TRainald Grebe: Jeder Abend mit ihm könnte der letzte sein

Gut drauf trotz Tod im Nacken: Seine schwere Erkrankung ist Rainald Grebe kein bisschen anzumerken. Foto: Weselmann
Beim Stader Holk hat Rainald Grebe seine Autobiografie bunt gewürfelter Geschichten vorgestellt. Über sein Leben, den Weg zur Bühne - und die dunklen Wolken im Kopf.
Stade. Knallgrüne Adidas-Trainingshose im Retro-Stil, schwarze Turnschuhe, graues Shirt mit Brusttasche - so kommt Rainald Grebe am Donnerstagabend auf die Stadeum-Bühne. Den Federschmuck, der früher gerne mal seinen Kopf zierte, hat er schon vor Jahren abgelegt.
Rainald Grebe zwischen Kaff und Krankheit
Vorne am Bühnenrand ein Tisch und im Hintergrund der Flügel. Rainald Grebe ist nicht da, um von Thüringen, Sachsen oder Brandenburg zu singen, geschweige denn die politische Lage abzuarbeiten. Er liest aus seiner Art Autobiografie. „Rheinland Grapefruit. Mein Leben“ - das ist ein Cocktail aus Augenblicken. Kunstvoll geschüttelt mit persönlichen Zeitdokumenten, garniert mit Zeichnungen von Chrigel Farner und fein abgeschmeckt mit Fiktion, so dass nur Rainald Grebe weiß, was wirklich war.
Diplomierter Puppenspieler, Regisseur, Dramaturg und Schauspieler, Liedermacher, Kabarettist und Autor - der 53-Jährige ist ein Chamäleon des kreativen Schaffens und sein Buch des Lebens schreibt seitenweise Geschichten. Die sind wie seine Lieder, auf schmalem Grat zwischen tragisch-heiter und komisch-traurig. Sie erzählen von der Kindheit im rheinländischen Kaff Frechen, vom Zivildienst in einer Bielefelder Anstalt, vom ersten Fluchtversuch nach Berlin - und von der Krankheit, die ihn bedroht.
Stromausfall im Oberstübchen
Der Tod sitzt Rainald Grebe permanent im Nacken, oder besser gesagt im Kopf. Dass wurde ihm erst klar, als es ihn 2017 von jetzt auf gleich von der Bühne holt - mitten im Auftritt. Schlaganfall. Die Diagnose: Kleingefäßvaskulitis. Das bedeutet: immer wieder Stromausfall im Oberstübchen.
Inzwischen zählt er 17 solcher Blitzeinschläge im Hirn. Aber wie Rainald Grebe so ist, gewinnt er selbst dem lauernden Tod noch Anekdoten zum Lachen ab. Der Reha-Aufenthalt im Teupitz ist so eine. Da ist sein Buch entstanden. „Vier Wochen - endlich Zeit zum Arbeiten.“ Beim Check-in wird er begrüßt mit einem „Willkommen im schönen Brandenburg, wie geht‘s Ihnen?“ Heute geht es ihm offensichtlich gut. In Stade ist Sommer und in Grebes Kopf klarer Himmel. Dunkle Wolken, die sich ihm immer mal wieder ins Hirn schieben, wie er es nennt, sind nicht in Sicht.
Die Lesung ist gespickt mit privaten Fotos
Wie das Buch ist der Abend gespickt mit bunten Bildern. Rainald als Baby im Kinderwagen, Rainald in der Badewanne, Rainald mit Schultüte, Rainald als Pubertier am Klavier, Rainald als Kalendermodel nackt mit Helm, Handschuhen und Kettensäge.

Rainald Grebe liest Geschichten, die sein Leben geschrieben hat, und spickt den Abend mit persönlichen Fotos. Foto: Weselmann
Dazu Zeichnungen, zum Beispiel vom Uhrentest beim Neuropsychologen. Oder ein Foto von Rainalds Rollator. Er hatte nur das Kassengestell, klobig und geländeungängig. Lieber wäre er mit dem Modell Milano losgeschoben. „Damit kommt man unter Leute oder in den Club.“
Genauso so heiter ist die Liste der Fragen bei der Aufnahme. „Wie nehmen Sie Nahrung zu sich? Oral?!? Da lacht der Zuschauer. Spot an, Spot aus. Die Texte werfen nur kurze Schlaglichter auf sein Leben.
Geschichten zu Raritätensammlung und Reha
Von den skurrilen Erlebnissen in der Klinik blättert der vielfach ausgezeichnete Bühnenmann zurück zu seiner kindlichen Sammelleidenschaft. Bis in die Zeitung hat er es damit geschafft. „Schüler sammelt systematisch Samen - Kräuterkiste birgt Rainalds Raritäten“ titelt das Lokalblatt.
Nicht, dass Rainald Grebe mit seiner Autobiografie nicht gehadert hätte. „Was für ein kleines Scheißleben, das ist doch langweilig. Vielleicht sollte ich schreiben, dass ich in der Betty Ford Klinik auf Entzug war oder Sex mit Uma Thurman hatte“.
Er könne gar nicht alles erzählen, sagt er. „Was ihr nicht erfahrt, ist das meiste.“ Deshalb ist es ja auch etwas ganz anderes geworden: ein literarisches Kleinod im Angesicht eines drohenden Abschieds. Eine auf Papier gebannte Erinnerung an einen wunderbaren Künstler, die live natürlich noch mehr zu schillern vermag.
Dreimal rollt er mit dem Bürostuhl ans Klavier
Nur drei Mal wird er mit dem Bürostuhl ans Klavier rollen: für seinen „Captain Krümel“, für Billy Joels „She`s got a way“, dessen Songbook ihn überhaupt erst wirklich zum Klavierspieler gemacht hat, und für die Zugabe am Ende von eineinviertel Stunden kostbarer Grebe-Zeit.
Nein. Die berühmte Bundesland-Hymne „Brandenburg“ spielt er nicht. Am Ende schnarrt er Milli Vanillis „I‘m Gonna Miss You“ ins Mikro und hinterm Klavier klimpern fotografische Stillleben. Mit Ortsnamen wie Elend, Grauen und Schweigen. Schweigen - lieber Tod, das muss bei Rainald Grebe noch warten. Es ist so schön mit ihm auf der Bühne und glücklichem Publikum.