TProduzent und DJ Alex Christensen: „Jede Generation hat ihre Droge“

Der DJ und Produzent Alex Christensen.
Mit dem Techno-Projekt U96 und „Das Boot“ gelang Musikproduzent Alex Christensen 1991 endgültig der Durchbruch. Auch mit „Du hast den schönsten Arsch der Welt“ landete er einen Nummer-Eins-Hit. Was der Komponist und DJ heute macht.
Hamburg.
Ein Büro im NDR-Funkhaus. Der DJ und Produzent Alex Christensen sitzt nach einem Senderbesuch auf einem Schreibtischstuhl, hinter sich hat er eine große Fensterfront. Nur zu gern redet der 56-Jährige über seine Musikleidenschaft. Besonders die 80er und 90er Jahre haben es ihm angetan. Schon mehrfach hat der Hamburger Songs aus diesen Dekaden zusammen mit dem Berlin Orchestra neu eingespielt, in diesem Jahr touren die Musiker wieder gemeinsam. Entsprechend geht Christensens Blick im Gespräch mit dem TAGEBLATT mal zurück, mal nach vorn.
TAGEBLATT: Herr Christensen, was bedeuten Ihnen aus heutiger Sicht die 80er Jahre?
Alex Christensen: Bands wie Culture Club, Human League und Ultravox haben bei mir damals eine ganz große Musikverliebtheit getriggert. Ich habe die ersten Konzerte besucht. Im CCH war ich bei Frankie Goes to Hollywood, ich habe mir Sade und Police angeschaut.
Haben Sie in dieser Zeit auch begonnen, die Hamburger Clubszene zu entdecken?
1985 habe ich als DJ im Checkers auf dem Steindamm angefangen. Anfangs hatte ich die Idee, nur die Sachen zu spielen, die ich gut finde. Ich bin gar nicht so auf das Publikum eingegangen. Doch mir wurde ziemlich schnell bewusst, dass das ein Fehler war. 1987 kriegte ich schließlich die Chance, im Voilà vorzuspielen. Dort habe ich drei Jahre aufgelegt.
Wie ließ sich das Auflegen mit Ihrer regulären Arbeit vereinbaren?
Nach der zehnten Klasse bin ich von der Schule abgegangen und habe eine Ausbildung zum Speditionskaufmann gemacht. An den Wochenenden habe ich dann eben als DJ gearbeitet. In den späten 80er Jahren nahm ich einen Job in einer Plattenfirma an, ich absolvierte meinen Zivildienst und war obendrein noch DJ in der Königsburg in Krefeld. In dieser Phase war ich voller Energie.
Waren Sie nicht oft todmüde?
Müdigkeit ist der Freund eines jeden DJs und Musikproduzenten. Wenn ich nicht müde war, wusste ich: Irgendwas ist in dieser Woche schiefgelaufen. Ich feiere bis heute unheimlich gern - zum Beispiel auf der Reeperbahn. Es gehört einfach zu meiner Sozialisierung, abends wegzugehen.
Gegenwärtig haben viele Jugendliche keine Lust auf Clubs. Wie erklären Sie sich das?
Als junger Mensch hast du dank des Internets ungeahnte Möglichkeiten. Wenn du jemanden kennenlernen willst, brauchst du nicht mehr vor die Tür zu gehen. Du tinderst halt zwei Minuten. Ich finde es aber wichtig, sich nicht nur online zu sehen, sondern sich direkt in die Augen zu schauen und miteinander zu sprechen. Wer nicht ausgeht, verpasst etwas.
Sie selbst dürften vor allem in den 90er Jahren häufig unterwegs gewesen sein. Wie ist Ihnen dieses Jahrzehnt in Erinnerung geblieben?
Damals ist wahnsinnig viel passiert. Als ich einen Nummer-eins-Hit hatte, wollte mich Jean Michel Jarre unbedingt kennenlernen. Auf einmal saß ich mit der Ikone der elektronischen Musik in seiner Hotelsuite. Wir wollten etwas zusammen machen, aber der Erfolg hat mich total überrollt und mir viele lukrative DJ-Gigs gebracht. Deshalb habe ich es irgendwie verpennt, mich wieder bei Jean Michel Jarre zu melden.
„Das Boot“ hat Sie 1991 mit dem Musikprojekt U 96 an die Spitze der Charts katapultiert. Was hieß das für die Techno-Bewegung?
Sie ist vom Underground in den Mainstream geschossen. Viele Leute sind erst durch „Das Boot“ mit Techno in Berührung gekommen. Auf einmal kamen nicht mehr 1000 Leute zu einem Rave, sondern 20.000.
Vor allem die Loveparade zog unzählige Menschen an. Wie standen Sie zu dieser Veranstaltung?
Sie war eine friedliche, lustige Riesensause, zu der man vollkommen sorglos gefahren ist. Erst haben die Leute vor, auf oder hinter den Lkw getanzt, nachts ging man in die Clubs. Es gab kaum Sicherheitsvorkehrungen, die Polizisten haben mitgefeiert. Die Loveparade hatte so einen Hippie-Touch, sie war wunderbar frei.
Bis 2010 das Unglück mit 21 Todesopfern geschah.
Das war entsetzlich. Aber es war nicht mehr meine Loveparade. Nach dem Umzug von Berlin ins Ruhrgebiet ist dieser Event kommerzialisiert worden. Dadurch sind Fehler passiert ...
Und wie beurteilen Sie die Hamburger Techno-Szene der 90er Jahre?
Sie war äußerst agil, mit vielen Clubs von Traxx bis Palladium. Gefühlt ging das Wochenende schon mittwochs im H1 los, der Donnerstag gehörte dem Opera House, Freitag und Sonnabend waren eh durchgetaktet. Sonntags konnte man noch um 9 Uhr morgens in einen Frühclub gehen. Das hat gut funktioniert, weil es jede Menge Jugendliche gab, die Lust auf Interaktionen mit anderen hatten.
Damals kam Ecstasy als Partydroge auf.
Jede Generation hat ihre Droge. Jetzt sind wir mit einer Droge konfrontiert, die von Pharmakonzernen erfunden wurde: Fentanyl. Sowohl sie als auch Ecstasy sind ziemlich schlecht. Dennoch sind Menschen seit Jahrhunderten mit Drogen verbunden. Haben nicht die Inkas schon Coca-Blätter gekaut? Ist nicht sogar Essen in gewisser Weise eine Droge? Alles, was gute Laune macht, geht doch in diese Richtung.
Auf jeden Fall hat in den 90er Jahren eine große Leichtigkeit regiert. Wünschen Sie sich dieses Lebensgefühl manchmal zurück?
Natürlich. Der Eiserne Vorhang war gefallen, man ist nach Osteuropa und nach Russland gereist. Heute ist alles ganz anders, wir haben wieder einen Klassenfeind. Dass Russland die Ukraine angegriffen hat, finde ich besorgniserregend.
Zumindest kurzzeitig können Sie in Ihre Musik abtauchen. Was hat Sie daran gereizt, Lieder aus den 80er und 90er Jahren mit dem Berlin Orchestra zu interpretieren?
2016 kam mir der Gedanke, meine alten Dance-Songs mit einem Orchester neu aufzunehmen. Dabei habe ich mich wie ein Restaurator gefühlt. Ich habe die Stücke aus den 90er Jahren entstaubt und auf ein neues Level gehoben.
Haben Sie für dieses Projekt selber eine Partitur geschrieben?
Nein. Ich habe wie Pep Guardiola agiert. Als Trainer schießt er ja auch nicht selber die Tore, sondern behält den Überblick. Da ich weiß, was ich kann und nicht kann, habe ich mir Arrangeure oder einen Notisten ins Boot geholt. Wir haben eng zusammengearbeitet.
Stichwort Fußball: Sind Sie St.-Pauli- oder HSV-Fan?
Ich gönne beiden Vereinen den Aufstieg. Allerdings bin ich etwas mehr beim HSV verortet, weil ich als Jugendlicher die Stadionpost verkauft habe. Dafür habe ich ein paar Mark bekommen und konnte mir zudem das Spiel angucken.
Gehen Sie heute noch gern ins Stadion?
Selbstverständlich. Ich war beim Spiel HSV gegen Elversberg, um den neuen Trainer Steffen Baumgart zu sehen. Seine Schirmmütze habe ich mir auch bestellt. Ich muss schließlich den Verein unterstützen, damit er irgendwann mal wieder Erstliga-tauglich wird.
Ihr Sohn Tiger Christensen ist ein talentierter Golfspieler. Golfen Sie ebenfalls?
Ich mache eher einen Spaziergang über den Rasen und treffe manchmal einen Ball. Zwischen mir und meinem Sohn liegen auf dem Golfplatz Welten. Wenn ich zu ihm fahre, putze ich ihm seine Schuhe, ich mache seine Schläger sauber und trage sein Bag. In solchen Momenten bin ich einfach nur Vater, das genieße ich sehr.
Stand Tiger Woods bei der Namensgebung Ihres Sohnes Pate?
Der Hamburger Boxer Dariusz „Tiger“ Michalczewski, den ich sehr gut kenne, hat mich eher inspiriert. Mit ihm und Mark Wahlberg alias Marky Mark habe ich das „No Mercy“-Video gedreht.
In jenen Tagen waren Sie schon ein Star. Ihre Kindheit in Wilhelmsburg war weniger glamourös, oder?
Wer in Wilhelmsburg aufwächst, lernt sehr früh, welche Straßen und Jugendzentren man besser meidet, wenn man nicht verkloppt werden will. Man wird street smart. In meiner Schule waren die Klassen bunt durchmischt. Es gab viele Italiener und Jugoslawen, später kamen Türken dazu. Wir saßen mit 38 Kids in einem Raum, Reibereien waren vorprogrammiert. Dabei habe ich gelernt, wie man durchs Leben kommt und sich durchsetzt.
Kennen Sie keine Zukunftsängste mehr?
Ich glaube, die hat jeder in irgendeiner Form. Ich erwarte immer, dass mir jemand auf die Schulter klopft und sagt: „Herr Christensen, Sie gehören nicht in die Musikbranche. Jetzt sind Sie raus.“ Selbst nach 40 Jahren als DJ beschleicht mich manchmal noch das Gefühl: Ich bin gar nicht so gut, ich habe meinen Erfolg überhaupt nicht verdient.
Zur Person: Alex Christensen wurde am 7. April 1967 in Hamburg geboren. 1990 schrieb der DJ für Chocolate das Stück „Ritmo de la Noche“. Für diesen Song (den Text sang Verona Feldbusch, heute Pooth, ein) bekam er seine erste Goldene Schallplatte. Mit U 96 hatte er 1991 mit „Das Boot“ einen Nummer-eins-Hit. 2007 stand er als Alex C. feat. Y-ass mit dem Titel „Du hast den schönsten Arsch der Welt“ abermals an der Spitze der Charts. Als Komponist und Produzent war er für Musiker von Tom Jones über Sarah Brightman bis zu *NSYNC tätig. 2009 trat er mit dem Sänger Oscar Loya für Deutschland beim ESC an. Er saß in der Jury der Castingshow „Popstars“ und hat auch mit seiner Frau Nicole Safft alias Rollergirl, mit der er einen Sohn hat, zusammengearbeitet. Nachdem das Paar die Winter sieben Jahre lang in Aleiadesa in Spanien verbracht hatte, blieb es 2023 in Hamburg. Alex Christensen führte eine Strichliste für Regentage, gab aber nach 21 Tagen auf, weil es fast täglich regnete. Mit dem Berlin Orchestra, mit dem er bereits 2017 das Album „Classical 90s Dance“ veröffentlichte, tritt er am 1. Juni, 20 Uhr, in der Hamburger Barclays Arena auf.
Bitte ergänzen Sie ...
Wilhelmsburg ist für mich ... die Heimat meiner Jugend.
Castingshows finde ich ... mittlerweile stereotyp und langweilig.
2009 beim Eurovision Song Contest mitzumachen ..., war für mich eine ganz große Ehre.
Für Helene Fischer ein Album zu produzieren ..., war für mich ein großartiges Erlebnis.
Ein Tag ohne Musik ... bedeutet für mich Frieden und Ruhe.
Geld gibt mir ... die Sicherheit, das zu machen, was ich machen möchte.