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TKreisarchäologe Daniel Nösler lüftet Rätsel um blutroten Steindolch

Material für die Waffen der Steinzeit: Kreisarchäologe Daniel Nösler hält einen roten Flintstein und einen grauen Plattenflint von Helgoland in seiner Hand.

Material für die Waffen der Steinzeit: Kreisarchäologe Daniel Nösler hält einen roten Flintstein und einen grauen Plattenflint von Helgoland in seiner Hand. Foto: Vasel

Vor 8000 Jahren machte ein Tsunami den Felsen zur Insel. Fortan war der heiß begehrte Helgoländer Flint den Steinzeitmenschen heilig. Kreisarchäologe Daniel Nösler hütet ein einzigartiges Artefakt.

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Von Björn Vasel
Sonntag, 08.12.2024, 08:40 Uhr

Agathenburg. Kreisarchäologie Daniel Nösler ist im Schloss Agathenburg dem Geheimnis der blutroten Steinwaffen von Helgoland auf der Spur. In seinem Magazin lagert ein Stein, der im Jahr 1931 von Kreisdenkmalpfleger Adolf Cassau bei Kakerbeck entdeckt worden ist. Der Fund war lange Zeit verschollen und wurde bei Inventarisierungsarbeiten wiederentdeckt. Nösler sagt: „Ich habe das Stück erstmalig als Objekt aus Helgoländer Flint identifiziert. Es ist der erste und einzige Fund aus dem Landkreis Stade - fast 4500 Jahre alt.“

Der rote Helgoländer Flint war in der Jungsteinzeit (Neolithikum) heiß begehrt - bei Männern und Frauen. „Die Händler setzten ihr Leben aufs Spiel, um Stein auf der Hochseeinsel zu erwerben - für Sicheln, Dolche, Beile und Speerspitzen “, sagt Nösler. Felsgesteine waren außerordentlich wertvoll. Hoch im Kurs standen Materialien, die glänzten. Die Elite der Steinzeitkrieger schätzte harte, spitznackige und glänzend polierte Beilklingen aus grünlichen Gesteinen wie Jadeit oder Nephrit.

Der Dolch aus Helgoländer Flint ist einzigartig im Landkreis Stade und fast 4500 Jahre alt.

Der Dolch aus Helgoländer Flint ist einzigartig im Landkreis Stade und fast 4500 Jahre alt. Foto: Kohnen/Kreisarchäologie

Bereits in der Jungsteinzeit war Globalisierung alltäglich. Im vorgeschichtlichen Fernhandel transportierten die Händler ihre Waren über Tausende von Kilometern auch in das Gebiet des heutigen Niedersachsens. Jadeit wurde im Sommer in den Alpen und im Apennin abgebaut und in Siedlungen vor Ort oder in der Bretagne vor allem zu Luxus-Beilen veredelt. Doch auch nicht steinreiche Steinzeitmenschen wollten protzen.

Hochseeinsel nach Tsunami nur per Schiff erreichbar

Deshalb war auch der Helgoländer Flint begehrt - auch noch in der Übergangszeit von der Stein- zur Bronzezeit um 2000 vor Christi Geburt. „Der Dolch von Kakerbeck glänzte wie die Waffen aus Kupfer oder Bronze, die in dieser Zeit bereits aufkamen und verbreitet waren“, sagt Nösler. Metall war am Ende des Neolithikums für viele im Norden noch unerschwinglich. Wahrscheinlich wollten die Jäger, Sammler und Bauern mit ihren Helgoländer Flintbeilen das neue, noch seltene Material imitieren - in Farbe und Form.

Bis zu 400 Kilometer weit wurde der Helgoländer Flint gehandelt. In Schweden, Dänemark, Deutschland und den Niederlanden haben Archäologen die Waffen und Werkzeuge aus dem roten Feuerstein wieder an das Tageslicht geholt. In der ausgehenden Altsteinzeit war der rote Felsen noch zu Fuß erreichbar. „Der Buntsandsteinfelsen muss auch für die damaligen Menschen ein beeindruckendes Bild abgegeben haben - vergleichbar vielleicht mit dem heiligen Felsen Ayers Rock in Australien“, sagt Nösler.

Das Cover von „Archäologie in Niedersachsen“ - mit dem Schwerpunkt Rohstoffe.

Das Cover von „Archäologie in Niedersachsen“ - mit dem Schwerpunkt Rohstoffe. Foto: Vasel

Doch in der Mittelsteinzeit (Mesolithikum) stieg der Meeresspiegel rasant um das heutige Helgoland. Vor 8000 Jahren fielt das Doggerland - der Garten Eden der Steinzeit - einem Tsunami zum Opfer. Der Berg wurde zur Insel - inmitten der Nordsee. Fortan musste das Rohmaterial der neolithischen und bronzezeitlichen Funde aus Helgoländer Flint auf dem Seeweg auf das Festland gelangt sein. Damit ist dieser Transportweg laut Nösler einer der frühesten Nachweise für die Hochseeschifffahrt im Norden. Das war eine Herausforderung. Die Seemänner der Steinzeit müssen über hohe navigatorische Kenntnisse verfügt haben. Schließlich sei die Insel Helgoland lediglich bei außergewöhnlichen Wetterlagen durch Luftspiegelungen vom Land aus zu sehen.

Helgoländer Flint war den Steinzeitmenschen heilig

Über die Flüsse wurde der Stein ins Landesinnere transportiert - entlang von Weser, Elbe oder Oste. Während Prestigewaffen wie Beile aus Jadeit kaum genutzt wurden, seien Waffen aus Helgoländer Flinte häufig stark abgenutzt. Der Kreisarchäologe geht davon aus, dass die Flintmänner ihre Waffen zu Werkzeugen umgearbeitet haben - eine frühe Form des Recyclings. Doch die Waffen und Werkzeuge aus dem roten Helgoländer Flintstein waren keine 08/15-Erzeugnisse.

Sie landeten häufig als Opfer- oder Weihegabe an eine höhere Macht in Horten, kaum als Beigabe in Gräbern. „Die einzigartige Farbgebung wurde von den Menschen damals möglicherweise mit Blut als dem Träger der Lebenskraft assoziiert“, sagt Nösler. Vielleicht spielte eine magische Wirkung eine Rolle - sprich die Herkunft von einer entfernten Hochseeinsel mit einem markanten roten Felsen. Auch die steinerne Imitation wertvoller Kupfergegenstände könne - bis in die Vorrömische Eisenzeit - eine Rolle gespielt haben.

Der rote Feuerstein entstand vor etwa 90 Millionen Jahren während der Oberkreidezeit. Seine rote Farbe verdankt der Stein dem hohen Anteil an Eisenverbindungen, die sich während der Entstehung des Gesteins im Kern abgelagert haben. Es gibt Feuersteine in anderen Teilen der Welt, aber der rote Kern ist ein besonderes Merkmal, das nur auf Helgoland vorkommt.

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