Flughafen-Geiselnehmer: Kein Wort der Reue zu hören - Staatsanwalt spricht von Selbstjustiz

Im Prozess gegen den Hamburger Flughafen-Geiselnehmer sitzt der Angeklagte im Landgericht im Sitzungssaal neben seiner Rechtsanwältin Anna Carlotta Bloch (Archivfoto). Foto: Daniel Bockwoldt/dpa
Der Flughafen-Geiselnehmer aus Buxtehude soll nach dem Willen der Staatsanwaltschaft für zwölf Jahre ins Gefängnis. Das sei der Tat und Schuld des Angeklagten angemessen, sagte Oberstaatsanwalt Ulf Bornemann.
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Am 4. November vergangenen Jahres hatte der türkische Angeklagte seine Tochter aus der Wohnung seiner Ex-Frau im niedersächsischen Stade entführt und war mit der Vierjährigen zum Flughafen gefahren. Er durchbrach drei Schranken und drang bis aufs Vorfeld des Flughafens vor. Dort warf er zwei Brandsätze aus dem Auto, schoss dreimal in die Luft und drohte, sich und das Kind in die Luft zu sprengen. Erst nach 18 Stunden gab er auf. Der Angeklagte hat die Taten weitgehend gestanden.
Mit Blick auf den Sorgerechtsstreit, der der Auslöser der Geiselnahme war, erklärte Oberstaatsanwalt Bornemann: „Die Tat stellt den Gipfel der Selbstjustiz dar.“ Der Mann habe sich der Geiselnahme, der Entziehung Minderjähriger, der vorsätzlichen Körperverletzung und des Verstoßes gegen das Waffengesetz schuldig gemacht. Strafmildernd wertete der Staatsanwalt das Geständnis.
Verteidigerin Anna Carlotta Bloch verwies darauf, dass sich ihr Mandant im Sorgerechtsstreit ungerecht behandelt fühlte. Er habe aus Verzweiflung gehandelt, weil er seine Tochter 14 Monate lang nicht sehen durfte. Während der Geiselnahme habe er schon vorher aufgeben und das Kind der Mutter übergeben wollen. Das Gericht sollte darum einen minderschweren Fall der Geiselnahme in Erwägung ziehen, sagte Bloch. Sie stellte keinen konkreten Strafantrag.
Als strafverschärfend beurteilte der Staatsanwalt den Umstand, dass der 35-Jährige die Tat nur ein halbes Jahr nach einer ersten Verurteilung wegen Kindesentziehung beging. Im Jahr 2022 war er mit dem damals dreijährigen Kind eigenmächtig in die Türkei gefahren. Die Mutter reiste hinterher und konnte die Tochter in einer Nacht- und Nebelaktion zurückholen.
Mitte Oktober habe er sich eine Pistole besorgt. Auf dem Flughafen drohte er: „Auch ich haben Bomben. Man kann sie aus Ferne zünden.“ Die Polizei habe befürchtet, das Auto könne explodieren. Die Beamten nahmen seine Drohung so ernst, dass sie später bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten in Buxtehude mit Sprengfallen rechneten. „Haben Sie eigentlich mal darüber nachgedacht, dass Sie vor den Augen Ihrer Tochter hätten erschossen werden können? Oder dass eine verirrte Kugel Ihre Tochter trifft?“, fragte der Staatsanwalt den Angeklagten.
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Die Anwältin Filiz Sen, die die Mutter und die Tochter als Nebenklägerinnen vertritt, wies auf die Gefahren hin, in die der Angeklagte sein verängstigtes Kind brachte. Er sei mit hoher Geschwindigkeit zum Flughafen gefahren. Die Vierjährige habe sich während der 18 Stunden in die Hose gemacht. Sie sei nur spärlich bekleidet gewesen und habe gefroren. „Sie wusste nicht, was passiert“, sagte Sen. „Er wollte seinen Willen bekommen, um seine Tochter ging es ihm nicht“, stellte Sen fest.
Der Angeklagte habe vor Gericht keine Einsicht gezeigt. Er habe sich zwar zu Anfang des Prozesses bei der Polizei entschuldigt. „Aber er hat sich mit keinem einzigen Wort bei seiner Ex-Frau entschuldigt.“ Sie habe einen Albtraum erlebt und sei so verängstigt, dass sie eine Therapie machen müsse. Mutter und Kind würden ihr Leben lang unter der Tat leiden.
In seinem letzten Wort erhob der Angeklagte mit lauter Stimme schwere Vorwürfe gegen die deutschen Behörden und seine Ex-Frau. Nach den Worten eines Übersetzers sagte er: „Das Urteil des Familiengerichts - trifft es zu auf Demokratie und auf die Freiheit? Ist es gemäß dem Grundgesetz in Deutschland angepasst oder nicht?“ Ein Wort der Reue oder des Bedauerns für seine Tat kam ihm nicht über die Lippen. Das Urteil soll am 25. Juni verkündet werden. (dpa/bal)