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Industrie

TSalzstadt als Energie-Drehscheibe: Wie Stades Zukunft verhandelt wird

Die Schlote im Stader Industriepark sollen weiter rauchen - aber klimaneutral.

Die Schlote im Stader Industriepark sollen weiter rauchen - aber klimaneutral. Foto: TAGEBLATT/Archiv

Vom Industriestandort mit qualmenden Schloten zur klimaneutralen Energie-Drehscheibe: Wie soll Stade diese Wandlung schaffen? Darum ging es beim ersten Stader Energiedialog. Das sind die Visionen.

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Von Anping Richter
Donnerstag, 23.11.2023, 19:25 Uhr

Stade. Es ist ein exklusives Treffen, zu dem die Hamburger Lobby-Beratungsfirma Von Beust & Coll eingeladen hat. Der ehemalige Hamburger Bürgermeister und Namensgeber Ole von Beust ist diesmal nicht dabei, dafür aber Geschäftsführer Georg Ehrmann, der im Tagungszentrum der Dow durch den ersten Stader Energie-Dialog führt. Die Liste der rund 40 Gäste, die er begrüßt, ist fast ein lokales Who’s Who: Vertreter von Dow, AOS und Olin, von HEH, Uniper und Tennet sind dabei, der Stader Bürgermeister, Lokalpolitiker und die CDU-Landtagsabgeordneten Birgit Butter und Melanie Reinecke. Später wird der Staatssekretär und Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Stade-Cuxhaven, Stefan Wenzel (Grüne), aus dem Bundeswirtschaftsministerium live zugeschaltet. Es geht um viel: um LNG, Ammoniak und Wasserstoff, um Salzkavernen als Energiespeicher und Strom-Knotenpunkte, kurz: um die Zukunft des Standorts Stade.

Finale Investitionsentscheidung für festes LNG-Terminal fällt bald

Die Bundestagsabgeordneten Enak Ferlemann und Oliver Grundmann haben das diskrete Treffen initiiert. Sie wollen ein Netzwerk schmieden. „Mit Enak laufe ich mir in Berlin und in der gesamten Republik die Hacken wund“, sagt Grundmann, „um allen zu zeigen, was für ein herausragender Industrie- und Energiestandort das hier ist.“ Der Zeitpunkt ist gut gewählt: In den kommenden Wochen will der Hanseatic Energy Hub (HEH) final entscheiden, ob er eine Milliarde Euro in den Bau des festen LNG-Terminals in Stade investiert. HEH-Gesellschafter sind die Buss-Gruppe, die spanische Enagás, die Dow sowie die auf Private Equity spezialisierte Partners Group, eine Schweizer Holding.

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Investition kommt, schätzt Enak Ferlemann auf 85 Prozent: „Deutschland will das, Deutschland braucht das, das wird klappen.“ Der Standort sei herausragend, sagt Oliver Grundmann: „Sonst würde hier niemand eine Milliarde Euro in die Hand nehmen.“

Viel lokale Prominenz aus Politik und Wirtschaft beim ersten Stader Energiedialog.

Viel lokale Prominenz aus Politik und Wirtschaft beim ersten Stader Energiedialog. Foto: Koch

Stader Salz-Kavernen als Mega-Energiespeicher?

Im Gespräch streichen viele Stades Vorteile heraus: Da ist der ungeheuer energieintensive Industriepark mit Platzreserven und Hafen. Da ist die Möglichkeit, emissionsfrei zu regasifizieren, weil Abwärme der Dow genutzt werden kann. Da ist die Pipeline für das deutsche Wasserstoffkernnetz, an die Stade angeschlossen wird, wie Stefan Wenzel bekräftigt. Da sind der nahe 380-kV-Tennet-Knotenpunkt und die Gas-Pipeline. Und da ist die Expertise von Fachkräften, schließlich betreibt Dow Europas größte Chlor-Elektrolyse-Anlage. Nicht zuletzt steht Stade auf Salz: Uniper erkundet, ob beispielsweise Wasserstoff hier in riesigen Kavernen gelagert werden könnte - Mega-Energiespeicher.

Das Stichwort Wasserstoff fällt oft: In einer Welt, die wegen der Klimaerwärmung dekarbonisieren muss, setzen Chemie- und Stahlindustrie, Luft- und Schifffahrt auf Wasserstoff als Energieträger. Wasserstoff-ready: Das war auch die Voraussetzung, unter der das feste LNG-Terminal in Stade genehmigt wurde. Von Behördenseite übrigens in Rekordgeschwindigkeit und als erstes der in Deutschland geplanten festen Terminals, vor Brunsbüttel und Wilhelmshaven. Stades Genehmigung gilt bis 2043. Inzwischen ist allerdings stets von dem Wasserstoff-Derivat Ammoniak die Rede.

Visionen von Ammoniak-Cracker bis Gaskraftwerk

Platz genug wäre im Industriehafen für einen Ammoniak-Cracker, einen chemischen Reaktor, der Ammoniak wieder in Stickstoff und Wasserstoff zerlegt. Wenn alles klappt, glaubt Grundmann, würden noch viele Milliarden in Stade investiert. Er sieht vor Ort Potenzial für „ein zusätzliches Ammoniak-Terminal, ein kleineres für Biokraftstoffe, ein CO2-Terminal, ein oder zwei neue Gaskraftwerke“ - und dafür, das Projekt zur Gewinnung von grünem E-Methanol wieder hochzufahren, das die Dow kürzlich aufgab - wohl auch, weil sie nicht länger auf staatliche Zuschüsse warten wollte.

Zurück in die Gegenwart: In wenigen Wochen soll in Stade ein von der Bundesregierung gechartertes schwimmendes LNG-Terminal die Arbeit aufnehmen. Dass vor allem LNG aus den USA und damit wohl auch Fracking-Gas anlanden wird, ist ein Kritikpunkt, der hier nicht thematisiert wurde. Zu hören war, dass Firmen wie die US-amerikanische Verbio durchaus interessiert sind, auch Bio-Methan zu exportieren. „Gänsehaut“, sagt Stades IHK-Chef Christoph von Speßhardt, bekomme er mit Blick auf all diese Möglichkeiten. Der Energiestandort Stade müsse seine Vorzüge unbedingt weltweit bekannter machen. Er selbst ist dabei und erwartet in den nächsten Monaten Wasserstoff-Delegationen aus Brasilien und Australien.

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