicht war das meine Art der Trauerarbeit, mir zu sagen: Ich gebe alles, um das zu schaffen.

Wie viel Gegenwind haben Sie damals als Frau in einer Führungsposition bekommen?

Zu dem Zeitpunkt war ich die einzige Frau an der Spitze einer Kulturinstitution in Hamburg. Allein deswegen musste ich mich sehr behaupten. Auch hier im Haus gab es bei den Gremien eine große Skepsis.

Inzwischen haben sich die Zeiten geändert. Müssen Sie eine Teamplayerin statt einer Prinzipalin sein?

Ich war schon in den 90er Jahren eine Teamplayerin, als ich auf Kampnagel die „Hammoniale - Festival der Frauen“ geleitet habe. Genauso habe ich im Ernst Deutsch Theater stets als Teamplayerin agiert. Das war für viele erst mal fremd. Teamwork muss man gemeinsam lernen, damit es nicht als Schwäche ausgelegt wird, wenn man Dinge nicht autoritär fordert, sondern sagt: „Hier hat jeder seine Verantwortung an dem Platz, an dem er steht.“ Ich finde, man muss gerade im Theater, wo es auf das Zusammenwirken so vieler Menschen und Gewerke ankommt, partnerschaftlich miteinander umgehen.

Ihre Mutter Helga Pilarczyk war Opernsängerin. Wie sehr hat Sie das geprägt?

Ich war als Kind deutlich mehr in der Hamburgischen Staatsoper zuhause als in unserem Wohnzimmer. Für mich war eigentlich immer klar: Ich möchte auf die Bühne.

Warum haben Sie trotzdem Medizin studiert?

Ich bin als Jugendliche sehr krank geworden, darum beschäftigten mich die Fragen: Was bedeutet Leben? Was ist Krankheit? Was bedeutet Sterben? Ich hatte das Gefühl, dass mir die Tür zur Bühne auf einmal versperrt war. Weil ich etwas Sinnvolles tun wollte, habe ich mich für ein Medizinstudium entschieden. Ich hatte eine Stelle in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und habe dann beschlossen, doch noch eine Schauspielausbildung zu machen.

Wie viel Zeit bleibt Ihnen als Intendantin, um selber aufzutreten?

Anfangs habe ich mir beides parallel nicht zugetraut. Ich musste zunächst als Intendantin Erfahrungen sammeln. Seit 2006 stehe ich aber mindestens einmal pro Spielzeit mit einer Produktion auf der Bühne.

Zudem sind Sie seit 2011 Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft. Wie kam es dazu?

Sowohl Friedrich Schütter als auch ich waren aus Bekenntnisgründen auf Platz 60 der SPD-Liste. 2011 war Kulturpolitik erstmals ein großes Thema im Wahlkampf, weil das Altonaer Museum geschlossen und bei den Bücherhallen oder dem Schauspielhaus der Etat gekürzt werden sollte. Durch die Einführung des Direktwahlrechts in Hamburg bin ich dann tatsächlich in die Bürgerschaft gewählt worden. Viele dachten, ich würde vielleicht gar nicht antreten, doch das war keine Option für mich.

Bis heute sind Sie neben Ihrem Hauptberuf in der Politik aktiv. Sind Sie ein Workaholic?

Ich arbeite gerne und viel. Nicht weniger genieße ich es, Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Oft höre ich den Satz „Du kannst doch nicht ohne das Theater“. Das stimmt nicht, ich kann sehr gut loslassen.

Wenn Sie noch einmal neu anfangen könnten, was würden Sie ändern?

Ich lebe das Leben, das ich leben möchte, und bereue nichts. In Bezug auf meine Zukunft gilt: Ich mache keine Pläne, sondern bin gespannt, was auf mich zukommen wird.

PERSÖNLICH

Theater bedeutet mir ... Liebe und Leidenschaft.

Die Hamburger Theaterszene finde ich ... spannend und vielfältig.

Mein Lieblingsort im Ernst Deutsch Theater ... ist hinter der Bühne.

Meine Traumrolle ist ... immer die nächste Rolle, die ansteht.

Besonders in Erinnerung geblieben ist mir ... die getanzte „Matthäus-Passion“ von John Neumeier.

Am meisten bewundere ich die Schauspielerin ... Nicole Heesters, weil sie in den Rollen, die sie verkörpert, unglaublich ist.

ZUR PERSON

Isabella Vértes-Schütter wurde am 22. April 1962 in Hamburg geboren. Sie studierte Medizin und machte eine Schauspielausbildung. Seit 1995 ist die Mutter von drei Kindern Intendantin des Ernst Deutsch Theaters, sie übernahm diese Position nach dem Tod ihres Mannes Friedrich Schütter. 2011 wurde sie Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft.

2025 wird sie im Ohnsorg-Theater in dem Stück „Oddoss See - Eine irre Fahrt“ auf der Bühne stehen. Dafür lernt die Tochter einer Opernsängerin extra Plattdeutsch. Bei ihren Auftritten wird sie immer einen bestimmten Gegenstand dabeihaben. Die Schauspielerin ist nämlich abergläubisch. Sie würde niemals auf der Bühne pfeifen oder essen, ein Toi, toi toi gehört für sie sowieso dazu.

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