TKreisarchäologe: Das „Stonehenge“ der Stader Geest stand in Oersdorf

Luftbildarchäologie: Aus dem Flugzeug ist die Struktur der Ringwall-Anlage bei Oersdorf gut zu erkennen. Foto: Martin Elsen
Vor mehr als 4000 Jahren war Oersdorf ein wichtiger Kultort auf der Geest. Auf dem Weg zu ihrem imposanten Ringheiligtum passierten die Menschen der Jungsteinzeit die Gräber ihrer Clan-Chefs. Der Kreisarchäologe Daniel Nösler ist ihnen auf der Spur.
Oersdorf. Die Wallanlage von Oersdorf ist das Stonehenge der Stader Geest. Dass sich auf der Erhebung im Hochmoor nahe der Grenze zum Kreis Rotenburg nicht wie in England Hunderttausende von Touristen tummeln, hat einen Grund: Wer heute vor dem Heiligtum steht, sieht nichts.
Auch die mächtigen Megalithgräber und Grabhügel, die einst aufgereiht wie an einer Perlenschnur die Steinzeit-Autobahn zwischen den heutigen Städten Stade und Zeven säumten, sind heute ausnahmslos zerstört. Die Überreste des Heiligtums schlummern heute im Untergrund. Kreisarchäologe Daniel Nösler hat sich 2012 mit seinen Kollegen tief in die Vergangenheit gegraben - zurück in das Jahr 4000 vor Christus. Wer Nösler erneut auf seiner Zeitreise in die Jungsteinzeit begleiten will, sollte sich am heutigen Freitag, 10. November, 19 Uhr, seinen Vortrag im Dorfgemeinschaftshaus Oersdorf (Brinkkrog 4) anhören.
Wallanlage wurde nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckt
Der Denkmalpfleger Adolf Cassau hatte die Wallanlage mit einem Durchmesser von 185 Metern kurz nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckt. Seinerzeit war auf der 2,5 Hektar großen Fläche noch ein drei Meter breiter und 60 Zentimeter hoher Wall zu sehen - befestigt mit kopfgroßen Findlingen. „Die Anlage geriet wieder in Vergessenheit und wurde im Zuge der landwirtschaftlichen Nutzung fast vollständig zerstört“, sagt Nösler.

2012 grub sich Kreisarchäologe Daniel Nösler mit seinen Kollegen zurück in die Jungsteinzeit. Foto: Kreisarchäologie
Mit Hilfe von historischen Luftbildern - unter anderem der Royal Air Force - konnte die Anlage rekonstruiert werden. Die „Störungen“ im Untergrund beeinflussen den Pflanzenwuchs, die Strukturen früherer Bauten werden so für geübte Augen sichtbar. Auf Luftbildern aus den 1970er Jahren ist sogar noch der von Osten heranführende Damm zu sehen.
Mit Hilfe von Hightech-Geräten - unterstützt unter anderem von der HafenCity Universität in Hamburg - gelang es nach einer Untersuchung den Archäologen im Jahr 2011 ein digitales Geländemodell mit einem Geomagnetik-Messgerät und einem terrestrischen 3D-Laserscanner zerstörungsfrei zu erstellen. Ringwall, Gräben und der durch das Moor führende Damm konnten visualisiert werden.
Kultstätte auf der Stader Geest ausgegraben
Im Jahr 2012 führten die Archäologen eine Operation am offenen Herzen der Geschichte durch - auf einer Fläche von 200 Quadratmetern. Mit Schaufel, Kelle und Pinsel arbeiteten sie sich 9000 Jahre zurück bis zum Ausgang der Jungsteinzeit vor. „Wir haben sogar noch einen Rest des aus Plaggen und Steinen bewehrten Walls dokumentieren können“, sagt Nösler. 17 Meter vom Hauptwall entfernt, entdeckten die Wissenschaftler vermutlich einen zweiten Grabenring. Pollen aus den Gräben der Oersdorfer Anlage wurden in einem Labor untersucht. Dank der Pollen konnte die Anlage auf die Zeit zwischen 7000 bis 4000 vor Christus datiert werden. Seinerzeit prägten lindenreiche Eichen-Haselmischwälder die Region, ergänzt um Erlenwälder in den Niederungen.
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In der Anlage konnten Pfostenlöcher nachgewiesen werden. Lange Zeit hielten Denkmalpfleger - wie der Ahlerstedter Lehrer und Kreisdenkmalpfleger Willi Wegewitz (1898 - 1996) - die Anlage für eine Burg. Doch eine Burg mit fünf Zugängen, das wäre eine Einladung für jeden Eroberer gewesen. Für Nösler handelt es sich deshalb höchstwahrscheinlich um eine steinzeitliche Kultstätte, vielleicht sogar das „Wood-(Stone)henge“ des Nordens. Der Archäologe verweist auf ähnliche Anlagen - wie zum Beispiel das Ringheiligtum Pömmelte in Sachsen-Anhalt südöstlich von Magdeburg.
Wissenschaftler wollen Rätsel lösen
Ob Oersdorf ein Versammlungsort oder eine Kultstätte für mystische Rituale war, das ist (noch) ein Rätsel, das auf seine Lösung wartet. Möglicherweise diente die Anlage als Observatorium auch der Himmelsbeobachtung durch Steinzeit-Schamanen. Fakt ist: Prähistorische Wallanlagen wie diese sind in „Nordwestdeutschland ein seltenes Phänomen“, sagt Nösler. Um das zu klären, sollen weitere Untersuchungen folgen. Ob die Anlage nach Sonne, Mond oder Sternbildern ausgerichtet war und „astronomische Hintergründe“ hat, erfordere komplexe Berechnungen. Nösler: „Die Erdachse und Sternbilder haben sich im Laufe der Zeit verschoben.“
Archäologische Funde wie geschliffene Steinbeile zeigen, dass die Region bereits seit Jahrtausenden dicht besiedelt gewesen ist. Die Archäologen haben nur 200 Meter entfernt einen „Siedlungsplatz“ aus der Jungsteinzeit (Neolithikum) entdeckt. Die Anlage ist vor 9000 Jahren aufgegeben worden. Einige dieser bedeutenden Fundstücke sind auch im Oersdorfer Schulmuseum ausgestellt. Wissen dazu gibt es jetzt vom Kreisarchäologen.

Eine Auswahl archäologischer Funde aus Oersdorf: Sie sind zum Teil mehr als 5000 Jahre alt. Foto: Landkreis Stade / Daniel Nösler
In seinem Vortrag wird Nösler auch auf neue Funde ehrenamtlicher Sondengänger eingehen. Auch selbst entdeckte Funde werden begutachtet.