TPer Seilbahn nach Krautsand? Diese Bauruine war der Elbtower der Region

Unvollendet: Der Elbtower droht Hamburgs größte Bauruine zu werden. Der Bauherr, das Immobilienunternehmen Signa, hat im November Insolvenz angemeldet. Foto: Marcus Brandt
Vergleiche mit Hamburg sind immer gewagt. Stade und Cuxhaven sind kleiner, vom Umland ganz zu schweigen. Bei Hamburgs größter Bauruine, dem Elbtower, denkt man aber an die schlimmste Bausünde an der Weser, Stotels Hochhaus-Ruine. Es gibt Parallelen.
Stotel. Der Mann, der 1971 Stotel im Kreis Cuxhaven – vor allem aber sich selbst - reich machen wollte, fuhr im dicken Rolls Royce vor. Bruno Hoffmann, selbst ernannter Bauunternehmer aus Bremerhaven, witterte seine Chance und wollte etwas hermachen. Bremerhaven brummte, Wohnungen wurden gebraucht. Hoffmann wollte vor den Toren der Seestadt, im Dörfchen Stotel, eine Trabantenstadt für 4000 Bewohner hochziehen, mittendrin als Herzstück das riesige Hochhaus. Mehr als 65 Millionen Mark wollte er dort verbauen. Dabei war der „König von Stotel“, wie er bald genannt wurde, eigentlich eine verkrachte Existenz. Mit Baufirmen, Versicherungen und Teppichhandel hatte er es in Berlin versucht und war auf die Nase gefallen. Aber davon wusste an der Weser niemand.
Stades Regierungspräsident wünschte sich „städtebauliche Dominanten“
Hoffmann lief überall offene Türen ein. Dorfbürgermeister Gerhard Glockzien träumte vom großen Aufschwung, der seinem kleinen Dorf die Selbstständigkeit erhalten sollte - Hannover plante die Gebietsreform. Oberkreisdirektor Jürgen Prieß lobte den wirtschaftlichen Wagemut des windigen Investors, Stades Regierungspräsident Helmut-Ernst Miericke wünschte sich gar mehr „städtebauliche Dominanten“ auf dem flachen Land.
Es war die Zeit, in der alles machbar schien. Die Menschen hatten den Mond erobert. Auch zwischen Weser und Elbe wollte man plötzlich hoch hinaus. Durch die Amtsstuben geisterten Pläne, ein Hochhaus neben die Beerster Burg zu setzen und eine Seilbahn zur Elbinsel Krautsand fahren zu lassen. Es gab die Idee, bei Neuwerk sollte einen riesigen Hafen zu bauen.

Ein Zeugnis von Großmannssucht: 30 Jahre lang ragte die Hochhaus-Ruine in Stotel in den norddeutschen Himmel. 2001 wurde sie abgerissen. Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb
Dass Bruno Hoffmann auf die damals neueste Betonbautechnik setzte, passte ins Bild. Französische Bauarbeiter rückten in Stotel an, brachten fertige Verschalungen mit, setzten sie Etage für Etage aufeinander – und zogen sie anschließend wieder heraus. Nach 18 Stunden war der Beton hart. So hart, dass der 15-stöckige Klotz jahrzehntelang Wind und Wetter standhielt, wie man heute weiß. Bei so viel Innovation kümmerte es niemanden, dass es nie eine offizielle Baugenehmigung gab für den Stoteler „Himmelsstürmer“. Und dass das Finanzierungskonzept auf tönernen Füßen stand.
Der Elbtower sollte Hamburgs Hafencity krönen
Eine ähnliche Aufbruchstimmung herrschte in Hamburg zu Beginn der Nuller Jahre. Damals entstand die Hafencity, „Deutschlands größtes und kühnstes Bauprojekt“, wie die Zeitschrift Geo schrieb, eine Stadt in der Stadt, mit meist teuren Wohnungen, Museen und Schulen, Promenaden und Parks, für 12.000 Bewohner und 40.000 Angestellte. Und den Abschluss dieses neuen Stadtteils sollte ein Mega-Wolkenkratzer bilden, 235 Meter hoch, direkt an den Elbbrücken – der Elbtower als spektakulärer „Eingang“ zu Hamburg und neues Wahrzeichen der stolzen Hansestadt. Dieser Plan, der in den 90er Jahren als Skizze entstanden, wurde ab 2005 vom damaligen Oberbaudirektor Jörn Walter und dem damaligen Hafencity-Chef Jürgen Bruns-Berentelg massiv vorangetrieben, schreibt die ZEIT. Bis 2018 die Signa Prime Selection den Zuschlag bekam.

Einst galt er als „Wunderwuzzi“: René Benko, Gründer des pleite gegangenen Immobilienkonzerns Signa. Foto: Frank Rumpenhorst
Der Mann hinter Signa heißt René Benko, ein damals 40 Jahre junger Immobilieninvestor, den man, wie ZEIT-Autor Christoph Twickel schreibt, „in seiner österreichischen Heimat einen ‚Wunderwuzzi‘ nennt: einer, dem alles gelingt“. Benko hatte nicht nur das edle „Alsterhaus“ in Hamburgs City übernommen, er hatte auch die ganze Kaufhaus-Kette Karstadt gekauft und ein paar Jahre später griff er erfolgreich nach Kaufhof. Die beiden Konzerne fusionierten. Das Handelsblatt kürte ihn zum „Strategen des Jahres“, das Manager Magazin schrieb 2017 über ihn, dass alles handfest und bodenständig wirke.
Seit Herbst 2023 steht auf der Elbtower-Baustelle alles still
Es war aber offenbar alles andere als das. Kaum zehn Monate nach Baubeginn stand im Herbst 2023 auf Hamburgs größter Baustelle alles still. Signa hatte seine Rechnungen nicht bezahlt. Einen Monat später, Ende November, meldete die gesamte Holding Insolvenz an. Mittlerweile ist von einem „undurchschaubaren Firmenimperium“, so die Süddeutsche, die Rede, das wie ein Kartenhaus in sich zusammen fiel. Die Geschäftsgebaren des Tiroler Selfmademans haben der Bau- und Energiekrise nicht standgehalten. Inzwischen muss sich Benko vor einem Untersuchungsausschuss und vielleicht auch bald vor Gericht verantworten. Der Hauptvorwurf klingt wie bei Donald Trump: überhöhte Immobilienbewertungen, dubiose Geldflüsse, nicht nachvollziehbare Wertsteigerungen. Der Spiegel nennt ihn einen Hochstapler. Einen Hasardeur wie Bruno Hoffmann. Der Bremerhavener, der von einem Luxusloft mit römischem Bad und Blick nach Helgoland im obersten Stock des Stoteler Wolkenkratzers träumte, leistete 1973 den Offenbarungseid und wanderte wegen Steuerhinterziehung ins Gefängnis.
Ein graues Mahnmal für übertriebene Großmannssucht
Seine Trabantensiedlung kam unter den Hammer. Während in die Wohnblöcke um das Hochhaus ein paar Jahre später Leben einzog, blieb die „Ruine“, wie sie bald genannt wurde, über Jahrzehnte wie sie war - ein graues Mahnmal für übertriebene Großmannssucht. Bis 1996 Gerhard Schröder, damals Ministerpräsident in Niedersachsen, bei einem Besuch in Loxstedt locker versprach, dass das Ding weg müsse. Loxstedts Gemeindedirektor Rudolf Taxius nutzte seine Chance und sandte ein dickes Aktenpaket nach Hannover. Fünf Jahre später wurde die Ruine dem Erdboden gleichgemacht.
So weit ist man in Hamburg noch lange nicht. Derzeit zerbricht sich die halbe Stadt den Kopf darüber, was mit dem unvollendeten Benko-Turm geschehen soll. Während der Insolvenzverwalter laut „Welt“ angeblich guten Mutes ist, neue Investoren zu finden, spricht Hamburgs SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf bereits von Abriss. Was wohl auf Kosten der Steuerzahler gehen wird. Diejenigen, die so etwas anrichten, kümmert das in der Regel kaum. Bruno Hoffmann prahlte noch 1976 in einem Interview: „Hätte ich Stotel zu Ende gebaut, wäre ich für alle der Größte gewesen.“ Und René Benko dürfte das für seinen Elbtower ähnlich sehen.