TPanoptikums-Chefin: „Selfies mit Adolf Hitler gibt es bei uns nicht“

Susanne Faerber vor dem Panoptikum am Spielbudenplatz. Die Kiezinstitution besteht dort schon seit 1879. Foto: Lorenz
Susanne Faerber ist gewissermaßen Herrin über die größte Promi-WG auf St. Pauli: Das Panoptikum beherbergt mehr als 120 Wachsfiguren - erst kürzlich zog Taylor Swift ein. Aber woher weiß die Panoptikum-Chefin, welche neuen Figuren gut ankommen?
Hamburg. TAGEBLATT: Frau Faerber, sind Sie ein Swiftie?
Susanne Faerber: Überhaupt nicht.
Und doch haben Sie gerade Taylor Swift als Wachsfigur im Panoptikum aufgestellt…?
Persönliche Präferenzen muss man bei der Wahl der Prominenten außen vor lassen. Es bringt ja nichts, wenn ich ein Kabinett mit Promis zeige, die mich interessieren, aber unsere Besucher nicht.
Taylor Swift wollen die Massen sehen?
Taylor Swift ist die Frau der Stunde. Sie hat eine wahnsinnige Fanbase und einen wahnsinnig hohen Bekanntheitsgrad. Sogar ich als Nicht-Swiftie weiß, wer Taylor Swift ist. (lacht)
Wie ist die Resonanz nach gut einer Woche?
Wir sehen, dass die Leute gern Selfies mit Taylor Swift im Panoptikum machen und vermehrt in den sozialen Medien posten. Sie ist natürlich auch ein Hingucker in ihrem Glitzerkostüm.
Woher wissen Sie, welche neuen Figuren gut ankommen und welche nicht?
Die Herstellung einer Wachsfigur kostet etwa 50.000 Euro und dauert mindestens ein Jahr. Bevor wir einen Auftrag erteilen, gucken wir deshalb sehr genau, welcher Prominente unsere Besucher interessieren könnte. Und das wissen wir ziemlich gut, weil wir unsere Zielgruppe kennen. Der Gewinner einer Castingshow fällt dabei meistens raus, weil er in diesem Moment einen Bekanntheitsgrad hat, aber in einem Jahr kennt ihn vielleicht kein Mensch mehr.
Wer kommt zu Ihnen?
Fast nur Touristen. 95 Prozent unserer Besucher sind nicht aus Hamburg, die meisten kommen aus Deutschland, aber auch aus Österreich und der Schweiz. Darunter sind ganz viele Familien, die Altersspanne reicht vom Baby bis zum 90-Jährigen. Und: Quer durch alle Bildungs- und Bevölkerungsschichten.
Anfassen ist erlaubt?
Nein. Dafür sind die Figuren zu empfindlich. Aber Selfies machen – das ist ausdrücklich erwünscht.
Kommentieren Promis ihr Ebenbild im Panoptikum?
Meistens nicht. Ed Sheeran hat vor kurzem über seinen Freund Bruno Mars ein Foto von seiner Figur zugespielt bekommen und es dann in seiner Instagram-Story gepostet. Offenbar gefällt ihm seine Darstellung.
Wachsfigurenkabinette stammen aus einer Zeit ohne Fotos, Filme und Internet. Was fasziniert Menschen bis heute daran?
Ich glaube es ist eine Mischung: Zum einen der Wunsch, seinem Idol oder dem Prominenten nah zu sein, eine körperliche Nähe zu spüren. Zum anderen die Faszination für ein solches Produkt der Handwerkskunst.
Das Interesse lässt in der Generation TikTok nicht nach?
Nein, das spüren wir nicht. Ich glaube, das liegt daran, dass Besucher in einer Wachsfigur immer auch ein bisschen die Interpretation des Prominenten durch den Künstler sehen. Denn Ähnlichkeit hat nicht immer etwas damit zu tun, ob die Maße auf den Millimeter genau stimmen.
Ärgert es Sie, wenn Besucher sagen: „Die Figur sieht ja gar nicht aus wie das Original.“?
Wenn irgendwo auf der Welt eine neue Wachsfigur präsentiert wird, gibt es immer Leute, die diese in der Luft zerreißen. Auch bei uns. Ich verkörpere die fünfte Generation unseres Familienunternehmens, habe also eine sehr viel höhere Identifikation als wahrscheinlich jeder angestellte CEO. Insofern fühle ich mich eher durch Kritik angegriffen. Aber ich habe gelernt, damit umzugehen und mir einen kleinen Panzer wachsen lassen. Übrigens gibt es hier auch Figuren, die ich persönlich nicht so gut finde, von denen Besucher aber sagen: „Oh, die ist toll.“
Wie eng begleiten Sie den Prozess der Herstellung?
Ich vertraue den Künstlern voll und ganz. Die Figur von Taylor Swift zum Beispiel habe ich erst am Abend vor der Einweihung zum ersten Mal gesehen, vorher kannte ich nur Fotos. In dem Fall war es aber wirklich mal so, dass ich nach Ansicht der Bilder das Gefühl hatte, die Figur schielt etwas. Die Künstlerin hat dann das rechte Auge verändert, wodurch Taylor Swift noch mal eindeutig gewonnen hat.
Ihr Ur-Ur-Großvater Friedrich Hermann Faerber hat das Panoptikum 1879 gegründet. Er war Holzbildhauer, Sie sind Betriebswirtin. Machen Sie den Job aus Verantwortung gegenüber der Familiengeschichte?
Nein. Mir war die Entscheidung komplett freigestellt. Ich wusste aber schon mit zwölf Jahren, dass ich dieses Unternehmen einmal übernehmen möchte. Von klein auf hatte ich ein außergewöhnlich großes wirtschaftliches Interesse, habe schon mit sechs Jahren jeden Morgen den Wirtschaftsteil der Zeitung gelesen und geguckt, wie die Aktienkurse stehen. Ich hatte einen Kinderschreibtisch im Büro meiner Mutter, habe auf dem Schoß der Kassierer gesessen und Tickets verkauft. Mit zwölf habe ich angefangen, hier Kindergeburtstage zu veranstalten. Ich wollte das immer, obwohl mir häufig davon abgeraten wurde.
Ist es schwer, das Panoptikum wirtschaftlich durchzubringen?
Wie bei jedem Unternehmen gibt es bessere und schlechtere Zeiten. Zurzeit merken auch wir, dass die Leute weniger Geld haben. Wir bleiben aber bei unseren sehr niedrigen Eintrittspreisen, um möglichst allen Bevölkerungsschichten einen Besuch zu ermöglichen. Wir verlangen 8,90 Euro pro Erwachsenem, für eine Familie mit zwei Kindern sind es gut 30 Euro.
Der Kiez um Sie herum verändert sich ständig, teils rasant. Nur das Panoptikum bleibt fast immer gleich?
Unser Kernprodukt ist und bleibt nun mal die Wachsfigur. Trotzdem müssen wir uns natürlich immer ein Stück weit neu erfinden und tun das auch. Zum Beispiel mit neuen Vermittlungsangeboten, etwa durch Führungen, pädagogische Rallyes, Audio-Guides und Kooperationen mit anderen Anbietern.
Sind Wachsfiguren immer noch aus Wachs?
Ja. Jedenfalls das, was an Haut sichtbar ist. Also vor allem der Kopf und die Hände. Das ist eine Mischung aus verschiedenen Wachsen, unter anderem Bienenwachs, aber auch Stearin und Paraffin. Der Rest unter der Kleidung besteht aus einer Stahl- oder Glasfaserkonstruktion. Vitali Klitschko hat zum Beispiel sehr, sehr viel Wachs, weil er mit nacktem Oberkörper und kurzen Hosen dargestellt ist.
Altern Wachsfiguren?
In der Tat, ja. Allerdings nicht das Wachs selbst, sondern die Koloration. Wir haben Figuren, die sind 140 Jahre alt und mit Ölfarbe bemalt. Die Farbe zieht mit den Jahrzehnten Staub und Schmutz an. Da hilft es, die Figuren einmal abzuschminken und neu zu kolorieren.
Welches sind die Publikumslieblinge?
Sehr beliebt ist Ed Sheeran, aber auch Olivia Jones, allein aufgrund des glitzernden Kostüms. Und Queen Elizabeth II.
Ihr persönlicher Favorit?
Queen Elizabeth II. Was auch an meiner leicht anglophilen Ader liegt. Ich bin keine Royalistin, aber ich finde, diese alte Dame hat bis zum Schluss vorbildlich immer eisern die Zähne zusammengebissen. Und in ihrem hübschen rosa Kostüm ist sie auch wirklich ein Farbklecks.
Sie zeigen auch Figuren von Adolf Hitler und Joseph Goebbels. Warum?
Weil wir möchten, dass dieses schreckliche Zeitalter der deutschen Geschichte nicht in Vergessenheit gerät. Uns ist es aber ganz wichtig, dass wir als Gegenpol direkt daneben die Geschwister Scholl stehen haben, um das geschichtlich richtig einzuordnen. Ich bin der Meinung, dass man die Wiederholung so eines Regimes nur verhindern kann, wenn man die Menschen immer wieder an diese Gräueltaten erinnert. Die Figuren von Hitler und Goebbels stehen heute hinter einer Gaze, um Selfies mit ihnen zu verhindern. Denn wir wollen nicht, dass dies ein Wallfahrtsort für Neonazis wird. Und wir fordern unsere Besucher auf, das letzte Flugblatt der Geschwister Scholl mitzunehmen. Kopien davon legen wir aus und drucken jedes Jahr in tausendfacher Ausführung nach.
Verraten Sie, welches die nächste Figur sein wird?
Das überlege ich seit Monaten, habe aber noch keine Lösung gefunden. Einer unser Bildhauer arbeitet seit längerer Zeit an Bundeskanzler Olaf Scholz, aber das zieht sich aus gesundheitlichen Gründen in die Länge. Ich kann nicht sagen, ob die Figur jemals fertig wird.
Zur Person – Doppelspitze mit dem Papa
Susanne Faerber leitet das Panoptikum in fünfter Generation. Schon als Kind wusste sie, dass sie einmal in die Fußstapfen ihrer Vorfahren treten will. Sie studierte Internationales Management und hat in Marketing und Konsumentenverhalten promoviert. Seit 2013 führt die 33-Jährige die Geschäfte des Panoptikums gemeinsam mit ihrem Vater Hayo Faerber, einem Arzt. Das Wachsfigurenkabinett hatte ihr Ur-Ur-Großvater, der Holzbildhauer Friedrich Hermann Faerber, 1879 am Spielbudenplatz gegründet. Jährlich besuchen etwa 200.000 Menschen die Kiezinstitution (23 Mitarbeiter) mit ihren mehr als 120 Wachsfiguren. Susanne Faerber lebt in Alsterdorf.
Persönlich – St. Paulis Stärken und Schwächen
Fischbrötchen oder Franzbrötchen? Franzbrötchen.
Alsterwasser oder Astra? Ich trinke keinen Alkohol.
Ich kann gut verzichten auf … Spinnen.
An St. Pauli gefällt mir besonders …, dass alle Menschen so akzeptiert werden, wie sie sind.
An St. Pauli gefällt mir nicht so sehr … der viele Müll und Schmutz.
Das schönste Wachsfigurenkabinett außerhalb Hamburgs ist … das Musée Grévin in Paris.
Selbst einmal als Wachsfigur im Kabinett zu stehen, wäre für mich … unvorstellbar, weil ich nicht gern im Mittelpunkt stehe.
Immer noch mal will ich … auf die Galapagos-Inseln reisen.