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Müllberge

Nie wieder Zuckertütchen in Cafés? Diese Verpackungen werden verboten

Supermärkte und Discounter in Deutschland bieten nach Ansicht der Umwelthilfe zu wenig Waren unverpackt oder in Mehrwegverpackungen an.

Supermärkte und Discounter in Deutschland bieten nach Ansicht der Umwelthilfe zu wenig Waren unverpackt oder in Mehrwegverpackungen an. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Nicht wenige ärgern sich über den Plastikverpackungswahnn im Supermarkt. Wie dürfen die Waren künftig noch verpackt werden? Die EU hat neue Vorgaben gemacht. Was erlaubt bleibt.

Von Gregor Mayntz Donnerstag, 23.11.2023, 12:48 Uhr

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Brüssel/Landkreis. Das Europa-Parlament hat bei seiner Schlussabstimmung über die Konturen der neuen Verpackungsverordnung einige Änderungen vorgenommen. So werden Zuckertütchen in Cafés weiter erlaubt sein. Die Shampoofläschchen in den Duschen von Hotelzimmern müssen jedoch verschwinden, genauso wie die Schrumpffolie für Koffer auf Flughäfen. Dagegen werden die bei Camemberts in Frankreich beliebten traditionellen Holzverpackungen von der Recyclingpflicht ausgenommen.

Verpackungsmüll soll reduziert werden

Im Mittelpunkt steht nach wie vor die Absicht, den ständig steigenden Verpackungsmüll in Europa spürbar zu verringern. Pro Kopf sind das derzeit über 180 Kilo; wenn nichts geschieht, könnten es am Ende des Jahrzehntes 209 Kilo sein. Um das zu verhindern, soll es bis 2030 insgesamt fünf Prozent weniger Verpackungen geben, bis 2035 insgesamt zehn und bis 2040 dann 20 Prozent weniger. Der Verkauf von sehr leichten Tragetaschen soll ganz verboten werden, es sei denn, sie sind aus hygienischen Gründen nötig oder sollen dazu beitragen, Lebensmittelverschwendung zu vermeiden. Wer in der Gastronomie Speisen mitnehmen möchte, soll dazu seine eigenen Behälter nutzen können. Grundsätzlich gilt, dass alle Verpackungen wiederverwendbar sein müssen. Allerdings ist die Ausnahmeregelung großzügiger gestaltet als ursprünglich von der Kommission vorgeschlagen.

So vermutete die umweltpolitische Sprecherin der SPD-Europa-Abgeordneten, Delara Burkhard, dann auch, dass „bei der Wegwerfverpackungsindustrie heute die Korken knallen“. Das Parlament habe die Chance vertan, etwas gegen die Abfallberge zu tun. Mehrwegverpackungen hätten europaweit zur Normalität werden können. „Leider wurde die Abstimmung aber zu einem Wünsch-Dir-Was der Verpackungslobby“, bedauerte Burkhard.

Abstimmung ein „wichtiges Signal“

Dagegen wies Angelika Niebler, die Ko-Vorsitzende der deutschen Unionsabgeordneten, darauf hin, dass die Abstimmung ein „wichtiges Signal für die bereits gut funktionierenden Recyclingsysteme in Deutschland“ bedeute. Hochwertiges Recycling, wie es beispielsweise bei Verpackungen aus Papier oder Pappe der Fall sei, müsse eine ebenso wichtige Rolle spielen wie die Wiederverwendung. Plastik und Papier dürften nicht auf eine Stufe gestellt werden, so Umweltexperte Peter Liese (CDU). Firmen, die Plastik vermieden, indem sie Papier einsetzten, dürften nicht bestraft werden.

Grundsätzlich soll die Verpackung künftig auf die praktische Anwendung des Produktes reduziert werden.

Ein Weg zu einem nachhaltigeren Leben: Cradle to Cradle

484 Kilogramm Haushaltsabfälle fallen pro Einwohner in Deutschland jährlich an, so gibt es das Statistische Bundesamt für 2021 an. Was damit wohl passiert?

Laut Umweltbundesamt wurden 2020 nur rund 67 Prozent der Abfälle recycelt. Mit dem Rest, der etwa verbrannt wird, gehen viele Stoffe verloren, die kostbar sind und noch oft erneut verwendet werden könnten. Zudem wird zum Verbrennen viel Energie aufgewendet. Nachhaltig und umweltschonend ist das nicht.

Aber wie können wir unsere Müllberge verkleinern? Hier setzt das Prinzip des „Cradle to Cradle“ (C2C) an. Aus dem Englischen übersetzt bedeutet es: „Von der Wiege bis zur Wiege“.

Das Prinzip „Cradle to Cradle“

Die Idee setzt darauf, dass alle Materialien, die in einem Produkt verbaut sind, nach dessen Nutzung recycelt oder wiederverwendet werden können. Dafür müssen sich die einzelnen Komponenten komplett und ohne Reststoffe anderer Materialien zerlegen lassen - man nennt das sortenrein. Die Einzelteile seien zum Beispiel nicht verklebt, sondern verschraubt oder gesteckt, erklärt Nora Sophie Griefahn, Mit-Gründerin und geschäftsführende Vorständin der Organisation Cradle to Cradle NGO.

Das C2C-Prinzip sieht auch vor, dass natürliche Verbrauchsmaterialien biologisch abbaubar bleiben müssen. Lassen sie sich irgendwann nicht mehr erneut durch Recycling in den Produktionskreislauf bringen, sollten sie zum Beispiel kompostierbar sein.

Gut erklären lässt sich das anhand der Papierfasern. Sie können laut der Organisation bis zu 25-mal recycelt werden. Danach sind die Fasern zu kurz, um sie weiterzuverwenden. Aber auch Abrieb, der zum Beispiel von einem T-Shirt schon beim Tragen und Waschen in die Umwelt gelangt, sollte biologisch abbaubar sein - also etwa aus reiner und pestizidfrei herangewachsener Baumwolle bestehen.

Die Natur kennt eigentlich keinen Müll

C2C orientiert sich an den Kreisläufen der Natur: Dort gibt es keinen Müll. Alles, was abstirbt, dient als Nährboden für andere Pflanzen und Lebewesen - es wird von ihnen aufgenommen und wieder neu verbaut. Nach diesem Vorbild wird bei C2C im Design von Produkten von Anfang die Weiternutzung mitgedacht.

Das bedeutet auch: „Wir setzen nach unserem Prinzip nur noch Materialien ein, die kreislauffähig und für ihre geplante Nutzung geeignet sind: gesund für uns und die Umwelt“, sagt Griefahn. Dazu zähle auch, dass die Materialien ohne giftige Chemie produziert und entweder biologisch abbaubar oder sortenrein recycelbar sind. Bei letzterem könnten auch Ansätze wie „Leihen statt kaufen“ helfen.

Logo kennzeichnet C2C-Produkte

Es wird deutlich: Vor allem die Firmen sind hier am Zug, den Weg in Richtung „Cradle to Cradle“ zu gehen. Und wir Verbraucher?

Produkte, die nach dem C2C-Prinzip hergestellt wurden und deren Firmen sich das bestätigen lassen, erkennen Verbraucher am Logo: Ein grüner und ein blauer Kreis sind wie eine liegende Acht miteinander verschlungen. Die Farben stehen für den natürlichen (grün) und den technischen Kreislauf (blau).

Zu finden ist dieses Logo eher selten, denn es gibt bislang erst wenige Firmen, die nach dem C2C-Prinzip arbeiten.

Die Unternehmen nach den Materialien ausfragen

Aber es gibt auch darüber hinaus Möglichkeiten, den eigenen Konsum am C2C-Prinzip zu orientieren. „Man kann beispielsweise beim Kauf fragen, aus welchem Material ein Möbel besteht und ob die Bestandteile sortenrein zu trennen sind“, erklärt Einrichtungsexpertin Ursula Geismann. „Auch wie es produziert wurde und ob natürliche Materialien verwendet wurden, sind wichtige Fragen.“

Und wer etwas Altes loswerden will, kann den Hersteller kontaktieren, ob er die Produkte auch zurücknimmt - einige Firmen haben Rückgabeprogramme. Mit Blick auf die Nachhaltigkeit insgesamt rät Geismann dazu, auch auf die Produktionsbedingungen zu achten. Werden zum Beispiel die Handwerker bei ihrer Arbeit gut behandelt und entlohnt?

Diese Fragen beim Kauf führen Verbraucher idealerweise nicht nur zu Produkten, die sich - ob bewusst oder nicht - weitgehend am Gedanken des C2C orientieren. Die Nachfragen signalisieren den Herstellern auch, dass es einen Bedarf für C2C gibt, erläutert Geismann.

Konsum reduzieren

Bleiben wir beim Beispiel Möbel: Es gibt noch einen Weg zu mehr Nachhaltigkeit und mehr Ressourcenschonung: weniger zu kaufen.

Sofas, Betten, Schränke und Regale von hoher Qualität und mit zeitlosem Design sind langlebig und lassen sich gegebenenfalls reparieren statt wegwerfen und verbrennen. Für Abwechslung könnten etwa auch Möbelfronten nach einer Zeit ausgetauscht oder umgestrichen werden. Oder man schraubt andere Griffe an. Vieles andere ist noch Theorie, aber die Umsetzung könnte sich für alle Seiten lohnen.

Nora Sophie Griefahn nennt noch ein Beispiel: Wenn eine Waschmaschine beispielsweise nur aus zehn verschiedenen Materialien bestehen würde, ließen sich diese nach der Nutzung einfacher voneinander trennen.

„Dann lohnt es sich für die Hersteller auch, besonders hochwertiges Material einzusetzen“, führt Griefahn aus. „Weil er weiß, dass er die Materialien nach der Nutzung für neue Produkte einsetzen und so im Kreislauf halten kann.“ (san/dpa/tmn)

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