TSolidarität und kritische Fragen: Landwirte in Himmelpforten suchen Dialog am Lagerfeuer

Mario Breuer aus Heinbockel engagiert sich bei „Land schafft Verbindung“ und verbringt den Abend beim Bürgerdialog. Am nächsten Morgen wird er auf seinem Traktor in Kolonne zum Hamburger Hafen fahren. Foto: Richter
Traktoren-Demos auf der Straße bringen viel Aufmerksamkeit, keine Frage. Himmelpfortener Landwirte setzten aber auch auf gemeinsame Treffen, um die Gründe ihres Protests zu erklären. Ein Besuch am B73-Kreisel.
Himmelpforten. Es ist dunkel, es ist kalt. Doch an diesem Abend ist der Platz am Rande des Kreisverkehrs in Himmelpforten trotzdem beliebt: Im Schein der Flammen aus einer Öltonne und einer Feuerschale stehen 30 bis 40 Personen. Die Autofahrer haben heute freie Fahrt.
„Die Bahn streikt, wir wollen die Leute nicht überstrapazieren“, sagt Tobias Hardekopf-Braack aus Himmelpforten. Er ist einer der Landwirte, die sich die Aktion ausgedacht haben: Am Himmelpfortener Kreisverkehr suchen sie am zweiten Abend in Folge nicht die Konfrontation, sondern das Gespräch mit den Menschen. Sie wollen erklären, was hinter den Protesten steckt. Die Agrardiesel-Frage sei nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe. „Nicht zum Überlaufen. Zum Platzen“, korrigiert jemand aus der Runde.
„Tschüss, Papa“, ruft eine Kinderstimme. Gemeint ist Markus Langen, dessen Frau die Kinder ins Bett bringt, während er die Stellung hält. Er hat Milchvieh, etwas Grünland, baut Getreide und Mais an und sieht Bürokratie als Riesenproblem. „Eigentlich müsste man dafür eine Bürokraft einstellen“, sagt er.
Wirklich problematisch sei es 2016 mit der Verschärfung der Düngemittelverordnung geworden. „Die haben falsche Werte nach Brüssel übermittelt“, sagt er. „Jetzt sind wir hier im roten Gebiet“, erklärt Andreas Wick aus Groß Sterneberg - also in einem, in dem die Nitrat-Grenzwerte überschritten sind. Um das Grundwasser zu schützen, dürfen hier nur noch 80 Prozent des Düngebedarfs in Form von Gülle oder Mineraldünger auf die Felder gebracht werden. Die EU hatte Deutschland wegen jahrelanger Überschreitung der Grenzwerte verklagt. „Das Messstellennetz in Deutschland ist aber viel zu dünn“, sagt Wick.
Streit um Nitrat-Grenzwerte und Messungen
Laut Faktencheck des europäischen Mediennetzwerks Euractiv ist es tatsächlich so: Während der EU-Durchschnitt bei acht Messstellen pro 1000 Quadratkilometer liegt, seien es in der Bundesrepublik, trotz der Erweiterung des EU-Nitratmessnetzes, nur 1,9. Diese sind nicht repräsentativ verteilt, sondern liegen alle in – oder in der Nähe von – landwirtschaftlichen Gebieten. Dadurch sind die Nitrat-Werte deutlich höher, als wenn auch Messstellen zum Beispiel aus Waldgebieten gemeldet würden. Gleichwohl verfahren eine Reihe anderer EU-Länder ebenso, weil sie das für korrekt halten.
Eine Besucherin, die ihren Namen nicht nennen möchte, beschwert sich: „Sie bringen doch viel mehr Gülle aus, als hier eigentlich gebraucht wird, weil das Zeug einfach weg muss, egal wie.“ Stimmt nicht, sagen die Landwirte. Bei Frost oder Staunässe dürften sie nicht fahren. Schließlich gebe es die Düngemittelverordnung. „Aber gegen die protestieren Sie doch gerade“, sagt die Frau.

„Wir würden gerne nur noch 20 Kühe betüdeln, wenn wir davon leben könnten“, sagt Maja Borchers aus Burweg. Foto: Richter
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Diskussionen über Massentierhaltung und Subventionen
Die Massentierhaltung ist ihr auch ein Dorn im Auge. Doch darauf, ab wie vielen Tieren Massentierhaltung für sie anfängt, weiß sie nicht zu antworten. Das macht sie nachdenklich: „Vielleicht habe ich da ein etwas romantisches Bild im Kopf.“
Maja Borchers, die von einem Hof in Burweg kommt und gerade Abitur macht, sagt: „Wir würden gerne nur noch 20 Kühe betüdeln, wenn wir davon leben könnten.“ Ihre Familie hat einen Milchautomaten zur Eigenvermarktung. In der Corona-Zeit sei das sehr gefragt gewesen, danach war es schnell wieder rückläufig. Maja Borchers hofft, dass sie in der Landwirtschaft eine Zukunft hat. Mit Blick auf die vergangenen Jahre sei das ungewiss: Subventionskürzungen, steigende Auflagen - ihr fehle die Verlässlichkeit. „Der Regierung sollte daran gelegen sein, dass sich die Nahrungsmittelversorgung nicht zu stark ins Ausland verlagert“, sagt sie. Eine Zukunftschance sieht sie in Methan aus der Biogasanlage als alternativem Antrieb.

Landwirte und Bürger treffen sich am Lagerfeuer am Himmelpfortener Kreisverkehr. Foto: Richter
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Henry Tomforde hat Legehennen und erzählt, dass jedes Ei, das vom Hof geht, wöchentlich beim statistischen Bundesamt gemeldet werden muss. Aufwand bedeute auch KAT, der sogenannte Eier-Tüv zur Herkunftssicherung von Eiern aus alternativen Haltungssystemen. Er halte auf seinen 30 Hektar höchstens 140 Hühner pro Hektar. „Und aus der Ukraine kommt dann Flüssig-Ei im Tetra-Pack und darf verarbeitet werden“, bemängelt er.
Auch Kollegen bereiten der europäische und globale Wettbewerb und Freihandelsabkommen wie Mercosur Sorgen. „Es gibt keine weltweit einheitlichen Standards, wie sollen wir da konkurrieren?“, fragt Matthias Appel, der nebenberuflich 30 Schafe und 300 Legehennen hält. Er und Andreas Wick gehören zu denen, die in Groß Sterneberg wegen ihrer ampelkritischen Installationen in der Kritik stehen: „Das sind keine Galgen, das sind Haltevorrichtungen“, sagen sie. Ein entsprechendes Schild haben sie inzwischen angebracht.
Die meisten Besucher hier zeigen sich nicht kritisch, sondern solidarisch. Eike Schomacker, Krankenschwester bei der DRK-Sozialstation, findet es „großartig, dass die Landwirte mit ihren Traktoren sofort beiseitefahren, wenn sie das Rote Kreuz sehen“. Der Jäger Harald Burfeindt ist mit Kollegen gekommen, um heißen Apfelpunsch auszuschenken, natürlich aus regionalem Anbau: „Landwirtschaft und Jagd - das ist wie eine Familie. Und in der Corona-Zeit haben wir doch gesehen, was passiert, wenn wir auf Importe angewiesen sind.“