TMillionen Euro versenkt: Warum die neunte Elbvertiefung ein Fehler war

Das rund 400 Meter lange Containerschiff „Ever Art“ der Reederei Evergreen passiert von der Nordsee aus kommend Altenbruch auf der Fahrt Richtung Hamburger Hafen. Foto: Heimken/dpa
UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer: Immer wieder wird auf Bedrohungen der Naturlandschaft aufmerksam gemacht. Ein Aspekt kommt zu kurz: die Baggermengen aus dem Ausbau und der Unterhaltung der Tideflüsse an der Nordsee.
Cuxhaven. Seit 15 Jahren ist das Wattenmeer UNESCO-Weltnaturerbe. Da wird auch an Bedrohungen der Naturlandschaft erinnert: Bohrungen zur Exploration von Gasvorkommen, Seekabelverlegungen, Windkraftanlagen auf See.
Klaus Schroh, Cuxhavener Schifffahrtsexperte von NABU und Bürgerinitiative „Regionaler Widerstand gegen die Elbvertiefung“, kommt ein Aspekt zu kurz: die Baggermengen aus Ausbau und Unterhaltung der Tideflüsse an der Nordsee. Jährlich würden mindestens 80 Millionen Kubikmeter im Mündungsgebiet von Ems, Jade, Weser und Elbe verklappt im Nahbereich der Nationalparks beidseitig der Hauptfahrwasserrouten. Besonders sei die Elbmündung mit 40 bis 45 Millionen Kubikmeter betroffen, die im Hamburger Hafenraum und auf der Elbe gebaggert werden.
Meereskundliche Schutzverpflichtungen
Die Schlickversenkungen seien mit meereskundlichen Schutzverpflichtungen unvereinbar, so Schroh im Schreiben ans gemeinsame Büro des Weltnaturerbes Wilhelmshaven. Versenkung von Baggergut im Bereich der vorgesehenen Klappstellen führe zu großräumigen Versiegelungen des Meeresbodens. Bei Tonne E 3 vor Helgoland seien jährlich in den vergangenen Jahren drei bis vier Millionen Kubikmeter Hamburger Aushub versenkt worden. Am Meeresboden seien Schichtstärken von mindestens 25 Zentimetern im Umkreis von drei bis vier Seemeilen (7,5 Kilometer) realistisch.
Jährlich bis zu 14 Millionen Kubikmeter Sediment
Jährlich würden im Hamburger Bereich bis zu 14 Millionen Kubikmeter Sediment gebaggert. Reduzierung der Mengen, im Planfeststellungsbeschluss zur Fahrrinnenanpassung angestrebt, sei nicht erfolgt und unrealistisch. Prüfungs- und Genehmigungsverfahren für alternative Verbringungsstellen fürs Material in der Nordsee, in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) westlich Helgolands und der Tiefwasserreede im niedersächsischen Küstenmeer nördlich von Langeoog, könnten sich über Jahre hinziehen.
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Dass Schleswig-Holsteins Umweltminister Hamburg erneut den Antrag „Verklappung bei Tonne E 3“ genehmigt, werde sich wohl fortsetzen. Bei den Einbringungsorten sorge feinkörniges Materials dafür, dass sich nahe der Schlickversenkung dicke Schlicklinsen über den Meeresgrund mit der aquatischen Bodenfauna ausbreiten - dortigen Lebewesen werde die Existenzgrundlage entzogen, so Schroh.
Alte Wassertiefen waren völlig ausreichend
Mit Grausen müsse man zusehen, welche gigantischen Baggerkosten vom Bund und Hamburg aufgebracht werden müssten. Tiefgangsstatistiken großer Containerschiffe beweisen, dass Wassertiefen nach der 8. Elbvertiefung ausreichend gewesen seien.
Ordne man jährliche Vertiefungskosten den wenigen, tief gehenden Containerschiffen seit der 9. Elbvertiefung zu, sei das Ergebnis verheerend. Im ersten Halbjahr 2024 passierten 378 Schiffe mit Kapazität von mehr als 8.000 TEU (Standardcontainer) die Tideelbe, darunter etliche mit 400 Metern Länge und mehr. Der durchschnittliche Tiefgang betrug gut zwölf Meter. Bei voller Auslastung betragen maximale Tiefgänge großer Containerschiffe bis zu 17 Meter.
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Nur elf große Transport-Schiffe (mehr als 400 Meter Länge) hätten den 2010 maximal möglichen Tiefgang von 14,10 Metern minimal überschritten - sie befahren die Unterelbe mit einer Subvention von 25 Millionen Euro pro Schiff. Überprüfung dieses finanziellen Aufwands für Steuerzahler finde nicht statt.
Zukunft der Tideelbe „hochgradig gefährdet“
Schroh sehe die Zukunft der Tideelbe „hochgradig gefährdet“. Es seien mehr als 1,5 Milliarden Euro für Elbvertiefung verschwendet worden. Bedauerlich, dass die Tideelbe um 1,50 Meter vertieft wurde und nun Kosten von 250 Millionen Euro pro Jahr bei der Schifffahrtsverwaltung des Bundes und der Hamburger Hafenbehörde HPA für Unterhaltung der ausgebaggerten Fahrrinne und den Hafen anfielen. Gleichzeitig blieben Tiefgänge der Containerschiffe weit hinter den Erwartungen zurück. Nach der 8. Elbvertiefung habe die jährliche Baggermenge im Hafen und der Tideelbe etwa 20 Millionen Kubikmeter betragen - nach der 9. Vertiefung habe sich die Baggermenge verdoppelt. Wegen nicht genutzter Tiefgänge erweise sich die jüngste Fahrrinnenanpassung als überflüssig. Sie werde nicht zu mehr Containerumschlag in Hamburg beitragen. Statt der 2007 im Planfeststellungsbeschluss prognostizierten 25 Millionen TEU ging der Umschlag 2023 auf 7,7 Millionen TEU zurück.
Aufwendige Unterhaltung kaum zu rechtfertigen
Die aufwendige Unterhaltung der Fahrrinne durch Saugbagger sei kaum zu rechtfertigen, zumal der aquatischen Artenvielfalt unwiederbringlicher Schaden zugefügt werde - Meeresschutz und Übermaß an Baggerarbeiten seien unvereinbar. Laut NABU-Experten könne es keine umweltfreundliche Umlagerung der Hamburger Baggermassen auf dem Neuen Lüchtergrund nahe Cuxhaven im Bereich der Tonne E3 oder in der AWZ geben. (lit)