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Gerichtsverhandlung

TSteine von A1- und A7-Brücke geworfen: Täter hatten ungewöhnliches Motiv

Wenn schwere Gegenstände von Autobahnbrücken geworfen und arglose Autofahrer dadurch potenziell in Lebensgefahr gebracht werden, bejahen Gerichte bei entsprechendem Vorsatz das Vorliegen eines Mordversuchs.

Wenn schwere Gegenstände von Autobahnbrücken geworfen und arglose Autofahrer dadurch potenziell in Lebensgefahr gebracht werden, bejahen Gerichte bei entsprechendem Vorsatz das Vorliegen eines Mordversuchs. Foto: Pia Bayer

Zwei Männer stehen bald wegen versuchten Mordes vor Gericht, nachdem sie schwere Gegenstände von Brücken auf Fahrzeuge geworfen haben. Unter anderem im Stader Nachbarkreis.

Von André Ricci Freitag, 21.11.2025, 10:50 Uhr

Rotenburg. Im Frühsommer ging die Angst um auf den Autobahnen 1 und 7 zwischen Hamburg und Bremen beziehungsweise Hannover. Unbekannte hatten an mehreren Tagen jeweils in den Abend- und Nachtstunden massive Gegenstände wie Warnbaken-Füße, Steine und eine Betonplatte von Brücken auf die Fahrbahn geworfen, teils direkt vor die Pkws argloser Autofahrer.

Einer der Vorfälle ereignete sich in der Nacht auf den 3. Juni kurz vor 2 Uhr im Bereich Abelbeck bei Soltau-Harber, wo ein schwerer Baumstamm von der Autobahnbrücke flog.

Ein weiterer Fall im Heidekreis ereignete sich am 16. Mai im Autobahnbereich Schwarmstedt. Die Staatsanwaltschaft geht von einer Tatserie mit mehr als 20 betroffenen Fahrzeugen und einem hohen Sachschaden aus, tödlich verletzt wurde aber glücklicherweise niemand.

Zwei Männer seit Sommer in U-Haft

Der sofort eingerichteten Sonderkommission gelang ein schneller Fahndungserfolg, zwei inzwischen angeklagte Männer sitzen seit Mitte Juni in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft wirft den heute 23 und 32 Jahre alten Männern aus den Landkreisen Hildburghausen und Schmalkalden-Meiningen in Thüringen unter anderem versuchten Mord und gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr in mehreren Fällen vor.

Die Tat in Soltau hätten sie gemeinschaftlich begangen, in Schwarmstedt habe der Jüngere der beiden dagegen allein gehandelt, ist die Anklagebehörde überzeugt. Jetzt hat das Landgericht Lüneburg der Klage stattgegeben und Sitzungstermine für die Hauptverhandlung anberaumt.

Der aufwendige Prozess vor der Großen Strafkammer als Schwurgericht beginnt am Donnerstag, 27. November. Terminiert sind insgesamt 11 Sitzungstage bis zur möglichen Urteilsverkündung am 29. Januar. Die Kammer hat einen psychiatrischen Sachverständigen zugezogen und für alle Sitzungstage bis einschließlich 17. Dezember Zeugen vorgeladen.

Ungewöhnliches Motiv vermutet

Die Staatsanwaltschaft vermutet hinter den Wurfattacken ein für dieses Deliktsfeld ungewöhnliches Motiv. In bislang bekannt gewordenen Fällen waren es meistens junge Täter, die aus Neugier, Langeweile oder Imponiergehabe Gegenstände von Autobahnbrücken warfen, oft unter völliger Verkennung der damit verbundenen Risiken und strafrechtlichen Konsequenzen.

Im vorliegenden Fall geht die Anklageschrift von etwas anderem aus. Demnach wollten die gar nicht mehr so jungen Angeklagten vorsätzlich gefährliche Verkehrsunfälle herbeiführen, um sich anschließend als technische oder medizinische Ersthelfer in Szene zu setzen. Es sei ihnen darauf angekommen, „das eigene Selbstwertgefühl zu steigern“, heißt es in der Anklageerhebung.

Das erinnert stark an das sogenannte Münchhausen-by-proxy-Syndrom, das ursprünglich zur Erklärung von Straftaten im familiären Bereich herangezogen wurde, dessen Dynamik sich aber auch auf andere Deliktsbereiche übertragen lässt.

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