TLong Covid krempelt ihr Leben um – Jetzt gibt es Stress mit den Behörden

Nadine Beckmann-Kruse sieht trotz der Krankheit positiv in die Zukunft. Foto: Berlin
Die Schübe kommen ein- bis zweimal im Monat. Es fühlt sich an, als halte ihr jemand Mund und Nase gleichzeitig zu. Nadine Beckmann-Kruse leidet unter Long Covid. Und bald vielleicht unter Existenzangst, weil die Behörden zu langsam arbeiten.
Stade. Nadine Beckmann-Kruse (37) sitzt in ihrer Wohnung in Stade auf dem Sofa und erzählt ihre Geschichte. Sie ist gerade etwas angeschlagen, schnieft und hustet. Das Sprechen fällt ihr schwer. Sie macht Pausen zwischendurch. Auf dem Esstisch steht das Inhalationsgerät. Das nutzt sie täglich. Die Lunge von Nadine Beckmann-Kruse arbeitet seit der schweren Erkrankung nur noch mit halber Kraft.
Das TAGEBLATT hat über ihr anderes Leben seit der Covid-Erkrankung bereits zweimal geschrieben. Wie sie sich als Medizinische Fachangestellte der Elbe Kliniken vor etwa drei Jahren bei einer älteren Dame ansteckte, wie Covid ihr Immunsystem nahezu zerstörte, wie Long Covid ihr Leben aus den Fugen geraten ließ, wie sie ihren Alltag komplett umkrempelte und trotz alledem eine lebenslustige Frau blieb. In einer TV-Reportage war sie Protagonistin. Schätzungsweise jeder zehnte Covid-Infizierte in Deutschland erlebt später chronische Krankheiten.
Es gibt keine richtige Therapie und keine Prognosen
Heute kämpft sie nicht nur gegen die Krankheit mit dem Fieber, dem Herzrasen, den Muskelschmerzen, der Atemnot oder dem Nebel im Kopf. Nach einer Überlastung kann sie nicht einmal ihre Haare föhnen, Zähneputzen oder eine Wasserflasche öffnen. Es gibt weder eine richtige Therapie, noch Medikationen oder Prognosen. Gewissheit hat Nadine Beckmann-Kruse allerdings, dass es wahrscheinlich nicht mehr besser wird. Und Sorgen bereitet ihr vor allem die Bürokratie.
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Nadine Beckmann-Kruse ist krankgeschrieben. Aus Long Covid hat sich bei der Mutter von drei Kindern eine neurologische Erkrankung entwickelt. Das chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS). In Deutschland sollen von der schwersten Form von Post-Covid etwa 250.000 Menschen betroffen sein. An Arbeit ist nicht mehr zu denken bei den Symptomen. Sie lebt momentan nur von einem Bruchteil ihres vorherigen Einkommens.
Die Rente lässt lange auf sich warten
Seit einem Jahr wartet Nadine Beckmann-Kruse nach eigenen Angaben auf eine Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung. Gemeinsam mit ihren behandelnden Ärzten und den Fachleuten der Post-Covid-Ambulanz hat sie eine Teil-Erwerbsminderungsrente beantragt. Noch länger wartet die Staderin laut ihrer Aussage auf eine Regung der Berufsgenossenschaft (BG).
Die BG habe sie bereits für „komplett berufsunfähig“ erklärt. „Aber wenn es darum geht, Geld auszuschütten, geht es einfach nicht weiter“, sagt Nadine Beckmann-Kruse. Langsam gehe es an die Substanz. „Finanziell wird es knapp“, sagt sie. Aufgrund von Post-Covid, so Nadine Beckmann-Kruse, würden viele Menschen unverschuldet in Armut geraten.
Eine Hilfskraft hilft einmal pro Woche im Haus
Bezahlt habe die BG aber die unzähligen Therapien. Nadine Beckmann-Kruse atmete reinen Sauerstoff durch eine Maske unter Überdruckbedingungen. Sie nahm an einer Studie teil, die erforschen sollte, ob Alzheimer-Medikamente helfen. Sie versuchte es auf homöopathischen Wegen, mit speziellen Vitaminen und vielen anderen Dingen. Effekte erzielt haben die ganzen Versuche nicht. Die Pflegekasse gewährte Nadine Beckmann-Kruse eine Hilfskraft. Einmal pro Woche hilft die Mitarbeiterin im Haushalt.
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Telefonisch habe sie bereits Zusagen der Behörden auf finanzielle Unterstützung erhalten. Aber auf dem Konto ging noch nichts ein. Bei einem Amt fehlten angeblich Papiere. „Es stellte sich heraus, dass sie sechs Monate lang auf einem falschen Stapel lagen“, sagt Nadine Beckmann-Kruse. Dabei sollen angeblich 16 Diagnosen auf ihrem Arztzettel stehen. Weil die Atteste der Ärzte mittlerweile zu alt geworden sind, müssen sie für einen positiven Bescheid neu geprüft werden. „Egal bei welchem Antrag, irgendwo ist immer was schiefgelaufen. Ich habe immer Pech“, sagt Nadine Beckmann-Kruse.
Menschen mit ähnlichen Krankheitsverläufen haben längst die Zusagen von den Behörden. Das weiß sie aus einer Selbsthilfegruppe. Rechtsbeistände und Ärzte, die Nadine Beckmann-Kruse helfen, schlagen die Hände über dem Kopf zusammen und können sich die Verzögerungen auch nicht erklären.
Patientin schätzt kleine Momente des Lebens
Sie sagt, dass sie trotz alledem positiv nach vorne schaut, dass sie versucht, das Beste aus ihrer Lage zu machen, glücklich zu sein. Nadine Beckmann-Kruse weiß die kleinen Momente im Leben zu schätzen, die Momente mit ihren Kindern. „Unser Leben hat sich um 180 Grad gedreht. Wir versuchen, jetzt alles aus einem anderen Blickwinkel zu sehen“, sagt Nadine Beckmann-Kruse.
Bei all dem, was Nadine Beckmann-Kruse erlebt, fällt die Kritik an den Behörden ihrem lebensbejahenden Motto entsprechend moderat aus. Die 37-Jährige verflucht auch nicht den Tag, damals im Januar 2021, an dem ihre Schutzmaske beim Behandeln einer Patientin verrutscht war und sie sich schließlich ansteckte. Verbittert ist sie nicht. Aber sie vermisst ihre Kollegen, sie vermisst das unbeschwerte Leben, das manchmal „naive leben in den Tag hinein“. Sie wollte Sängerin und Songwriterin werden, wollte ihr Hobby zum Beruf machen. Viele Jahre verbrachte sie damit, in der Musikszene in Deutschland und Europa Kontakte zu knüpfen. Aber zum Singen fehlt die Luft.
Freunde hat Nadine Beckmann-Kruse in der Selbsthilfegruppe gefunden. Einmal im Monat treffen sich die Long-Covid-Betroffenen in Horneburg. Die Selbsthilfekontaktstelle KIBIS im Paritätischen hat die Gruppe ins Leben gerufen. Heute ist Nadine Beckmann-Kruse die Vorsitzende der Gruppe. Die Männer und Frauen reden viel, tauschen ihre Erfahrungen aus, lösen Probleme, hören Vorträge und gehen zum Entspannen im Wald. „Die Krankheitsbilder der Menschen sind alle ähnlich“, sagt Nadine Beckmann-Kruse.
KIBIS fordert „stille Stunde“ in Supermärkten
Die Selbsthilfegruppe und KIBIS versuchen, in Stade eine sogenannte „stille Stunde“ beim Einkaufen zu erwirken. Supermärkte dimmen dann das Licht, drehen die Hintergrundmusik ab, verzichten auf Werbedurchsagen und lassen die Kassen nicht piepen. Denn Menschen wie Nadine Beckmann-Kruse können sich in einem Wust von Einflüssen noch schlechter konzentrieren. Selbst Dinge, die auf ihrem Einkaufszettel stehen, vergisst sie manchmal. Am Kühlschrank in ihrer Küche hängt an einer Magnettafel eine Liste mit Dingen, die sie am Tag erledigen muss.
„Die meiste Kraft geben mir meine drei Kinder“, sagt Nadine Beckmann-Kruse. Die Krankheit schließt sie vom normalen Leben aus. Sie redet darüber in der Selbsthilfegruppe und im TAGEBLATT. So habe sie ein bisschen das Gefühl, nicht ganz zu verschwinden.
Der „Tag X“, wie sie ihn nennt, wird irgendwann kommen. Der Tag, an dem Behörden ihren Anträgen zustimmen.
Aber viel lieber wäre sie gesund.