TNeues Wahlrecht: So können Sieger zu Verlierern werden

Ein Stimmzettel für die Bundestagswahl 2025 als Muster. Die Auswirkungen der Wahlrechtsreform machen sich erst nach der Auszählung bemerkbar. Foto: Julian Stratenschulte/dpa
Die Bundestagswahl wird sehr spannend. Nicht nur, weil es vermutlich eine neue Regierung gibt. Auch das neue Wahlrecht kommt erstmals zur Anwendung. Das steckt dahinter.
Wie wird der Deutsche Bundestag gewählt?
Die Wahl findet als personalisierte Verhältniswahl statt. Mit der Erststimme wird der Kandidat aus dem Wahlkreis gewählt. Wer die meisten Stimmen bekommt, gewinnt. Bis zur Reform zog die Person, die einen Wahlkreis gewonnen hatte, automatisch ins Parlament ein.
Mit der Zweitstimme entscheiden die Wahlberechtigten über die Landesliste einer Partei. Die Zweitstimme bestimmt, wie viele Sitze jede Partei im Bundestag erhält und legt die Mehrheitsverhältnisse fest.
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Überhangmandate konnten bis zur Wahlrechtsreform entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland über die Erststimme mehr Direktmandate erhielt, als ihr über die Landesliste aufgrund des Zweitstimmenergebnisses zustanden.
Wieso wurde das Wahlrecht für den Bundestag geändert?
Deutschland hat mit 733 Bundestagsabgeordneten das größte frei gewählte Parlament weltweit. Der große Bundestag verursacht größere Kosten. 2024 waren etwa 250 Millionen Euro mehr für den Bundestag eingeplant als noch 2019. Es gab zudem Stimmen, die um die Effektivität der Parlamentsarbeit fürchteten.

Mit 733 Bundestagsabgeordneten hat Deutschland das größte frei gewählte Parlament weltweit. Das ändert sich jetzt. Foto: Michael Kappeler/dpa
Ursprünglich wollte die Bundesregierung die Zahl der Abgeordneten durch die Reform auf 598 reduzieren, letztlich einigten sich SPD, Grüne und FDP auf 630 Sitze. Das soll das Risiko mindern, dass Wahlkreise durch keinen Abgeordneten mehr im Bundestag vertreten sind.
Wie entstanden Überhang- und Ausgleichsmandate?
Werden die Parlamentswahlen nach einem Mischwahlsystem abgehalten, wählt die Bevölkerung also einen Teil der Parlamentarier direkt und einen anderen Teil indirekt über Listen. Es kann allerdings passieren, dass eine Partei verhältnismäßig mehr Direktmandate gewinnt, als ihr anteilig nach den Zweitstimmen zustehen. Dadurch entstehen die Überhangmandate.
Damit die Sitzverteilung dem Gesamtergebnis entspricht und es nicht verzerrt, werden diese überzähligen Sitze durch zusätzliche Sitze für die anderen Parteien ausgeglichen. Das sind die Ausgleichsmandate. Beides ist jetzt Geschichte.
Wann kommt die Landesliste zum Tragen?
Die Sitze der Parteien gehen zunächst an die Wahlkreisgewinner der Parteien. Alle verbleibenden Sitze, die den Parteien nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen, werden an die Kandidaten der Landeslisten vergeben. Je mehr Stimmen eine Partei erhält, desto mehr Kandidaten von den Landeslisten ziehen ins Parlament ein.
Was ist die wesentliche Änderung im neuen Wahlrecht?
Jede Partei soll künftig nur noch so viele Sitze erhalten, wie ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Überhang- und Ausgleichsmandate werden abgeschafft. Falls eine Partei über die Erststimmen mehr Wahlkreise gewinnt, als ihr aufgrund der Zweitstimmen an Abgeordneten zustehen, gehen Wahlkreissieger leer aus. Wer also einen Wahlkreis für sich entscheidet, zieht nicht mehr automatisch in den Bundestag ein.
Was entscheidet, welche Wahlkreissieger in den Bundestag kommen?
Ein fiktives Beispiel: Eine Partei bekommt in einem Bundesland Zweitstimmen für zehn Sitze im Parlament. Gleichzeitig gewinnen zwölf ihrer Direktkandidaten ihre Wahlkreise. Die Wahlkreissieger mit dem prozentual geringsten Erststimmenergebnis müssen dann draußen bleiben. Zwei Abgeordnete ziehen also nicht in den Bundestag ein. Über die Landesliste der Partei kommt in diesem Fall auch kein Kandidat ins Parlament.
Die Wahlreform kann auch zur Konsequenz haben, dass der Wahlkreissieger einer Partei A nicht in den Bundestag kommt, während sein unterlegener Gegenkandidat der Partei B über die Landesliste einen Sitz bekommt.
Welche Kritik gibt es an der Wahlrechtsreform?
Die Angst, dass Wahlkreise zukünftig nicht mehr durch einen direkt gewählten Abgeordneten vertreten sein werden, ist einer der Hauptkritikpunkte. Vor allem bei CDU und CSU sowie der Linkspartei stieß das Gesetz auf Gegenwehr.
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CDU und CSU warfen der Ampel-Regierung vor, das neue Wahlrecht richte sich gegen die CSU, die bei der Wahl 2021 viele Überhangmandate bekam. Weil sie fast alle bayerischen Wahlkreise gewann, erhielt die CSU elf Sitze mehr, als ihr aufgrund der Zweitstimmen zugestanden hätten.
Die Reform sah auch den Wegfall der Grundmandatsklausel vor. Diese Regelung ermöglicht Parteien den Einzug in den Bundestag, wenn sie zwar an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, aber mindestens drei Direktmandate holen. 2021 profitierte die Linke davon. Bundesweit bekam sie nur 4,9 Prozent. Die CSU wäre mit 5,2 Prozent fast auch auf die Regelung angewiesen gewesen. Der Wegfall der Grundmandatsklausel wurde jedoch vom Bundesverfassungsgericht gekippt.
Kommen die Wahlkreissieger der Stader Wahlkreise in den Bundestag?
Die Wahlkreise Stade I - Rotenburg II und Cuxhaven - Stade II werden voraussichtlich mit direkt gewählten Abgeordneten im Bundestag vertreten sein. Das ist zumindest die Vorhersage des Portals election.de.

Der Deutsche Bundestag im Reichstagsgebäude mit der gläsernen Kuppel. Hier werden nach der Wahl nur noch 630 Abgeordnete sitzen. Foto: Michael Kappeler/dpa
In der Vergangenheit lagen diese Wahlkreisprognosen meistens richtig. Das Portal election.de geht von einem sicheren Sieg der CDU im Wahlkreis Stade/Rotenburg und einem wahrscheinlichen CDU-Sieg im Wahlkreis Cuxhaven/Stade aus.
Die Experten haben aufgrund der Prognosen 19 Wahlkreise identifiziert, in denen der Wahlsieger nicht in den Bundestag einziehen könnte. Keiner der mutmaßlich betroffenen Wahlkreise liegt in Niedersachsen.