TStarschiedsrichter Deniz Aytekin: Ein berührender Besuch in Stade

Jan und Deniz Aytekin hatten gemeinsam viel zu lachen. Foto: Wertgen
Eine Mail nach der anderen schickt Jan, acht Stück, dann geht sein Traum in Erfüllung: Deniz Aytekin kommt nach Stade. In den Schwinge Werkstätten erlebt der Bundesliga-Schiri bewegende Momente.
Stade. Als Deniz Aytekin um die Ecke tritt, brandet Applaus auf. Die Beschäftigten der Schwinge Werkstätten in Stade jubeln, einige reißen ihre Arme hoch, andere umarmen sich. Alle strahlen über das ganze Gesicht.
„Danke für den Applaus. Das bin ich als Schiedsrichter gar nicht gewohnt“, sagt Aytekin und lacht. Er gilt als einer der besten und beliebtesten Referees Deutschlands. Er wurde 2024 zum dritten Mal als DFB-Schiedsrichter des Jahres gekürt.
Acht unbeantwortete Mails
Deniz Aytekin, der mit seiner Familie in der Nähe von Nürnberg lebt, ist gekommen, weil Jan ihn darum gebeten hatte. Der 31-Jährige arbeitet bei den Schwinge Werkstätten und fragte per E-Mail, ob der Bundesliga-Schiedsrichter ihn mal besuchen wolle.
DRK-Kreisverband
T Warum die Macherei in Stade ein besonderer Arbeitsplatz ist
„Ich wollte ihm die Wäscherei zeigen“, sagt Jan, der konkret beschreibt, wo ihn Aytekin findet - an Tor 3 am Hofacker 14 in Stade.
Keine Antwort. Jan versucht es wieder. Und wieder. Insgesamt acht Mal. Er begann schon zu glauben, dass Aytekin nicht reagieren würde. Das ist er von anderen Prominenten gewohnt.
Doch diesmal wird sein Einsatz belohnt. „Ich versuche, alle E-Mails zu beantworten“, sagt Aytekin. Jans Hartnäckigkeit habe ihn besonders beeindruckt. „Davon können sich viele etwas abschauen“, so der 47-Jährige.
Sie vereinbaren einen Termin. Eigentlich wäre Aytekin nach einem Auftritt in der Stadthalle in Osterholz-Scharmbeck direkt nach Hause in die Nähe von Nürnberg gefahren. Doch er legte eine Übernachtung in Stade ein, um Jan zu besuchen.

Deniz Aytekin ist für seine empathische Art geschätzt – bei Spielern auf und Fans neben dem Platz. Foto: Bernd Thissen/dpa
Feiern zu verpassen ist Alltag
Fast 250 Bundesliga-Spiele hat Aytekin geleitet, dazu zahlreiche Partien in internationalen Wettbewerben. Ob er vor Spielen noch aufgeregt sei, wird er gefragt.
„Anspannung und Druck gehören immer dazu. Wenn man das vor einem Spiel nicht mehr spürt, sind Leidenschaft und Spaß verschwunden“, sagt Aytekin.
Jan hat Karten für das Derby im Dezember zwischen dem Hamburger SV und Werder Bremen. „Pfeifst du das Spiel?“, fragt er. Während der Saison seien die Wochenenden geblockt und es stehe erst eine Woche vorher fest, ob und zu welchem Spiel Aytekin fährt.
Der Job bedeute entsprechend immer wieder auch Verzicht. Familienfeiern zu verpassen, das sei Alltag.
Training auch im Urlaub
Der Top-Schiedsrichter gibt Jan viele weitere Einblicke in das Leben eines professionellen Unparteiischen. Vieles sei auf den Job ausgelegt. „Ich trainiere ein- bis zweimal am Tag“, erzählt Aytekin.
Dazu gehören Intervallläufe, Stabilisations-Einheiten und Kraftübungen. Auch im Büro hat er Trainingsmöglichkeiten installiert und im Urlaub wählt er Hotels bewusst danach, ob es einen Fitnessraum gibt.

Patrick Ittrich und Deniz Aytekin lieferten sich ein witziges Wortgefecht. Foto: Wertgen
„Ich trainiere dann morgens um sechs oder sieben, dann ist die Pflicht erledigt, und der Rest des Tages gehört meiner Familie“, so Aytekin. Spaß und Leidenschaft überwiegen aber, ansonsten würde er nicht mehr pfeifen.
Video-Anruf mit Patrick Ittrich
Dann fragt Aytekin, welche Referees Jan noch gut findet. Patrick Ittrich, antwortet dieser. „Weißt du was? Den rufen wir an“, beschließt Aytekin. Erst geht niemand ran, aber Ittrich ruft direkt per Video-Call zurück.

Aytekin und Ittrich diskutieren, wer der bessere Schiedsrichter ist. Foto: Wertgen
Es ist ein munteres Gespräch, in dem sich die beiden Kollegen gegenseitig Sprüche drücken. Jan lacht mit. Ittrich arbeitet nach einer Verletzung am Comeback, Aytekin witzelt: „Wir sind wie Unkraut. Wir kommen immer wieder.“
„Wie sympathisch kann ein Mensch bitte sein?“
Bei der Autogrammstunde mit allen Beschäftigten gibt sich Aytekin sehr bodenständig und nahbar. Er schreibt mehr als 100 Autogramme, erfüllt jeden Wunsch, macht unzählige Fotos, lässt sich umarmen, beantwortet alle Fragen und schüttelt fleißig Hände.

Sandra Podehl ließ sich die Gelegenheit nicht nehmen und sicherte sich ein gemeinsames Foto. Foto: Wertgen
„Wie sympathisch kann ein Mensch bitte sein?“, fragt Franziska Kampmann, die Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim DRK-Kreisverband Stade.
HSV-Fan mit großem Herz
Eine Beschäftigte geht leer aus. Alle Autogrammkarten sind vergriffen. Aytekin hätte im Auto noch weitere Präsente, aber bevor er loskommt, springt Marcel ein.

Deniz Aytekin unterschrieb und verschenkte auch zahlreiche seiner Bücher. Foto: Wertgen
Der eingefleischte HSV-Fan verzichtet kurzerhand auf sein Exemplar und schenkt es einer Kollegin – ohne zu zögern, ohne nachzudenken. Einfach aus dem Herzen heraus entschieden. Für sich behält er seinen HSV-Hut, den Aytekin signiert.
Aytekin von Beschäftigten begeistert
Deniz Aytekin gesteht, dass er nicht nur nach Stade gekommen ist, um anderen eine Freude zu machen, sondern selbst viel mitnimmt: „Wenn ich an diese Echtheit und aufrichtige Freude denke, bekomme ich eine Gänsehaut“, sagt er.

Beim Kicker hatten Jan (links) und Felix das bessere Händchen. Foto: Wertgen
Aytekin habe etwas gesehen, was er in der Gesellschaft ansonsten vermisse. „Die Freude der Menschen zu sehen. Dafür hat sich jede Minute hier gelohnt“, sagt er.
Sein Leitmotiv „Respekt ist alles“ ist an diesem Mittag allgegenwärtig – in jedem Gespräch, jedem Händedruck, jedem Lachen.
Felix kennt jedes Detail
Ein Beschäftigter in einem Bayern-Trikot sagt staunend: „Das ist doch ein Traum, dass ein Bundesliga-Schiedsrichter zu uns kommt.“

Deniz Aytekin unterschrieb und verschenkte auch zahlreiche seiner Bücher. Foto: Wertgen
Auch Felix ist sichtlich bewegt. Er bewundert die Ausstrahlung von Schiri Deniz Aytekin und ist großer Fan. Felix verfolgt dessen Karriere seit vielen Jahren und kennt viele Meilensteine, darunter die erste Rote Karte des Referees 2008 gegen Mesut Özil.
Aytekin bald als Kantinen-Schiri?
Im Sommer 2026 wird Aytekin seine Karriere beenden. „Danach kannst du ja bei uns pfeifen, wenn es in der Kantine mal unruhig wird“, meint Felix. Er und Jan fordern Aytekin zu einem Match am Tischkicker heraus. Das Duo gewinnt deutlich.

Voller Stolz zeigte Jan seinen Arbeitsplatz, die Wäscherei. Foto: Wertgen
Jan zeigt Aytekin die Wäscherei, in der er normalerweise tätig ist. Er führt ihn durch die Räume, erklärt Abläufe, berichtet vom Alltag.
Arbeit kaum gewürdigt
Die Schwinge Werkstätten bieten für rund 500 Menschen mit Behinderung nicht nur einen Arbeitsplatz, sondern sind ein geschützter Raum für ihre Entwicklung.

Auch Ulrike von Allwörden ergriff die Gelegenheit. Foto: Wertgen
Sie können hier Aufgaben ausführen, die zu ihnen passen – in der Wäscherei, in der Montage oder in Serviceangeboten für Kunden in der Region.
Für viele ist es ein Ort, an dem sie erstmals Anerkennung für ihre Leistung erfahren. Das werde viel zu selten gewürdigt und anerkannt, findet Aytekin.
Jan kämpft gegen den Krebs
Derzeit ist Jan selbst nicht im Dienst. Er kämpft gegen den Krebs. „Bald beginnt die Bestrahlung“, sagt er. Der laute Applaus seiner Kolleginnen und Kollegen, die sich bei ihm - dem Organisator – bedanken, dürfte ihm Kraft geben.
Für sie ist er an diesem Tag ein Held, der direkt einen Arbeitsauftrag bekommt. „Hol doch mal jemanden vom HSV“, finden sie. Das will Jan bald in Angriff nehmen.