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Praxis-Aus

TLandarzt (75) findet keinen Nachfolger – Beleidigt und beschimpft

Ab dem 30. Juni ist hier nach 37 Jahren Schluss mit der Hausarztpraxis von Dr. Wiebusch in Bülkau.

Ab dem 30. Juni ist hier nach 37 Jahren Schluss mit der Hausarztpraxis von Dr. Wiebusch in Bülkau. Foto: Kramp

Es ist eine bittere Pille für die Gemeinde und die Patienten in Bülkau. Ende Juni schließt der Hausarzt. Die Reaktionen schlagen über die Stränge.

Von Wiebke Kramp und Maren Reese-Winne Montag, 22.04.2024, 09:45 Uhr

Bülkau. Am Sonnabend gaben Dr. Lutz Wiebusch (75) und sein Team die Nachricht per Anzeige in der „Niederelbe-Zeitung“ die Schließung bekannt und dankten ihren Patienten für langjähriges Vertrauen. Nach 37 Jahren Praxistätigkeit als Landarzt in Bülkau geht der Allgemeinmediziner in den verdienten Ruhestand. Leicht fällt es Familie Wiebusch nicht. Schließlich bedeute dies einen wichtigen Lebensabschnitt. Sie bittet um Verständnis für diesen Schritt und hofft, dass alle ihre Patienten eine neue Praxis finden werden.

Und sie bitten um respektvollen Umgang. Aus gutem Grund: Denn nach Bekanntwerden der anstehenden Schließung habe es sogar verbale Entgleisungen und Beschimpfungen gegenüber dem Praxisteam gegeben. Auch Bürgermeister Schmitz bedauert sehr, dass es demnächst keine Hausarztpraxis in Bülkau geben wird - aber er bittet die Leute, mit diesem Thema sachlich umzugehen und in Hinsicht auf das Alter und den Gesundheitszustand des Arztes Verständnis zu zeigen.

Keine Nachfolge: Hausarztpraxis in Bülkau schließt

In den zurückliegenden zehn Jahren, davon intensiv in den letzten zwei Jahren, habe man sich aktiv um eine Nachfolgeregelung bemüht, erklärte Heike Wiebusch gegenüber unserem Medienhaus. Das blieb allerdings ergebnislos, ebenso wie letzten Endes ein Einschalten der Gemeinde. Bürgermeister Schmitz unterstrich: „,Wir haben alles versucht.“ Es habe Gespräche sowohl mit einem Investor für ein Ärztehaus gegeben als auch mit der Kassenärztlichen Vereinigung - und mit der Familie Wiebusch ohnehin. Heike Wiebusch bedauert die Schließung und Abmeldung vom Kassensitz sehr, sie vermutet: „Es will wohl keiner mehr aufs Land und Verantwortung tragen. An uns jedenfalls hat es nicht gehakt.“

Bis vor zwei Wochen hatte es noch so ausgesehen, dass sich vielleicht doch noch eine gute Lösung abzeichnet. Eine Ärztin zeigte Interesse an der Praxisübernahme. Perspektivisch gibt es sogar einen weiteren interessierten Arzt, der allerdings noch die nächsten Jahre bei der Bundeswehr unter Vertrag steht.

Familie Wiebusch hatte sich bereit erklärt, dass in ihren Räumen erst einmal weiter praktiziert werden könne, bis die Gemeinde ein eigenes Ärztehaus auf den Weg gebracht hätte. Aber die Ärztin beschloss dann doch, vom Wagnis Selbstständigkeit Abschied zu nehmen und sich dagegen zu entscheiden. Und der beruflich gebundene Arzt hätte zwar Interesse, wenigstens stundenweise zu praktizieren. Aber er kann dies aus rechtlichen Gründen nicht tun.

Sören Rievers von der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachse in Stade teilte auf Nachfrage dazu schriftlich mit: „Der interessierte Mediziner der Bundeswehr könnte stundenweise in Bülkau tätig werden. Er müsste lediglich eine gewisse Mindeststundenanzahl vor Ort erbringen, damit auch ein anteiliger Arztsitz dort verbleiben kann. Dies würde aber den Nebentätigkeitsumfang übersteigen, der durch die Bundeswehr akzeptiert werden würde. Somit besteht diese Option leider nicht.“

Und weiter heißt es seitens der KVN, dass sie den Sitz von Dr. Wiebusch bereits zwei Mal ausgeschrieben habe, aber es nur die beiden vorgenannten Interessenten gab. Wenn sich nicht doch noch kurzfristig eine andere Lösung abzeichnet, bedeutet es das Aus der medizinischen Versorgung im Ort - und darüber hinaus.

Beliebter Landarzt: Patienten kommen aus der gesamten Region

Dr. Wiebusch ist ein ebenso engagierter wie geschätzter Mediziner, dessen Patienten auch aus dem Sietland, Cadenberge und Wingst in seine Praxis nach Bülkau kommen. Bülkau Bürgermeister Schmitz hat die Hoffnung noch nicht ganz begraben. Er meinte: „Es muss doch möglich sein, dass der Hausarztsitz erhalten bleibt.“ Die KVN zeigte dabei wenig Chancen auf. Dort hieß es: „Wenn ein Arzt bzw. eine Ärztin nicht mehr tätig ist und auch mit keiner (zeitnahen) Wiederaufnahme der Tätigkeit gerechnet werden kann, wird ein Zulassungsentziehungsverfahren eingeleitet.“

Ärzte: „Es muss noch Spaß machen, den Beruf auszuüben“

Hoch her ging bei einem vom CDU-Stadtverband Cuxhaven initiierten „Stadtgespräch“ zur Sicherung der Ärzteversorgung. Zahlreiche Ärztinnen und Ärzte verfolgten die Veranstaltung, bei der unbequeme Wahrheiten angesprochen wurden.

Der oft angeführte Hinweis auf die skandinavischen Länder wurde von den Anwesenden als erstes auseinandergenommen: Die Menschen dort gingen schlichtweg weniger zum Arzt, weil sie keine Termine bekämen und sieben, acht Stunden Wartezeit die Regel seien. „Wenn das Deutschlands Zukunft ist, dann gute Nacht“, stellte Dr. Dirk Timmermann nach einschlägiger Erfahrung fest.

Der Beruf müsse so auszuüben sein, dass er noch Spaß mache, so Marc Langenbuch, Gynäkologe in Cuxhaven. Stattdessen werde die Bezahlung der Niedergelassenen so heruntergefahren, dass manche Eingriffe zum teuren Hobby würden. Die dann fällige Überweisung an eine Klinik bedeute in Wirklichkeit höhere Ausgaben und mehr Zeitaufwand. Auch die schwelende Diskussion um Selbstzahlerleistungen (Individuelle Gesundheitsleistungen = IGeL) erboste Marc Langenbuch: „Was für ein kaputtes Menschenbild, wo den Leuten nicht zugetraut wird, eigene Entscheidungen zu treffen.“

Dr. Imke Geest, Psychiaterin und Vorsitzende des Ärztevereins Cuxhaven, hatte einen konkreten Maßnahmenkatalog vorbereitet. Neuen Kolleginnen und Kollegen müssten direkt von den Vorzügen einer kleinen Stadt - Sicherheit und kurze Wege zum Beispiel - erfahren; ihnen gehöre ein roter Teppich ausgerollt; mit Unterstützung in jeder Hinsicht, vor allem in Sachen Wohnen und Kinderbetreuung, auch in Betriebskindergärten.

Ärztemangel: Lebensqualität ist das wahre Lockmittel

„Die Neuen werden nicht mit Geld gelockt, sondern mit Lebensqualität“, befand sie. Viele Kolleginnen und Kollegen - sie eingeschlossen - arbeiteten mit Leib und Seele gerne hier und seien auch bereit, dies über die Altersgrenze von 65 Jahren hinaus zu tun.

Aber auch gesellschaftlich müsse ein Bewusstsein für Gesundheit und Prävention entstehen, mit entschiedenem Schutz vor Alkohol- und Drogen, Maßnahmen gegen Fettleibigkeit und für Bewegung und Arbeit für geflüchtete Menschen als Schutz vor seelischen Krankheiten. Quälende Einsamkeit verursache ebenso Leiden und chronische Krankheit, vor allem bei Älteren.

Mit der Region identifizieren können

Statt „Honorarärzten und Ketten“ wünsche sie sich eine Versorgungslandschaft mit Kolleginnen und Kollegen in selbstständigen Praxen, die auch Nachtdienste übernähmen und sich mit der Region und den Menschen identifizierten. Wer es sich als Patient oder Patientin erlauben könne, möge außerdem über eine Privatversicherung nachdenken, auch das helfe, Praxen zu stützen.

Hausarzt Dr. Norbert Labitzke (Lüdingworth) schilderte einige Folgen der Bürokratisierung für den Praxisalltag: „Wir haben eine Datenschutz- und eine Hygienebeauftragte, eine Ersthelferin - trotz zweier Rettungsmediziner in der Praxis - und pflegen die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen direkt in das System der Krankenkassen ein.“ Obwohl Kassen durch Hausarztverträge riesige Beträge einsparten, zögerten sie nicht, im Gegenzug mit Regressforderungen auch für kleinste Kleinigkeiten zu drohen. Wenn dann die Abschaffung der Budgets in der hausärztlichen Versorgung auch noch an Abend- und Wochenendsprechstunden gebunden werden solle, ermuntere das junge Kollegen nicht zur Niederlassung.

„Miese Methode dürfen wir nicht hinnehmen“

Dass die Entbudgetisierung für Facharztpraxen bislang nicht einmal im Gespräch sei, bezeichnete HNO-Arzt Dr. Dieter Czapski (Cuxhaven) als „miese Methode, um die Gruppen auseinanderzubringen.“ Darauf dürften sie sich nicht einlassen. Die Versorgung gehöre nach wie vor in die Hand der Niedergelassenen: „Schafft uns die Strukturen, dann werden wir es schaffen.“

Die Grundlage der Bedarfszahlen (Arzt-Patientenschlüssel in den unterschiedlichen Fachrichtungen) spiegelten im übrigen kaum den Alltag wider, sondern seien nur das Ergebnis, das in den Verhandlungen zwischen Kassen und Kassenärztlichen Vereinigunge habe herausgeholt werden können, so Czapski, seit neuestem Bezirksvorsitzender des Deutschen Berufsverbands der Hals-Nasen-Ohrenärzte.

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