TMit Schwerbehinderung auf Jobsuche: Betroffene berichten

Ein Fahrstuhl ist ein Anfang: Wilfried Vagts und Iris Fehling fordern, dass Arbeitgeber ihre Pflicht erfüllen und mehr schwerbehinderte Arbeitnehmer und Azubis beschäftigen. Foto: Alexandra Bisping
Der Fachkräftemangel ist groß. Selten gab es so viele offene Stellen wie jetzt. Dennoch scheinen Arbeitgeber häufig einen großen Bogen um Jobsuchende und Azubis mit Schwerbehinderung zu machen. Dabei gibt es für Unternehmen einige Vorteile.
Stade. Wie es ist, sich als Schwerbehinderte zu bewerben, davon kann Iris Fehling ein Lied singen. „In der Regel habe ich das in meinen Bewerbungen gar nicht mehr angegeben“, sagt sie. Schwerbehinderte, so ihre Erfahrung, „werden sofort aussortiert“. Iris Fehling ist Vertreterin der Frauen, Gleichstellung und Integration, beim Sozialverband VDK Stade. Seit drei Jahren ist sie im Vorstand.
Die 62-Jährige arbeitet in der Buchhaltung eines Großhändlers in Teilzeit. Einmal sei sie in einer Anstellung gekündigt worden. „Das läuft dann über das Integrationsamt“, sagt sie. Unkompliziert - alle Beteiligten hatten zugestimmt. Das Gerücht, schwerbehinderte Arbeitnehmer seien unkündbar, kann sie nicht bestätigen.
Schwerbehinderte Arbeitslose versus Arbeitskräftemangel
Auch Wilfried Vagts bestätigt das nicht. Er ist Vorsitzender des Sozialverbands VdK in Stade. Es gebe einen besonderen Kündigungsschutz, die Zustimmung des Integrationsamtes ist nötig. Aber unkündbar seien sie nicht. Vagts will sich im Landkreis für die Teilhabe Schwerbehinderter am Arbeitsleben einsetzen. Unternehmen sollten endlich ihre Behinderten-Arbeitnehmerquote erfüllen und mehr behinderten Azubis Plätze anbieten. Davon profitieren die Arbeitgeber, sagt Vagts. Es sei erwiesen, dass sich Behinderte bei der Arbeit „besonders ins Zeug legen“.
7,8 Millionen schwerbehinderte Menschen leben in Deutschland. Laut Statista lag die Arbeitslosenquote Schwerbehinderter 2023 bei 10,8 Prozent und bei Menschen ohne Behinderung bei 5,7 Prozent. Dabei müssten nach dem Sozialgesetzbuch Schwerbehinderte gute Chancen haben.
Arbeitgeber mit mehr als 20 Arbeitsplätzen sind verpflichtet, die Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben zu fördern. Mindestens fünf Prozent der 20 oder mehr Plätze sollten mit Schwerbehinderten besetzt werden. Freie Stellen gibt es reichlich: 1,8 Millionen sind laut DIHK (Deutsche Industrie- und Handelskammer) in Deutschland unbesetzt.
Was Arbeitgebern häufig an Information fehlt
Wer als Arbeitgeber also sein Soll nicht erfüllt, zahlt eine Ausgleichsabgabe - zwischen 140 und 360 Euro monatlich pro unbesetztem Arbeitsplatz. Wilfried Vagts vermutet, dass viele Arbeitgeber lieber zahlen, als sich über Fördermöglichkeiten zu informieren. Oder dass es daran scheitert, dass es von entsprechenden Einrichtungen zu wenig Info-Material gibt. Dabei kann allein das Gehalt bis zu 70 Prozent gefördert werden und wird im Regelfall bis zu 24 Monate gewährt.
Der Stader ist selbst schwerbehindert. Beruflich war er in der Stuttgarter Stadtverwaltung „gut untergekommen“. Nach seiner Verrentung kehrte Vagts nach Stade zurück. Und findet, dass sich einige Institutionen mehr engagieren könnten, auch für schwerbehinderte Azubis.
Das sagen Kammern und Arbeitsagentur
Bei der IHK Stade für den Elbe-Weser-Raum berät Eike Thiel zum Thema Arbeitsrecht und schwerbehinderte Arbeitnehmer. „Wir beraten unsere Mitglieder, weisen aber nicht gezielt auf die Einstellung Schwerbehinderter hin“, sagt er. „Wir begrüßen es natürlich, wenn Schwerbehinderte eingestellt werden.“ Dann werde aber auch auf eingeschränkte Kündigungsmöglichkeiten und fünf Tage pro Jahr mehr Urlaub hingewiesen.
Seine Kollegin Sonja Tiedemann, Bereichsleitung Bildungsservice in der Abteilung Aus- und Weiterbildung, sagt: „Wir fordern Mitglieder schon auf, diesen Azubis eine Chance zu geben.“ Es gebe viele motivierte junge Menschen, die Unternehmen immer wieder bereichern würden. „Pauschale Angebote können wir nicht machen, denn Beratung ist immer sehr individuell.“ Ansonsten würden Schwerbehinderte behandelt wie alle anderen Azubis auch.
„Wir fördern es nicht proaktiv“, sagt Kim Katharina Koch, zuständig für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit bei der Kreishandwerkerschaft Stade. Mit Betrieben werde sich aber über schwerbehinderte Arbeitnehmer schon ausgetauscht.
„Wenn möglich, werden schwerbehinderte Arbeitnehmer angeboten“, sagt Christian Ludwig, Pressereferent der Bundesagentur für Arbeit. In der Regel seien sie hochqualifiziert. „Wir wissen aber auch, dass schwerbehinderte Menschen es in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten schwerer haben, eine neue Arbeitsstelle zu finden.“ Interessierte Arbeitgeber würden über Fördermöglichkeiten und umfangreiche Unterstützung beraten.
Abhilfe schaffen im Bereich fehlende Infos für Arbeitgeber könnten auch die kürzlich von der BIH (Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen) eingerichteten EAA, die Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber - als Beratungsstellen für den inklusiven Arbeitsmarkt.