TMesser-Überfall: War ein 23-Jähriger Beobachter oder Täter?

Der mutmaßliche Tatort am Döser Seedeich: Mehrfach kam die Rede am jüngsten Verhandlungstag auf die im Bild zu erkennenden Altglas-Container. Foto: Knappe
Ein 23-Jähriger steht nach einem brutalen Überfall am Deich in Cuxhaven-Döse vor dem Landgericht Stade. Die Aussagen der Zeugen werfen jedoch neue Fragen auf.
Cuxhaven. Gemeinsam mit einem unbekannten Mittäter soll ein 23-jähriger Angeklagter im September 2024 einen anderen jungen Mann am Deich in Döse überfallen und schwer verletzt haben. Am zweiten Prozesstag hörte die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Stade mehrere Arbeitskollegen des Opfers. Den eigentlichen Tathergang konnten sie nicht beschreiben, wohl aber das Verhalten des Angeklagten bis zum Eintreffen der Polizei.
In den Tagen nach der Tat war in der Belegschaft eine Menge geredet worden. Irgendjemand meinte zu wissen, dass es Ärger zwischen dem Tatopfer (22) und einem weiteren im Lokal beschäftigten Spüler gegeben habe. Ob das stimme oder nur ein Gerücht gewesen sei, vermöge er nicht zu sagen, betonte der Zeuge.
Wie zwei seiner Kollegen war der Restaurantfachmann am Mittwoch vor der 1. Großen Strafkammer befragt worden. Aus Sicht der Prozessbeteiligten handelt es sich bei den dreien um wichtige Beobachter - waren sie doch dem Geschädigten beigesprungen, nachdem sie Hilferufe gehört und auf diese Weise bemerkt hatten, dass es unterhalb des Deiches in irgendeiner Form „Stress“ gab.
Das bedeutet allerdings auch: Den tatsächlichen Angriff, bei dem der bereits auf dem Heimweg befindliche Tellerwäscher mit zwei Messerstichen gefährlich verletzt wurde, haben die Mitarbeiter des Lokals ebenso wenig gesehen wie einen zweiten mutmaßlichen Täter, der nicht ermittelt und auch am zweiten Verhandlungstag vor dem Landgericht Stade nur mit einem Vornamen bezeichnet werden konnte.
„Nach meinem Gefühl ist er freiwillig mitgekommen“
Für den gewalttätigen Überfall aus dem Jahr 2024 muss sich im laufenden Verfahren also nur einer verantworten: Auf der Anklagebank sitzt ein 23-jähriger Mann, den die Zeugen am Tatabend angetroffen hatten - in einer Situation, in welcher der Genannte vom Tatopfer verfolgt wurde.
Ein Zeuge schilderte, dass er den Flüchtenden angewiesen habe, stehenzubleiben; eine Aufforderung, welcher der Beschuldigte offenbar nachkam. Als weitere Arbeitskollegen und das Tatopfer hinzukamen und sich das Geschehen zurück zum Restaurant verlagerte, sei der Beschuldigte anstandslos zum Lokal gefolgt.
„Nach meinem Gefühl ist er freiwillig mitgekommen“, entschied eine 34-jährige Angestellte, auf eine entsprechende Nachfrage im Gerichtssaal antwortend.
23-Jähriger will nur Beobachter gewesen sein
Aus Sicht von Strafverteidiger Thiemo Röhler ist Kooperationsbereitschaft ein ebenso bedeutsamer Hinweis wie der Umstand, dass sein Mandant das Eintreffen der Polizei abwartete - also keinerlei Anstalten machte, über den nahen Strand das Weite zu suchen.
Der 23-Jährige - mutmaßlich ein Cousin des Rivalen aus der Spülküche - soll zu diesem Zeitpunkt bereits den in englischer Sprache vorgebrachten Anschuldigungen des stark blutenden Opfers („Er hat mich geschlagen“, „Er hat mein Handy gestohlen“) widersprochen haben.
Dass er nicht Täter, sondern nur Beobachter einer Auseinandersetzung gewesen sei, hatte er schon an Tag 1 des Verfahrens erklären lassen - und ein Verständigungsgebot der Kammer unter Verweis auf seine angebliche Unschuld ausgeschlagen.
Raubvorwurf scheint sich nicht zu bestätigen
Am Mittwochmorgen kam der Kammervorsitzende abermals auf die Möglichkeit eines Agreements (Straferleichterung beziehungsweise Entlassung aus der U-Haft gegen Geständnis) zu sprechen. Zuvor hatte Richter Erik Paarmann zu erkennen gegeben, dass sich ein in der Anklageschrift formulierter Raub-Vorwurf eventuell nicht werde halten lassen: Ein Mobiltelefon, das dem 22-Jährigen entrissen worden war, hatten der oder die Täter nämlich gleich wieder fortgeworfen - sei es, weil sie von ursprünglichen Plänen Abstand genommen oder von Haus aus etwas ganz anderes im Sinn gehabt hatten.
Sollte der Anklagepunkt des „gemeinschaftlichen besonders schweren Raubes“ kippen, wäre der Beschuldigte aber keineswegs aus dem Schneider. „Es kommt auch eine alleinige Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung in Betracht“, ließ Paarmann die Prozessparteien wissen.
Dabei deutete er an, dass im Fall eines Schuldspruchs mit einer empfindlichen Strafe zu rechnen sei. Denn selbst wenn das Opfer die Messerstiche laut Zeugenaussagen zunächst als Hiebe interpretierte: Es war eine Klinge, die Schulter- beziehungsweise Thoraxbereich getroffen und dem Geschädigten schwere Verletzungen beigebracht hat.
Der Angeklagte allerdings blieb am jüngsten Verhandlungstag bei seiner bisherigen Version; seinem Verteidiger gelang es, nochmalige Bedenkzeit bis zum nächsten Sitzungstermin auszuhandeln.