TSchiedsrichter trotz Handicap: Patric Geffkens Leidenschaft ist der Fußball
Der Bremerhavener Patric Geffken hat an einem Schiedsrichterlehrgang für Menschen mit geistiger Behinderung des Bremer Fußballverbandes teilgenommen. Foto: Scheschonka
Vom Spieler zum Schiedsrichter: Patric Geffken lässt sich durch nichts aufhalten - von seinem Handicap schon gar nicht. Mit „Pfeif auf Barrieren“ hat er sich zum Schiedsrichter ausbilden lassen.
Bremen. Patric Geffken und Fußball - das ist eine Liebe, die schon Ewigkeiten hält, aber auch gleich zu Beginn eine schwere Krise überstehen musste. „Ich war schon immer fußballbegeistert“, erzählt er mit strahlenden Augen. Ob im Tor, als Verteidiger oder Stürmer: Der 30-Jährige ist aktuell gleich in zwei Mannschaften überall da, wo er gebraucht wird, bei den Handicap-Kickern des OSC Bremerhaven und der Inklusionsmannschaft von Bremen United.
Und seine Hingabe kennt keine Grenzen. Mit „Pfeif auf Barrieren“ hat er beim Bremer Fußball-Verband (BFV) erfolgreich eine Schiedsrichter-Ausbildung für Menschen mit Handicap absolviert. „Seitdem verfolge ich bei Spielen nur noch den Schiri, die anderen 22 auf dem Platz sind nicht so wichtig“, erzählt der junge Mann lachend.
„Jeder hat ein Recht auf Fußball“
Patric Geffken hat große Probleme mit dem Lesen, Schreiben und Rechnen, außerdem leidet er unter einer Gehschwäche. „Jeder hat ein Recht auf Fußball. Das finde ich ganz wichtig“, sagt er. Umso neugieriger war er, den Ballsport auch einmal von einer anderen Seite kennenzulernen, nämlich als Unparteiischer.
Und so geht das Verbands-Konzept, Menschen mit Behinderung neben der Möglichkeit des Spielens an sich eine weitere Form der Teilhabe im Fußball zu bieten, für den Bremerhavener voll auf. „Ich finde das Projekt toll“, sagt er. Das Schiri-Regelwerk wurde „mit Spaß erlernt und im Praxiseinsatz erprobt“, heißt es vonseiten des BFV.
DFB-Festakt
T Große Ehre für A/O-Schiedsrichter
Der Lehrgang an zwei Wochenenden wurde stark an die allgemeine Schiedsrichter-Ausbildung angelehnt. „Der Unterschied war, dass alles Wichtige in vereinfachter Sprache vermittelt wurde“, beschreibt der Mitarbeiter bei der Lebenshilfe Bremerhaven das Prozedere. „Das war cool.“
Lehrgang verlangt Geffken einiges ab
Das Projekt wurde nach 2022 zum zweiten Mal gemeinsam vom BFV und Schleswig-Holsteinischen Fußballverband (SHFV) organisiert, durchgeführt wieder von den Referenten Marc Gobien (BFV) und Stefan Wiese (SHFV). „Natürlich ist das Lerntempo der Handicap-Teilnehmer anders einzustufen als in der Regelausbildung, doch wir waren erstaunt, wie viel Regelwissen die Teilnehmer aus dem ersten Wochenende mit in das zweite Treffen einige Monate später nahmen“, erzählt Marc Gobien.
Patric Geffken und auch seine Frau sind mächtig stolz, dass er jetzt Schiedsrichter-Zertifikat, Pfeife und Karten sein Eigen nennen darf. „Ich gucke viel Bundesliga und habe mich schon immer fürs Schiedsrichter-Dasein interessiert“, sagt er: „Es gibt ja auch viele Fans, die sind immer sauer, schieben die Schuld auf den Schiedsrichter. Dabei sind sie die wichtigste Person auf dem Platz.“
Aber er gibt auch zu, dass ihm der Lehrgang einiges abverlangt hat. „Wir haben viele Übungen gemacht und ich musste viele Eindrücke verarbeiten“, sagt der ausgewiesene Werder-Fan und spielt auf den großen Praxistag für die angehenden Schiris an: Bei einem Turnier kamen die Lehrgangsteilnehmer in Vorbereitung auf ihre zukünftige Führungsrolle auf dem Feld in einem Tandem-Modell zum ersten Mal zum Einsatz.
Erster Einsatz: Linienrichter in Bremer Kreisklasse A
Bei seinem ersten Einsatz bei der 1. Herren von Bremen United in der Kreisliga A als Handicap-Linienrichter war er dann auch tüchtig aufgeregt, denn er hatte doch großen Respekt vor der damit verbundenen Verantwortung. Fragen wie „mache ich das richtig, worauf muss ich achten und welche Schienbeinschoner haben die Spieler an“, schwirrten ihm durch den Kopf.
„Meine Aufgabe war, das Aus anzuzeigen, mit Abseits hatte ich nichts zu tun“, erklärt Patric Geffken. Hinterher sei er erleichtert gewesen, dass alle mit ihm zufrieden waren. „Das war toll, aber auch anstrengend und hat mich sehr viel Konzentration gekostet“, gibt er zu.
Weitere Erfahrungen soll er in der Bunten Liga des BFV sammeln, in der Menschen mit und ohne Behinderung in allen Altersklassen miteinander Fußball spielen. „Ich hoffe, das passt auch, weil ich mit dem OSC in dieser Liga spiele“, sagt er. „Ich bin gerne Schiri, spiele aber auch gerne.“
Dabei war sein Start in den Fußball alles andere als einfach. „Ich habe zuerst in einer ,normalen‘ Mannschaft gespielt, wurde dort aber gehänselt“, erinnert sich der 30-Jährige. Warum? „Die kannten sich mit Handicaps wohl nicht aus“, mutmaßt er.
Umso mehr freut er sich, seit 2008 bei den Handicap-Kickern des OSC Bremerhaven und 2020 bei Bremen United Mannschaften gefunden zu haben, die gemeinsam gewinnen, aber auch gemeinsam verlieren: Das ist das Wichtigste“, betont er.
Patric Geffken findet es richtig und wichtig, dass Inklusion im Fußball auch mithilfe von „Pfeif auf Barrieren“ weiter ausgebaut wird. „Wir müssen mehr gesehen werden - nicht nur im Sport“, sagt er. Als sichtbares Zeichen dafür hat er sich gerade ein Tattoo stehen lassen: Das Wort Vielfalt leuchtet auf seinem Unterarm, eingebettet in bunten Regenbogenfarben.
Verband begeistert von Qualität der Handicap-Schiris
Auch der Bremer Fußball-Verband um den Inklusionsbeauftragten Christoph Schlobohm zieht nach zwei Fortbildungen eine durchweg positive Bilanz: „Inklusiv zu denken und zu handeln ist gar nicht so schwer, wie es vielleicht auf den ersten Blick scheint. Wir waren begeistert, mit welcher Qualität und mit welcher Regelsicherheit die Handicap-Schiedsrichter ihre ersten Spiele gepfiffen haben“, sagt Marc Gobien.
Christoph Schlobohm ist zudem froh, dass der BFV mit dem SHFV einen Partner gefunden hat, um diese besonderen Lehrgänge zu verwirklichen. „Mit Marc Gobien und Stefan Wiese konnten wir sehr kompetente Ausbildungsleiter finden, die es den Teilnehmenden ermöglicht haben, Zugang zu den komplexen Fußballregeln zu erhalten.“