TNotruf: Wenn der Rettungswagen den Hausarzt ersetzt
Notfallsanitäter Dennis Timmermann (l.) und Luca Petarus, Auszubildender zum Notfallsanitäter. Foto: Vogt
Warum gibt es im Rettungsdienst viel mehr Bagatelleinsätze als früher? Experten antworten.
Nordenham. Ein Gespräch mit Notfallsanitäter Dennis Timmermann, Notfallsanitäter-Azubi Luca Petarus und Valentin Wendt, Leiter des Eigenbetriebs Rettungsdienst Wesermarsch.
Mit welchen Einsätzen haben Sie es im Rettungsdienst am häufigsten zu tun?
Dennis Timmermann: Das kann man gar nicht genau sagen. Jeder Tag ist wieder neu. Es geht von internistisch über chirurgisch bis neurologisch. Krampfanfälle, Schlaganfall, Herzinfarkt, zwischendurch Verkehrsunfälle oder häusliche Unfälle - alles ist dabei.
Hat sich das Einsatzgeschehen in den vergangenen Jahren verändert?
Timmermann: Ja. Die Einsätze sind mehr geworden, wobei die Belastung des Einzelnen gleich geblieben ist, weil es entsprechend mehr Personal und Einsatzwagen gibt. Aber es sind mehr Bagatelleinsätze dazugekommen. Manchmal fragen wir uns: Warum sind wir jetzt eigentlich hier?
Haben Sie ein Beispiel?
Luca Petarus: Zum Beispiel, wenn Leute schon seit drei Wochen beim Hausarzt in Behandlung sind, und dann plötzlich nachts um drei den Rettungsdienst rufen, um zu fragen, ob sie diese Schmerztablette jetzt noch nehmen dürfen.
Timmermann: Die Leute sind offenbar hilfloser geworden. Oder sie sind mit der Lage überfordert. Anstatt die 116 117 anzurufen, die vielen Menschen scheinbar noch immer nicht präsent ist, wählen Sie den Notruf, der für schwerwiegende oder lebensbedrohliche Fälle gedacht ist.
Valentin Wendt: Hier macht sich auch eine Lücke in der Versorgung bemerkbar, weil es weniger Hausärzte gibt. Und natürlich wird dann schneller die 112 gewählt, weil dann jemand kommt. Den Leuten muss auch geholfen werden - vielleicht nicht unbedingt durch einen Rettungswagen, aber mangels Alternativen bleibt es dann tatsächlich oft am Rettungsdienst hängen.
Petarus: Die Leitstellen sind aber schon besser darin geworden, Bagatellfälle vorab herauszufiltern. Es werden vorgegebene Fragen gestellt, und anhand der Antworten wird dann vom System vorgeschlagen, was und wer dorthin geschickt wird.
Auch wenn Bagatelleinsätze zugenommen haben, geht es im Rettungsdienst nach wie vor auch um Leben und Tod. Gibt es Einsätze, nach denen sie nur schwer loslassen können?
Timmermann: Eigentlich kaum, ansonsten wären wir wohl fehl am Platz. Größere Einsätze bespricht man immer mit Kollegen, das hilft schon viel. Schlimm sind natürlich Unfälle oder Notfälle, bei denen Kinder betroffen sind.

In Schweierfeld ist in diesem Jahr eine neue Rettungswache in Betrieb genommen worden. Darüber freuen sich (v. l. n. r.) Wesermarsch-Landrat Stephan Siefken, Kristina Schünemann (Johanniter), Rettungsdienstleiter Valentin Wendt und Maren Würger, Dezernentin beim Landkreis Wesermarsch. Foto: Johanniter-Unfall-Hilfe e. V.
Wie ist das für Sie als Auszubildender? Gewöhnt man sich daran?
Petarus: Ich habe vor meiner Ausbildung schon als Rettungssanitäter gearbeitet. Daher wusste ich, was auf mich zukommt. Natürlich ist das ein Prozess. Es ist ganz wichtig, dass man Kollegen hat, mit denen man sich über die Einsätze unterhalten kann. Gerade in der ersten Zeit habe ich mit meinen Ausbildern viele Einsätze nachbesprochen. Wir sind eben auch nur Menschen. Es ist dann die Kunst, das auf der Arbeit zu lassen und nicht mit nach Hause zu nehmen.
Timmermann: Natürlich gibt es Belastungen. Aber ich würde diesen Beruf jederzeit zu 100 Prozent weiterempfehlen. Mir gefällt das eigenverantwortliche Arbeiten. Oder auch morgens aufzustehen und nicht zu wissen, was heute eigentlich passiert. Der Beruf ist sehr abwechslungsreich, wir sind jeden Tag mit anderen Menschen in Kontakt. Und es sind ja nicht immer nur schlimme Einsätze, es gibt auch schöne Einsätze wie Geburten. Oft bekommen wir auch Dankeskarten.
Mega-Investition
T Neue Rettungswache der Dow: Ein Traum für jeden Feuerwehrmann
Deutschlandweit klagen Polizei, Feuerwehr und andere Einsatzkräfte darüber, dass es eine wachsende Respektlosigkeit gibt. Stellen Sie das auch fest?
Petarus: Auf jeden Fall. Nicht von den Patienten selbst, aber von den Leuten drumherum, die gar nicht beteiligt sind. Wenn wir zum Beispiel mal mit Blaulicht vor einem Haus stehen und die Straße blockieren, haben viele kein Verständnis, warum wir jetzt ihre Einfahrt zuparken.
Timmermann: Klar, diese Einsätze gibt es, aber ich würde sagen, dass das nur selten vorkommt. Das Schlechte bleibt einfach länger im Gedächtnis. Nach dem zu urteilen, was ich in meinen 16 Jahren erlebt habe, ist es gleichgeblieben. Die meisten respektieren das, was wir machen, und oft bedanken sie sich sogar. Es ist mehr Gutes als Schlechtes.
Petarus: Ich bin zeitweise in Bremerhaven gefahren, da ist es öfter mal brenzlig geworden. Hier auf dem Land kommt es seltener vor.
Timmermann: Das Schwierigste sind oft die Blaulichtfahrten, da hat sich etwas verändert. Wenn die Leute anhalten, halten sie falsch an, in den Kurven, oder sie halten gar nicht an.
Was wäre denn die richtige Reaktion? Rechts ranfahren, stehenbleiben und den Weg frei machen?
Timmermann: Genau. Am besten zusätzlich rechts blinken, dann wissen wir, dass der Autofahrer uns gesehen hat.
Viele Notaufnahmen in Deutschland sind an der Belastungsgrenze. Kriegen Sie das als Rettungsdienst hier in der Region auch mit?
Timmermann: Sobald wir in einer Notaufnahme sind, wird dort entschieden, wie schwerwiegend der Fall ist. Wir nehmen ja vorher schon Kontakt auf. Wenn man dann jemanden mit SK 1 Schockraum anmeldet, dann ist man auch immer sofort dran. Aber alles andere muss warten, das dauert dann schon mal 20 oder 25 Minuten, bis du den Patienten überhaupt unterbringen kannst.
Wendt: In der Notaufnahme ist es ähnlich wie bei uns, die Arbeitsbelastung ist größer geworden. Dadurch, dass die Versorgung im hausärztlichen Bereich weniger geworden ist, haben die Notaufnahmen natürlich auch viel mehr „Laufkundschaft“. Und dann noch zusätzlich steigende Einsatzzahlen.