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Alltagshelden

TNach Jahren der sozialen Isolation: Er hat sich ins Leben zurückgekämpft

Andreas Klotz hat sich zurück ins Leben gekämpft und in seinem Ehrenamt zusätzlichen Halt gefunden.

Andreas Klotz hat sich zurück ins Leben gekämpft und in seinem Ehrenamt zusätzlichen Halt gefunden. Foto: Stehr

Andreas Klotz hat einen schweren Weg hinter sich. Ohne den Verein Lebensraum Diakonie hätte er es wohl nicht geschafft, der Isolation zu entkommen. Vom Schicksal eines Kämpfers.

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Von Lena Stehr
Montag, 05.05.2025, 17:00 Uhr

Stade. Andreas Klotz steht nicht gern im Mittelpunkt. Der 46-Jährige aus Stade hat seit vielen Jahren mit psychischen Problemen zu kämpfen und fühlt sich schnell unwohl, wenn er von Menschen umgeben ist. Besonders viel Überwindung kostet es ihn, mit Fremden zu sprechen. Wer ihn kennenlernt und seine Geschichte hört, versteht aber schnell, warum Diplom-Sozialarbeiterin Andrea Klefke-Bieder ihn als Alltagshelden - eine Porträt-Serie von TAGEBLATT und Stage Entertainment Hamburg - vorgeschlagen hat.

Andreas Klotz (vorne) unterstützt das Team der Beratungsstelle für wohnungslose Menschen des Vereins Lebensraum Diakonie in Stade.

Andreas Klotz (vorne) unterstützt das Team der Beratungsstelle für wohnungslose Menschen des Vereins Lebensraum Diakonie in Stade. Foto: Stehr

„Herr Klotz hat sich zurück ins Leben gekämpft und unterstützt jetzt andere, die Hilfe brauchen“, sagt Andrea Klefke-Bieder vom Verein Lebensraum Diakonie. Seit 2021 arbeitet Andreas Klotz ehrenamtlich für den Verein, der Wohnungsnotfallhilfe leistet. In der Geschäftsstelle in einem Einfamilienhaus an der Bremervörder Straße können Hilfesuchende kostenlos Telefon und Internet nutzen, Zeitung lesen und duschen. Für kleines Geld gibt es Kaffee und die Möglichkeit, Wäsche zu waschen und zu trocknen. Auch Posterreichbarkeitsadressen stellt der Verein für Wohnungslose zur Verfügung.

Andreas Klotz lebte über Jahre sozial isoliert

Andreas Klotz kennt den Verein und seine Angebote gut, denn er war einst selbst Klient. Sein Leben lang hatte er zusammen mit seiner Mutter und seiner psychisch kranken Schwester in einem Haus der Wohnstätte Stade gelebt.

„Meine Schwester und ich haben beide nichts gelernt, waren immer arbeitslos“, sagt Andreas Klotz. Die Familie lebte ausschließlich vom Einkommen und später von der Rente der Mutter, die als Reinigungskraft tätig war.

Haus nur noch zum Einkaufen verlassen

Klotz litt unter Übergewicht, zog sich immer mehr zurück, verließ das Haus jahrelang nur noch zum Einkaufen. Einen strukturierten, für gesunde Menschen normalen Alltag zu leben, war für ihn unmöglich.

Besuch bekam Andreas Klotz nie. Keiner sollte sehen, wie er und seine Familie leben. Sozial isoliert verbrachte er die meiste Zeit vor dem Computer. „Herr Klotz hatte verlernt, den Blick auf seine eigenen Bedürfnisse zu lenken“, sagt Andrea Klefke-Bieder.

Im Juni 2019 verstarb dann die Mutter nach langer Bettlägerigkeit. Klotz hatte sich um sie gekümmert. Danach ging es für die Geschwister weiter bergab. Miet- und Energieschulden häuften sich an. Mit der Verantwortung für sich selbst und die psychisch beeinträchtigte Schwester war Andreas Klotz überfordert.

Ein Hausmeister der Wohnstätte machte ihn schließlich auf den Verein Lebensraum Diakonie aufmerksam. Hier bekam Andreas Klotz Hilfe. Unter anderem beim Abwickeln bürokratischer Vorgänge mit dem Jobcenter, bei dem er vorher noch nicht gemeldet war.

Wohnstätte Stade findet für Klotz eine Wohnung

Mit Unterstützung durch die Wohnstätte bekam die Schwester zudem ein neues Zuhause im betreuten Wohnen von Wohnstätte und Bethel im Norden in der Horststraße in Stade. Nicht weit entfernt fand die Wohnstätte auch für Klotz eine Ein-Zimmer-Wohnung. Das Problem: Vor dem Umzug musste das über Jahre vernachlässigte Haus entrümpelt werden.

Auch dabei wurde Andreas Klotz nicht alleingelassen. Gemeinsam mit Andrea Klefke-Bieder schuftete er fast bis zum Umfallen. „Wir haben gestrichen, ausgeräumt und vieles zum Sperrmüll gegeben. Für Herrn Klotz war das eine wahre Meisterleistung“, sagt die Sozialarbeiterin. Sie erstellte im Anschluss für ihn auch einen Haushaltsplan, der ihm dabei half, seinen Alltag zu strukturieren. „Seine Wohnung hat er jetzt gut im Griff, im Rahmen der Eingliederungshilfe ist er rundum gut versorgt“, sagt sie.

Für Sozialarbeiterin Andrea Klefke-Bieder ist Andreas Klotz ein Alltagsheld.

Für Sozialarbeiterin Andrea Klefke-Bieder ist Andreas Klotz ein Alltagsheld. Foto: Stehr

Dann brauchte Andrea Klefke-Bieder plötzlich selbst Hilfe. Ein Ehrenamtlicher aus ihrem Team fiel krankheitsbedingt länger aus. Es fehlte jemand, der die Besucher der Geschäftsstelle empfangen und ans Telefon gehen konnte, damit die Sozialarbeiter Zeit für wichtige Beratungsgespräche haben.

Weil Andreas Klotz große Angst davor hatte, mit Fremden am Telefon zu reden, kümmerte er sich zunächst um alles andere. Er gab Post heraus, kochte Kaffee für die Besucher, übernahm Umzugsfahrten und Botengänge aller Art - jeden Vormittag in der Woche.

Das Telefon klingelte oft unbeantwortet weiter. Irgendwann nahm Andreas Klotz all seinen Mut zusammen und ging ran. „Eine Quasselstrippe wird aus ihm wohl nie werden, aber er bedient inzwischen auch das Telefon souverän“, sagt Andrea Klefke-Bieder. Auf ihn sei immer Verlass, er habe noch nie eine Bitte abgelehnt. Ein echter Alltagsheld eben.

Zur Info: Serie Alltagshelden

Die Serie Alltagshelden ist in Zusammenarbeit zwischen TAGEBLATT und Stage Entertainment Hamburg entstanden. Sie porträtiert Frauen und Männer, die ehrenamtliche Arbeit leisten für die Gesellschaft und dabei selten im Rampenlicht stehen. Sie sind Helden des Alltags - so wie auch „Hercules“ im gleichnamigen Musical ein Held mit sozialer Ader ist. In Anerkennung und als Dankeschön für ihr Engagement sind diese Alltagshelden und die, die sie während der TAGEBLATT-Aktion vorgeschlagen haben, eingeladen, sich das Musical in Hamburg mit jeweils einer Begleitung anzusehen. Mehr Infos: www.stage-entertainment.de

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