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TNach Patientenansturm: Auch Stader Kinderärztin zieht es in Erlebnispraxis

Nach der Eröffnung gab es eine wahren Run auf die Kinderarztpraxis in Nordholz.

Nach der Eröffnung gab es eine wahren Run auf die Kinderarztpraxis in Nordholz. Foto: Ralf Masorat

Drei Kinderärzte innerhalb eines Jahres für eine Praxis auf dem Land zu finden – das klingt angesichts des Ärztemangels enorm. Dem Kinderarzt Cuxland gelingt das. In Nordholz ist das Konzept einzigartig.

Von Heike Leuschner Donnerstag, 15.08.2024, 11:50 Uhr

Nordholz . Als Michael Scheel im Spätsommer 2023 seine neue Kinderarztpraxis im ländlich gelegenen Nordholz eröffnete, war klar, dass er dort als Kinderarzt nicht allein bleiben wollte. Um Kollegen aus allen Teilen der Republik anzusprechen, hatte er eine Erlebnispraxis entworfen, die wie ein Kinder-Paradies unter dem Meer anmutet.

„Ich hatte von Anfang an im Kopf, den latent unzufriedenen Oberarzt aus München erreichen zu wollen“, sagt Scheel, der nicht nur eine märchenhafte Praxis geplant hat, sondern sich auch aufs Marketing versteht.

Der Erfolg gibt ihm recht. Nach dem gebürtigen Hessen Thomas Lunden, der seit Februar in der Nordholzer Praxis als Kinder- und Jugendarzt angestellt ist, hat Scheel mit Josef Auer nun tatsächlich einen Funktionsoberarzt aus München an die Küste gelockt.

Bis vor kurzem Funktionsoberarzt am Kinderherzzentrum in München

Noch nicht einmal drei Wochen ist es her, dass Josef Auer für seine Anstellung in der Kinderarztpraxis Cuxland mit seiner Frau und seinen beiden Kindern aus der Nähe der bayrischen Landeshauptstadt in die niedersächsische Provinz gezogen ist. Der 40-Jährige spricht von einem „großen Abenteuer für die gesamte Familie“.

Josef Auer, Kinder- und Jugendarzt und Kinderkardiologe, ist mit seiner Familie für den Job in der Praxis Kinderarzt Cuxland in Nordholz von München in die norddeutsche Provinz gezogen.

Josef Auer, Kinder- und Jugendarzt und Kinderkardiologe, ist mit seiner Familie für den Job in der Praxis Kinderarzt Cuxland in Nordholz von München in die norddeutsche Provinz gezogen. Foto: Leuschner

Viel Zeit zum Ankommen hatte Auer nicht. Seit 1. August arbeitet der Kinder- und Jugendarzt sowie Kinderkardiologe in der Praxis von Michael Scheel. Der Weg in die Kinder- und Jugendmedizin habe sich für ihn schon früh im Studium abgezeichnet, erzählt der Sohn eines Landwirts, der in Bayern geboren und aufgewachsen ist.

Bunt, fröhlich, maritim: Das Design einer Unterwasserlandschaft prägt nicht nur den Wartebereich, sondern zieht sich durch fast alle Räumlichkeiten der Praxis Kinderarzt Cuxland.

Bunt, fröhlich, maritim: Das Design einer Unterwasserlandschaft prägt nicht nur den Wartebereich, sondern zieht sich durch fast alle Räumlichkeiten der Praxis Kinderarzt Cuxland. Foto: Leuschner

Wunsch nach mehr Zeit für die Familie und weniger Bereitschaftsdienste

Nach dem Zivildienst in einem Krankenhaus studierte er in München Medizin. Ende 2010 habe er seine kinderkardiologische Karriere am Kinderherzzentrum in München gestartet, wo er zuletzt als Funktionsoberarzt auf der Intensivstation tätig war.

„Ich habe bis zum letzten Tag gern dort gearbeitet“, erzählt er. Doch mit Blick auf die beiden Töchter (6 und 9) habe er sich mehr Zeit und weniger Wochenend- und Bereitschaftsdienste gewünscht. „Der Wunsch nach einem Tapetenwechsel ist nun etwas größer ausgefallen als ursprünglich gedacht“, sagt er mit Blick auf sein neues Zuhause in Mulsum.

Bei der Suche nach einer neuen beruflichen Herausforderung sei er auch auf Scheels Werbeaktivitäten für die Praxis namens Kinderarzt Cuxland gestoßen. Das Konzept habe ihn von Anfang an überzeugt und neugierig gemacht. Im Januar schaute er sich die Praxis zum ersten Mal an, im Februar ein zweites Mal, dieses Mal mit der gesamten Familie. Noch im selben Monat sagte er zu.

Anstellung statt eigener Niederlassung als Kinderarzt

Auer ist es ernst: Er hat nicht nur den Job in München aufgegeben, die Familie hat auch ihr bayrisches Domizil verkauft. In Nordholz hofft er jetzt, das komplette Spektrum der Kinderkardiologie ambulant betreuen zu dürfen.

Er ist gespannt, wie viele junge Herzpatienten es hier gibt. „Das Einzugsgebiet der Praxis ist recht groß.“ Ansonsten sei er natürlich Kinderarzt, wie jeder andere Kinderarzt auch.

Auer arbeitet in Nordholz als angestellter Mediziner. „Das ist für den Anfang sicher gut, weil man drum herum weniger zu organisieren hat. Man kann sich mehr auf das Praxisleben und das Ankommen konzentrieren.“

Ob er später Lust auf eine eigene Praxis bekommen könnte? „Ausgeschlossen ist gar nichts“, meint Auer. „Wer weiß, was in den nächsten 20 Jahren sein wird.“

Dr. Janne Ottens kommt zunächst als Weiterbildungsassistentin

Neu in der Kinderarztpraxis von Michael Scheel ist auch Dr. Janne Ottens. Anders als Auer befindet sich die gebürtige Cuxländerin, die aus Hemmoor stammt und mit ihrem Partner und ihren beiden Söhnen (5 und 8) in Lamstedt lebt, noch in der Facharztausbildung zur Kinder- und Jugendärztin.

Dr. Janne Ottens ist Medizinerin. Den letzten Teil ihrer Ausbildung zur Kinder- und Jugendärztin absolviert sie seit kurzem in der Praxis Kinderarzt Cuxland in Nordholz.

Dr. Janne Ottens ist Medizinerin. Den letzten Teil ihrer Ausbildung zur Kinder- und Jugendärztin absolviert sie seit kurzem in der Praxis Kinderarzt Cuxland in Nordholz. Foto: Leuschner

Um die Wartezeit auf einen Studienplatz zu überbrücken, hatte sie sich nach dem Abitur zunächst für eine Ausbildung zur Rettungsassistentin entschieden. In diesem Beruf arbeitete sie auch, bis sie in Tübingen und Lübeck Humanmedizin studierte.

Zugunsten ihrer beiden Kinder absolviert sie ihre Facharztausbildung in Teilzeit. Dadurch verlängert sich die eigentlich fünfjährige Fortbildung. Doch das Ende ist absehbar. In einem knappen Jahr werde sie sich zur Prüfung anmelden, berichtet die Medizinerin.

Von der Kinderklinik in Stade zur Kinderarztpraxis in Nordholz

Den größten Teil ihrer Facharztausbildung hat die 38-Jährige ab 2016 an der Kinderklinik in Stade abgeleistet. Jetzt, gegen Ende ihrer Ausbildung, habe sie noch einmal die ambulante Versorgung in einer kinderärztlichen Praxis kennenlernen wollen.

Dass sie sich für den doch recht langen Fahrtweg nach Nordholz entschieden hat, begründet sie mit dem Konzept der „tollen Erlebnispraxis“ und dass sie auch hier im Team arbeiten werde. Sie kann sich vorstellen, auch nach der Facharztprüfung in einer Praxis zu arbeiten. „Es ist ein schöner Gedanke, Familien über eine längere Zeit zu begleiten; der Bedarf dafür ist da.“

Ob es für sie nach ihrer Facharztprüfung in Nordholz weitergehen wird, vermag Ottens noch nicht zu sagen. Denn aktuell wird ihre Stelle als Weiterbildungsassistentin von der Kassenärztlichen Vereinigung gefördert. Diese Förderung falle nach erfolgreicher Facharztprüfung weg.

„Kindermedizin ist es wert, sich dafür zu begeistern“

Eigentlich wollte die 38-Jährige nach dem Studium Fachärztin für Notfallmedizin, Anästhesie und Schmerzmedizin werden. Über eines ihrer Praktika während des Studiums habe sie die Kinder- und Jugendmedizin in einer Praxis in Hemmoor kennengelernt.

Ottens war sofort überzeugt: „Kindermedizin ist bunt, fröhlich und ist es wert, sich dafür zu begeistern. Egal, was die Kinder haben, es ist nie ein selbst gemachtes Problem.“

Dauerhaft in einer Klinik zu arbeiten, sagt sie, habe Vor- und Nachteile. „Man lernt ein gutes Spektrum an Krankheiten kennen, die Arbeit ist vielseitig, man kann interdisziplinär und mit Diagnostik viel machen, aber es bringt auch viele Nachtdienste mit sich.“

Eine eigene Niederlassung komme für sie zumindest für die nähere Zukunft nicht infrage. Auch wegen der bürokratischen und betriebswirtschaftlichen Hürden. „Es ist Ausdruck von Lebensqualität, wenn ich mich nach meiner eigentlichen Arbeit um diese ganzen Sachen nicht mehr kümmern muss.“ Wie ihr Kollege Auer will aber auch sie perspektivisch eine eigene Niederlassung nicht gänzlich ausschließen.

Angestellte Ärzte, denen eine Work-Life-Balance wichtig ist

Scheel kennt diese Argumente. Deshalb habe er sich dafür entschieden, Berufskollegen als Angestellte zu beschäftigen. „Die ambulante Medizin produziert eben nicht mehr Betriebswirte, sondern angestellte Ärzte, denen eine Work-Life-Balance wichtig ist. Sie wollen Pause haben, und sie wollen, wenn ihr Kind krank ist, auch mal zu Hause bleiben.“

Der Kinder- und Jugendarzt hat vor seiner Praxis in Nordholz neun Jahre lang eine Einzelpraxis in Wremen betrieben. „Wenn ich krank war, war ich auf der Arbeit. Wenn ich ganz schwer krank war, war ich einen Tag krank.“ In der Praxis seien dann 80 Termine abgesagt worden. „Am nächsten Tag war ich ein klein bisschen weniger krank und wieder auf der Arbeit.“

Viele junge Mediziner wollten das nicht. „Deshalb findet sich viel leichter jemand, den man anstellen kann als ein Partner.“

Scheel steht im Wartezimmer seiner Praxis. Hinter ihm schwimmen Zierfische in einem Aquarium. Und über ihm schwebt ein Wal aus Styropor. „Wir sind keine Praxis von vielen, uns gibt es nicht zweimal. Das zieht auch den Kinderarzt aus München in die Region.“

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