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TMythos Hölle Nord: Gibt es den Heimvorteil wirklich?

Volles Haus: Der Buxtehuder SV gewann den Großteil seiner Heimspiele.

Volles Haus: Der Buxtehuder SV gewann den Großteil seiner Heimspiele. Foto: Jan Iso Jürgens

Der Buxtehuder SV spielt seine letzte Saison in der Halle Nord und ist dort häufig eine Macht. Aber ist das nur ein Gefühl oder gibt es den Heimvorteil wirklich?

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Von Tim Scholz
Samstag, 12.04.2025, 07:55 Uhr

Landkreis. Nach dem Hinspiel in Leipzig hatte niemand mehr mit dem Buxtehuder SV gerechnet. Acht Tore aufholen? Niemals. Doch mit 1500 Fans im Rücken gelang die Sensation. Der BSV gewann das Rückspiel in eigener Halle und erreichte das Finale um die deutsche Meisterschaft 2012.

„Das war ein ganz besonderes Spiel für mich“, sagt Antje Peveling. Sie war damals die Nummer zwei im Tor und konnte in der Schlussphase einige entscheidende Bälle halten. „Ich war mit dem Kopf voll beim Spiel, aber irgendwie hat die Halle unfassbar viel ausgemacht.“

Antje Peveling stand 207 Mal im Tor des Buxtehuder SV und feierte zahlreiche Siege in der Halle Nord.

Antje Peveling stand 207 Mal im Tor des Buxtehuder SV und feierte zahlreiche Siege in der Halle Nord. Foto: Jan Iso Jürgens

Die Halle Nord ist im deutschen Frauenhandball gefürchtet. „Für viele Gegner muss es die Hölle gewesen sein, hier zu spielen“, sagt Peveling.

Statistik: Großer Heimvorteil im Handball

Edda van Meurs forscht seit mehreren Jahren an der Universität Münster zum Thema Heimvorteil. „Es ist schon ein Unterschied, ob man in einem großen, offenen Stadion spielt oder in einer engen, lauten Halle, die zum Hexenkessel wird“, sagt van Meurs, die einen könne das motivieren, die anderen einschüchtern.

Edda van Meurs von der Universität Münster.

Edda van Meurs von der Universität Münster. Foto: privat (nomo)

In ihrer Doktorarbeit beschäftigt sich van Meurs mit dem Einfluss der Zuschauer auf die sportliche Leistung und die psychologischen Prozesse dahinter.

Im Handball ist der Heimvorteil sehr groß: Laut einer weltweiten Studie gehen bei den Männern 59 Prozent der Punkte an die Heimmannschaft, bei den Frauen sind es 58 Prozent. Nur im Basketball ist der Heimvorteil etwas größer.

BSV ist zu Hause eine Macht

Auch wenn die Statistik etwas lückenhaft ist, dürfte der BSV in 36 Jahren Bundesliga einen Großteil seiner Heimspiele gewonnen haben. Auf Grundlage der Daten von bundesligainfo.de lässt sich eine Siegquote von 69 Prozent berechnen. In der Saison 2014/15 gewann der BSV sogar alle Heimspiele.

Dass die Heimmannschaft häufiger gewinnt als die Auswärtsmannschaft, ist ein wissenschaftlich belegtes Phänomen. Doch was steckt dahinter? Beflügeln die eigenen Fans die Sportlerinnen und Sportler?

Wie wirken sich die Geisterspiele aus?

Zuletzt haben van Meurs und ihre Kollegen den Heimvorteil in der Handball-Bundesliga der Männer untersucht und fast 2800 Spiele von 2014 bis 2022 ausgewertet. „Wir wollten das auch für den Frauenhandball machen, aber es gab nicht genügend Daten“, sagt van Meurs.

Bemerkenswert: Selbst bei den Geisterspielen während der Corona-Pandemie blieb der Heimvorteil bestehen. Zwar hätten sich die Leistungen von Heim- und Auswärtsmannschaft etwas angeglichen, aber auf das Endergebnis habe das keinen Einfluss gehabt, sagt van Meurs. Laut der Studie gingen über den gesamten Zeitraum 60 Prozent der Punkte an die Heimmannschaft.

Ohne Zuschauer feierte der BSV 2020 einen Heimsieg im DHB-Pokal gegen Dortmund und bedankte sich bei den Fans in der Ferne.

Ohne Zuschauer feierte der BSV 2020 einen Heimsieg im DHB-Pokal gegen Dortmund und bedankte sich bei den Fans in der Ferne. Foto: Jan Iso Jürgens

Forscher der Deutschen Sporthochschule Köln wiesen den gleichen Effekt im Fußball nach, indem sie 40.000 Spiele vor und während der Pandemie analysierten. Der Heimvorteil lässt sich also nicht allein durch die Zuschauer erklären.

Das beeinflusst den Heimvorteil

Es ist komplexer. In der Forschung hat sich laut van Meurs ein Modell durchgesetzt, nach dem sieben Faktoren den Heimvorteil beeinflussen: Taktik, Anreise, Schiedsrichter, Territorialität (Verteidigung des eigenen Reviers), Familiarität (Vertrautheit mit der Sportanlage), psychologische Faktoren und die Zuschauer.

Dazu gibt es zahlreiche Studien. Sie zeigen unter anderem, dass Heimmannschaften durch die Unterstützung ihrer Fans selbstbewusster werden und eine offensivere Taktik wählen. Welcher Faktor der stärkste ist, lässt sich jedoch nicht sagen.

2018 gab es zum ersten Mal eine Choreographie in der Halle Nord.

2018 gab es zum ersten Mal eine Choreographie in der Halle Nord. Foto: Jan Iso Jürgens

Van Meurs setzt auf die Anreise. Statt zu fliegen oder im Hotel zu übernachten, geht es in nicht ganz so finanzstarken Sportarten wie dem Frauenhandball mit dem Bus zum Auswärtsspiel. Peveling selbst hat mit dem BSV viele 24-Stunden-Touren in den Süden unternommen. „Das war super anstrengend für den Körper“, sagt sie.

Die Rolle der Schiedsrichter

Und noch etwas ist nicht zu unterschätzen. „Wir wissen, dass die Schiedsrichter oft zugunsten der Heimmannschaft entscheiden“, sagt van Meurs. Im Fußball bekommt die Heimmannschaft weniger gelbe und rote Karten, und die Nachspielzeit ist kürzer, wenn die Heimmannschaft ein Tor Vorsprung hat.

Möglicherweise hängt das mit der Lärmkulisse im Stadion zusammen, mit Sprechgesängen, Buhrufen und Pfiffen. Britische Forscher haben das untersucht und 40 qualifizierte Fußballschiedsrichter eingeladen. Sie sollten Szenen eines Premier-League-Spiels bewerten, die einen mit, die anderen ohne Ton.

Die Statistik zeigt: Der BSV ist zu Hause eine Macht.

Die Statistik zeigt: Der BSV ist zu Hause eine Macht. Foto: Jan Iso Jürgens

Die Schiedsrichter aus der Lärmgruppe waren sich bei der Beurteilung der Szenen oft unsicher und bestraften die Heimmannschaft seltener. Die Forscher interpretieren dies so, dass die Schiedsrichter in unklaren Situationen auch die Reaktion der Zuschauer mit einbeziehen und bei einem Foul der Heimmannschaft ein Auge zudrücken. Die Zuschauer haben also einen indirekten Einfluss.

Wenn der gegenteilige Effekt eintritt

Der Heimvorteil kann aber auch zum Heimnachteil werden. In der Forschung spricht man von „Choking Under Pressure“, wenn die Unterstützung des Publikums zu einer schlechteren Leistung führt. „Das kann in koordinativen Situationen zum Problem werden, wenn mir alle zuschauen und viel von mir erwartet wird“, sagt van Meurs, im Basketball beim Freiwurf oder beim entscheidenden Elfmeter im Finale. Und plötzlich verfehlt man das Ziel.

Bei Antje Peveling überwiegen die Erinnerungen an den Erfolg. Niederlagen in eigener Halle? „Die habe ich nicht so im Kopf“, sagt sie. Der Glaube an die Heimstärke, die auch der Trainer in seinen Ansprachen immer wieder beschwor, war offenbar groß.


Doch in wenigen Wochen ist der Handball in der Halle Nord Geschichte. Ab der kommenden Saison spielt der BSV nebenan in einem Neubau. Dann wird sich zeigen, ob die neue Halle nicht nur den Namen, sondern auch den Heimvorteil erben wird.

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