TMesserattacke am Fleisch-Fließband: Sind die Arbeitsbedingungen Schuld?

In einer Fleischerei zerlegt ein Metzger einen zuvor geschlachteten Ochsen. Foto: Guido Kirchner/dpa
Sind Stress und Druck Schuld an einer Messerattacke in einem Fleischbetrieb im Kreis Cuxhaven? Das Amtsgericht Geestland sieht einen Zusammenhang.
Geestland. Die Richterin am Amtsgericht Geestland findet deutliche Worte: „Die schlechten Arbeitsbedingungen im Unternehmen können fast schon als mildernde Umstände gewertet werden“, so die Juristin in ihrer Urteilsbegründung am Ende des Prozesses um einen Messerangriff in einem Fleisch verarbeitenden Betrieb im Cuxland.
Zumindest würden der Zeitdruck und die Verstöße gegen den Arbeitsschutz das Motiv des angeklagten 36-jährigen Fleischzerteilers teilweise erklären. Der Vorwurf lautet auf schwere Körperverletzung.
Übergriffe gegen den Geschädigten
Das Schöffengericht kommt zu dem Schluss, dass der Rumäne im August 2022 einen 63-jährigen Kollegen aus Polen beim Fleischsortieren absichtlich mit einem Messer schwer an der Hand verletzt hat.
Nach übereinstimmenden Aussagen sind die beiden Männer bei der Arbeit wiederholt in Streit geraten. Bereits in der Vergangenheit soll der Angeklagte seinen Kollegen geschlagen und gewürgt haben.
Streit um zu viel Fleisch auf dem Fließband
An diesem Tag legt der Geschädigte auf ein Fließband immer mehr Fleisch, das der Angeklagte klein schneiden soll. Zu viel, wie mehrere Mitarbeiter aussagen. Doch die Arbeit muss erledigt werden. „Und das Band läuft und läuft und läuft“, sinniert der Staatsanwalt. Nachvollziehbar, dass man da wütend werden kann.
Bittere Ironie: An Tagen, an denen das Unternehmen von den Behörden kontrolliert wird, soll das Fließband nach Angaben von Zeugen langsamer laufen.
Bereits zuvor hat der Angeklagte dem Geschädigten gesagt, er möge langsamer machen. Keine Reaktion. Schließlich, so die Richterin, geht der Angeklagte wutentbrannt zu seinem Kollegen und sticht mit seinem rasiermesserscharfen Arbeitsmesser zu.
Der Angegriffene kann die Klinge gerade noch mit der rechten Hand abwehren. Mit der Folge, dass Sehnen und Nerven bis auf die Knochen durchtrennt werden. Im Unternehmen soll der Vorfall nach Angeben des Geschädigten zunächst vertuscht werden.
Kollegen kümmern sich nicht um den Verletzten
Erst seine Frau, die ebenfalls in dem Betrieb arbeitete, wählt den Notruf und ruft die Polizei. Der Rettungshubschrauber bringt den Schwerverletzten zunächst ins Krankenhaus nach Bremerhaven und dann nach Hamburg, wo er dreimal operiert wird.
Der Mann muss mehrere Wochen in der Klinik bleiben. Das Gefühl in seiner rechten Hand ist Monate später immer noch schwer gestört. Besserung ist nicht in Sicht. Er kann nicht einmal einen Stift halten oder sich anziehen. Inzwischen gilt er als arbeitsunfähig und wartet auf seine Frühverrentung.
Angeklagter spricht von Arbeitsunfall
Der Angeklagte hingegen streitet ab, seinen Kollegen absichtlich verletzt zu haben. Ihm zufolge war es im Streit zu einer Rangelei zwischen den beiden gekommen. Das Messer habe er dabei nur zufällig in der Hand gehabt und den Geschädigten versehentlich verletzt. Ein Arbeitsunfall also, der ihm leidtäte. Sein Verteidiger plädiert auf Freispruch
Doch für die Richterin sind die Schilderungen nur Schutzbehauptungen. Das Gericht verurteilt den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung und folgt damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Zudem muss er dem Geschädigten 8000 Euro Schmerzensgeld zahlen.
Nach dem Angriff wurde weitergearbeitet
Was die Anwältin des Geschädigten besonders empört: Nach dem Messerstich kümmert sich der Angeklagte nicht um seinen verletzten Kollegen, sondern arbeitet einfach weiter. Dabei sehen die Richtlinien zum Arbeitsschutz vor, dass alle Tätigkeiten nach einer Verletzung eingestellt werden müssen. Nicht einmal sein Messer soll der Angeklagte nach dem Angriff gereinigt haben.