TSteile Karriere bei D/A: Vom steinigen Bolzplatz im Irak in die Regionalliga

Die Bundesligaprofis vom FC St. Pauli können Allah Aid Hamid nur durch Fouls stoppen. Foto: Struwe (nomo)
Als Kind bolzt er barfuß im Irak. Mit 22 gilt er als etablierter Fußballer in der Regionalliga. Allah Aid Hamid dribbelt sich bei D/A in die Herzen der Fans.
Drochtersen. Nach etwas mehr als einer Stunde verlässt Drochtersens Außenspieler Allah Aid Hamid im Testspiel gegen den Bundesligisten FC St. Pauli den Platz. Hamid lächelt breit. Er dreht sich in Richtung Haupttribüne um und reckt beide Fäuste nach oben. Die Fans jubeln. Hamid hat das Zeug zum Publikumsliebling.
Der Regionalligist D/A führt gegen die drei Klassen höher spielenden Vollprofis mit 1:0. Dass es dabei bleiben wird, weiß Hamid zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Aber er scheint es zu ahnen. Co-Trainer Lars Jagemann tätschelt dem Strahlemann den Kopf. Wahrscheinlich eine Art Lob dafür, dass Hamid seine Gegner gerade gut 65 Minuten lang schwindelig gespielt hat.
Hamid hat wieder Spaß am Fußball
Seit diesem Sommer ist der 22-Jährige zurück bei der Spielvereinigung Drochtersen/Assel. Vor eineinhalb Jahren wechselte Hamid zum SSV Jeddeloh in die Nähe von Oldenburg. Private Probleme gaben damals den Ausschlag. D/A hatte ihn ziehen lassen. Dafür sei er heute dankbar, sagt Hamid. Die Probleme sind ausgeräumt. „Ich kann wieder befreit Fußball spielen“, sagt Hamid. Es mache wieder Spaß.
Hamid ist zurück in „einer coolen Truppe“, wie er sagt. In der Zwischenzeit passierte viel. Der Fußballer aus dem Irak war schon immer schnell. Aber jetzt ist er auch taktisch und fußballerisch besser geworden. Athletischer. Erfahrener. Hamid geht in seine vierte Regionalligasaison. Seine Geschichte als Fußballer taugt als Vorlage für das Drehbuch eines Sportfilms.

Allah Aid Hamid (links) feiert mit seinen D/A-Kollegen das 1:0 gegen St. Pauli. Am Ende gewinnt der Regionalligist gegen die Vollprofis aus Hamburg. Foto: Struwe (nomo)
Im Jahr 2014 flüchtete Hamids Familie mit dem damals Elfjährigen nach Deutschland. Allah Aid Hamid kickte bis dahin auf Bolzplätzen, auf Sand, auf Steinen, manchmal barfuß. Er tritt in der Oldenburger Ecke in einen Sportverein ein, um Anschluss zu finden und um weiter Fußball zu spielen. Er lernt die Sprache und spricht heute fließend, fast muttersprachlich.
Von der Kreisliga in die Regionalliga
2020 spielt Hamid in der Kreisliga. Sein Talent bleibt nicht unerkannt. Brinkumer SV, Bremer SV, sein erster D/A-Aufenthalt. Nach nur eineinhalb Jahren schafft Hamid den Sprung in die Regionalliga. Heute gilt er längst als etablierter Spieler.
„Für meinen Kopf ging das alles viel zu schnell“, sagt Hamid. „Training, Training, Training, Spiel, Spiel, Spiel. Ich konnte das gar nicht alles realisieren.“ Klar lägen Welten zwischen der Kreisliga und der Regionalliga. Aber Hamid spielte sein Spiel. Er sagt selbst, er habe immer überall Vollgas gegeben.
Ist die Eigenmotivation bei Hamid größer als bei einem Fußballer, der in einer Wohlfühloase behütet aufgewachsen ist? Das will Hamid nicht bewerten. Aber er habe gemerkt, dass er in Deutschland mit dem Fußball etwas erreichen könne. Auf teppichgleichem Rasen und mit Fußballschuhen. „Ich bin ein Arbeiter, ein disziplinierter Junge und arbeite jeden Tag an meinen Schwächen“, sagt Hamid.
Die Verlobte stammt aus dem Nachbardorf
Hamid ist angekommen in Deutschland. Er lebt in Oldenburg bei seinen Eltern und pendelt in einer Fahrgemeinschaft mit Spielerkollege Justin Plautz nach Drochtersen. Hamid verlobte sich jüngst mit einer Frau, die er seit seiner Kindheit kennt und die 2017 nach Deutschland flüchtete. Stolz zeigt er sich und seine zukünftige Braut auf Fotos bei Instagram. Der Hochzeitstermin steht noch nicht fest. Sie lebte früher im Irak in seinem Nachbardorf.
Den Irak besuchte Hamid seit seiner Flucht nicht. Käme er heute zurück, würde er Probleme bekommen. Hamid kümmert sich in Deutschland gerade um seine Einbürgerung. Dann bekäme er neben dem irakischen einen deutschen Pass. Dann wären Flüge wieder möglich. „Deutschland ist Zuhause. Heimat“, sagt Hamid. Aber der Irak ist „Heimat-Heimat“.
Hamid peilt mit D/A den Aufstieg an
Der kleine Dribbelkünstler lebt den Traum von der irakischen Nationalmannschaft. Er will für seine „Heimat-Heimat“ spielen. Bisher habe der Verband noch nicht angefragt. Doch geht seine Entwicklung so weiter, ist das womöglich nur eine Frage der Zeit. Kurzfristig verfolgt Hamid andere Ziele.
„Für mich zählt nur der Aufstieg in die 3. Liga“, sagt Hamid, der bei D/A einen Vertrag für die bevorstehende Saison unterschrieben hat. Jedes Spiel definiert er als Endspiel. Aber das Reden über Ziele ist nicht seine Sache. „Lieber will ich auf dem Platz was zeigen“, sagt er.
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