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Tag der Arbeit

TMüssen wir länger arbeiten? Zum 1. Mai reden Betriebsräte Klartext

Gruppenfoto in der TAGEBLATT-Druckerei: Kai Holm, Bernd Rohde-Brandenburg, Christian Deppe, Marina Tudyka, Dirk Wilhelmi, Nina Witting, Udo Alpers, Tamer Yüksel und Udo Oellrich.

Gruppenfoto in der TAGEBLATT-Druckerei: Kai Holm, Bernd Rohde-Brandenburg, Christian Deppe, Marina Tudyka, Dirk Wilhelmi, Nina Witting, Udo Alpers, Tamer Yüksel und Udo Oellrich. Foto: Richter

Wird der 1. Mai seiner Bedeutung als Tag der Arbeit noch gerecht? Um darüber zu sprechen, hat das TAGEBLATT Arbeitnehmervertreter aus dem Kreis Stade zum Gespräch eingeladen. Die Antworten erstaunen.

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Von Anping Richter
Dienstag, 29.04.2025, 18:00 Uhr

Landkreis. Vorweg stellen die Betriebsräte klar: Der freie Tag ist schön und gut. Doch am 1. Mai auf den Kampf für die Rechte der Arbeitnehmer aufmerksam zu machen, sei wichtig. Es komme darauf an, die Arbeitswelt mitzugestalten, heute mehr denn je.

Mit am Tisch im Stader Pressehaus sitzen Kai Holm (Elbe Kliniken, 2000 Mitarbeiter im Landkreis Stade), Tamer Yüksel (Airbus Stade, 2200 Mitarbeiter), Dirk Wilhelmi (AOS, 520 Mitarbeiter), Nina Witting (DRK-Seniorenheime Buxtehude, Stade und Harsefeld, 350 Mitarbeiter), Marina Tudyka (24 DRK-Kitas, Konzernbetriebsrat des DRK, 2000 Mitarbeiter), Bernd Rohde-Brandenburg (Olin, 400 Mitarbeiter), Christian Deppe (Dow, 1150 Mitarbeiter), der Personalratsvorsitzende Udo Alpers (Sparkasse Stade-Altes Land, 350 Mitarbeiter) und Udo Oellrich (Telekom,1000 Mitarbeiter im Norden und Verdi-Kreisvorsitzender). Das sind ihre Themen in den Betrieben.

1. Der Kampf um den Achtstundentag geht weiter

Den ersten offiziell eingeführten Achtstundentag mit vollem Lohnausgleich gab es im April 1856 in Australien, erkämpft von Steinmetzen und Gebäudearbeitern mit einem Demonstrationsmarsch zum Parlament in Melbourne.

In Deutschland steht der Achtstundentag jetzt wieder zur Debatte. Der Koalitionsvertrag sieht vor, die tägliche Höchstarbeitszeit zugunsten einer Wochenarbeitszeit von 48 Stunden abzuschaffen.

„Egal, wo es hingeht: Für die Pflege kann es nur besser werden“, sagt Nina Witting vom DRK. Kai Holm von den Elbe Kliniken erklärt, dass das Gesetz für Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser schon jetzt Ausnahmen zulässt: „Wir arbeiten 10 Stunden, in bestimmten Fällen sogar 12 Stunden, wenn die Lage es erfordert.“

Marina Tudyka (links, 24 DRK-Kitas, Konzernbetriebsrat des DRK), Nina Witting (DRK-Seniorenheime Buxtehude, Stade und Harsefeld).

Marina Tudyka (links, 24 DRK-Kitas, Konzernbetriebsrat des DRK), Nina Witting (DRK-Seniorenheime Buxtehude, Stade und Harsefeld). Foto: Strüning

Der Druck nimmt zu, auch in anderen Branchen, sagt Bernd Rohde-Brandenburg von Olin. Für ihn ist es der logische Schluss aufgrund des Fachkräftemangels: „Wenn wir keine Leute mehr finden, müssen die anderen länger bleiben.“ Deshalb ist er dafür, dass Überstunden steuerfrei ausgezahlt werden. Das signalisiere dem Arbeitnehmer: „Wenn du mehr leistet, kriegst du auch was dafür.“

„Arbeitnehmer werden auch verheizt“, gibt Marina Tudyka vom DRK zu bedenken. Ein Familienvater, der Alleinverdiener ist, sei natürlich versucht, 48 Stunden zu arbeiten. Für sie sei die Frage, was zumutbar ist und ob und wie ein Arbeitnehmer das für sich selbst begrenzen könne.

Dirk Wilhelmi, Betriebsrat bei AOS.

Dirk Wilhelmi, Betriebsrat bei AOS. Foto: Strüning

Die Acht-Stunden-Regelung sei nicht da, damit die Menschen weniger arbeiten, sondern damit sie gesund bleiben, sagt Udo Oellrich. „Bei uns fällt nach acht Stunden der Hammer. Fertig“, sagt Dirk Wilhelmi von AOS. Darauf achte der Betriebsrat.

2. Fachkräftemangel und Homeoffice

„Ist bei euch Homeoffice möglich?“ Die Frage komme bei jedem Einstellungsgespräch, berichtet Tamer Yüksel von Airbus. Bei der Sparkasse Stade-Altes Land sei Homeoffice auf 40 Prozent der Arbeitszeit begrenzt. Wer es gar nicht anbiete, sei nicht mehr attraktiv, sagt Udo Alpers, und sie suchten händeringend.

Tamer Yüksel von Airbus (rechts) und Bernd Rohde-Brandenburg von Olin.

Tamer Yüksel von Airbus (rechts) und Bernd Rohde-Brandenburg von Olin. Foto: Strüning

Wie Marina Tudyka berichtet, dürfen auch Erzieher Vorbereitungszeit als mobile Arbeitszeit zu Hause erledigen. Tamer Yüksel warnt aber auch: „Wenn du dem Arbeitgeber zeigst, dass du deine Arbeit auch zu Hause erledigen kannst, öffnest du Tür und Tor für Outsourcing.“ Bernd Rohde-Brandenburgs Einwand: „Bei zu viel Homeoffice fehlt das Zwischenmenschliche, die Türrahmengespräche. Man entfremdet sich.“

Der Arbeitsdruck ist gestiegen - auch wegen des Fachkräftemangels. „Um 6 Uhr fängst du an, um 8 Uhr ist Frühstück. Das wollen alle 40 Bewohner am liebsten gleichzeitig, und du bist zu dritt“, beschreibt Nina Witting einen typischen Arbeitsmorgen im Pflegeheim. Sie wünscht sich insgesamt mehr Wertschätzung für alle Berufe.

Wie Udo Alpers berichtet, ergab eine Umfrage im öffentlichen Dienst - von Krankenhaus über Sparkasse bis Bauhof - dass die Belastung aufgrund fehlender Kräfte so groß ist, dass viele für mehr Freizeit auch auf Geld verzichten würden.

3. Nachwuchssuche und Nachwuchssorgen

„Bei uns ging es nach der Wirtschaftskrise 2008 erstmals rapide runter“, berichtet Udo Alpers von der Sparkasse Stade-Altes Land. Bis dahin habe es bei den Bankkaufleuten „ohne Ende“ Bewerber gegeben. Heute seien bis zur letzten Woche vor Ausbildungsbeginn Plätze offen.

Die Kollegen von Olin und Dow nicken. Sie merken, dass auch die Chemiebranche für junge Leute nicht mehr so attraktiv ist wie früher. Ihre Arbeitgeber müssten viel aktiver und zeitgemäßer um junge Leute werben, finden sie.

Sogar bei Airbus geht die Zahl der Bewerbungen zurück, berichtet Tamer Yüksel. Bei den Notendurchschnitten wurde die Hürde schon leicht gesenkt. Neu sei, dass es drei Exmatrikulationen in den dualen Studiengängen gab: „Das hatten wir noch nie.“ Seit Corona sei es bergab gegangen mit Disziplin, Pünktlichkeit, Belastbarkeit. Und Work-Life-Balance habe für die junge Generation einen viel höheren Stellenwert als für die vor ihnen - da sind sich alle einig.

Udo Alpers (links, Sparkasse Stade-Altes Land, 350 Mitarbeiter) und Kai Holm (Elbe Kliniken).

Udo Alpers (links, Sparkasse Stade-Altes Land, 350 Mitarbeiter) und Kai Holm (Elbe Kliniken). Foto: Strüning

Im Elbe Klinikum gab es früher auf 25 Ausbildungsplätze in der Pflege 100 Bewerbungen, sagt Kai Holm: „Heute sind wir froh, wenn wir die 25 voll kriegen.“ Auch die Zahl der Abbrüche steige. Manchmal ziehe auch der Arbeitgeber in der Probezeit die Reißleine, sogar bei Ärzten: „Das war früher fast undenkbar.“

Marina Tudyka beobachtet, dass Empathie- und Kommunikationsfähigkeit nachlassen. Es komme vor, dass Azubis kündigen, ohne vorher über Probleme gesprochen zu haben. Tamer Yüksel sagt: „Die sind alle so still. Wenn der Meister was sagt, dann wird das so hingenommen.“

4. Der Nutzen von Gewerkschaft und Betriebsrat

Zurzeit ist der Arbeitsmarkt ein Arbeitnehmermarkt. Vielen fehle nun die Motivation, in die Gewerkschaft einzutreten, sagt Kai Holm: „Viele denken sich: Warum? Ich kriege ja alles.“ Dirk Wilhelmi sagt, dass AOS von der Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) zehre: „Das sind die zukünftigen Betriebsräte.“

Christian Deppe (Dow, links) und Udo Alpers (Sparkasse Stade-Altes Land).

Christian Deppe (Dow, links) und Udo Alpers (Sparkasse Stade-Altes Land). Foto: Strüning

Bei den Airbus-Azubis sind 80 Prozent in der IG Metall. „Wir laden sie am ersten Tag ein und geben Mitgliedsanträge aus“, sagt Tamer Yüksel.

Von links: Marina Tudyka (24 DRK-Kitas, Konzernbetriebsrat des DRK), Nina Witting (DRK-Seniorenheime Buxtehude, Stade und Harsefeld) und Udo Oellrich (Telekom und Verdi-Kreisvorsitzender).

Von links: Marina Tudyka (24 DRK-Kitas, Konzernbetriebsrat des DRK), Nina Witting (DRK-Seniorenheime Buxtehude, Stade und Harsefeld) und Udo Oellrich (Telekom und Verdi-Kreisvorsitzender). Foto: Strüning

Tudyka, Witting und Holm sind bei Verdi. Udo Alpers auch. Er erklärt, warum mit der Gewerkschaft viel mehr bewirkt werden kann: „Das Unternehmen hat auf dem Zettel, ob wir gut organisiert sind oder nicht.“ Verdi-Mann Udo Oellrich erinnert daran, was ein Tarifvertrag bringt: „Sicherheit. Der zählt, du bist nicht jeder Schwankung ausgesetzt.“

5. Arbeitsplätze in Krisenzeiten sichern

„Wirtschaftliche und geopolitische Schwankungen haben enormen Einfluss“, sagt Tamer Yüksel von Airbus. So sei das Ziel, 1000 Flugzeuge im Monat zu bauen. Doch weil Lieferketten stocken, seien es zurzeit nur 700. Mit Blick auf die Auftragslage sehe es bei Airbus für die nächsten 10, 15 Jahre dennoch gut aus.

In der Chemie sind die Sorgen größer. „Wir brauchen wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen“, sagt Christian Deppe von Dow. Energiepreise, Bürokratie, Dumpingpreise aus Asien und Trumps Zölle machen der Branche zu schaffen: „Das muss in die Politik getragen werden.“

Die Betriebsräte im Stader Chemiepark haben betriebliche Entscheidungsträger mit Kommunal-, Kreis- und Landespolitikern und der Gewerkschaft IGBCE (Interessengemeinschaft Bergbau, Chemie, Energie) zusammengeführt, um den Standort gemeinsam zu sichern und entwickeln. Dafür wurden sie 2024 mit dem Betriebsrätepreis ausgezeichnet. Bernd Rohde-Brandenburg sagt selbstbewusst: „Es sind wir Arbeitnehmer, die Deutschland nach vorne bringen.“

  • Die zentrale Kundgebung zum 1. Mai für den Kreis Stade beginnt um 10 Uhr Am Sande - mit Infoständen, Liveband, Hüpfburg und Imbiss. Die Hauptrede hält Gewerkschaftssekretär Kim Fleischmann von der IGBCE.
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