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TTödliche Schüsse in Scheeßel: Was die Nachbarn über die Tragödie wissen

In diesem Einfamilienhaus an der Hauptstraße in Westervesede starben zwei Menschen.

In diesem Einfamilienhaus an der Hauptstraße in Westervesede starben zwei Menschen. Foto: Sina Schuldt/dpa

Vier Tote, darunter ein dreijähriges Mädchen. Der Landkreis Rotenburg erlebt ein unfassbares Verbrechen. Nachbarn sind geschockt, der Kindergarten bleibt geschlossen. Reaktionen zu den Todesschüssen.

Von U. Heyne, S. Hennings, K Harder-von Fintel Freitag, 01.03.2024, 19:10 Uhr

Rotenburg. Die Sonne scheint, Vögel zwitschern und die ersten Frühlingsblüher sprießen im Garten vor dem Backsteinhaus in Scheeßel. Ein paar Bälle liegen auf dem Rasen, daneben stehen eine Schaukel und ein großes Trampolin. Eine Idylle - wären da nicht das Polizeiabsperrband und ein Polizeiwagen mit Blaulicht in der Hofeinfahrt.

In dem Familienhaus müssen sich in der Nacht auf Freitag unfassbare Szenen abgespielt haben - ebenso wie an einem zweiten Tatort im rund neun Kilometer entfernten Bothel. Am Ende sind vier Menschen tot - darunter ein drei Jahre altes Mädchen.

Nachdem eine Großfahndung zunächst keinen Erfolg hatte, stellte sich der mutmaßliche Täter in den Morgenstunden im Umfeld der Rotenburger Von-Düring-Kaserne der Polizei. In einem Wohnhaus, nur wenige Kilometer von Scheeßel entfernt, fielen nachts die ersten Schüsse. Um 3.30 Uhr soll der 32 Jahre alte Bundeswehrtsoldat im Scheeßeler Ortsteil Westervesede den neuen Partner (30) seiner Ex-Freundin und dessen Mutter (55) erschossen haben.

Bei dem getöteten Mann soll es sich um ein Mitglied des Ortsrats Westervesede handeln, der noch am Vorabend eine Veranstaltung zur Gründung der neuen Kinderfeuerwehr besucht haben soll.

Wenig Kontakt: Wie Nachbarn die tödlichen Schüssen erlebten

Ob die direkten Nachbarn von der Tat etwas mitbekommen haben, lässt sich nur wenige Stunden nach dem Blutbad nicht sagen. Während ein 22-Jähriger berichtet, dass seine Eltern durch Schüsse aus dem Schlaf hochgeschreckt sind, will ein Rentner, dessen Garten an die hintere Grundstücksgrenze stößt, von den Schüssen nichts gehört haben.

Erst, als er gegen 5 Uhr den ersten Kaffee für sich und seine Frau gekocht hat, wunderte er sich über das Blaulicht an der Straße.

Beamte der Spurensicherung sind den ganzen Tag beschäftigt.

Beamte der Spurensicherung sind den ganzen Tag beschäftigt. Foto: Sina Schuldt/dpa

Ob er Kontakt zu den Nachbarn hatte? „Nö, hätte ich sie auf der Straße getroffen, hätte ich nicht gewusst, dass wir Nachbarn sind“, meint der Rentner, während er auf dem Sitz seines Rollators Platz nimmt. Seit ungefähr zwei Jahren sollen die Leute dort gewohnt haben, erzählt er. „Manchmal hat man eine Kinderstimme im Garten gehört.“

Getötete 33-Jährige nur eine Freundin der Ex-Partnerin?

Nur kurz nach den Schüssen in Westervesede sei der Soldat dann beim zweiten Tatort in Brockel gewesen, berichtet ein Nachbar in dem dortigen Neubaugebiet. In einem Haus erschoss er eine junge Frau und ihre dreijährige Tochter, offenbar eine Freundin (33) seiner Ex-Partnerin.

Die Mutter soll noch versucht haben, sich schützend auf ihre Tochter zu werfen, will der Nachbar gehört haben. Offiziell bestätigt ist diese Aussage bisher nicht.

Brockel: Hier starb das dreijährige Kind.

Brockel: Hier starb das dreijährige Kind. Foto: Schuldt

Familiendramen gibt es nicht nur in der Stadt

Auch der Nachbar in Brockel will keine Schüsse wahrgenommen haben, obwohl er kurz vor 4 Uhr morgens auf den Beinen war. Da hat er dann das Blaulicht vor dem Haus in der Sackgasse gesehen. „Ich dachte, dass es sich wohl um einen medizinischen Notfall handeln musste, weil mehrere Rettungswagen dort standen. Neugierig, wie ich dann war, habe ich noch eine Weile am Fenster gestanden und mich gewundert, dass die Rettungswagen nicht weggefahren sind, denn im Notfall muss ja schnell ein Krankenhaus angesteuert werden.“

Soldat erschießt vier Menschen im Kreis Rotenburg

Foto: Sina Schuldt/dpa

Die Spurensicherung arbeitet hinter einer Polizeiabsperrung an der Von-Düring-Ka...
Die Spurensicherung arbeitet hinter einer Polizeiabsperrung an der Von-Düring-Kaserne. Foto: Sina Schuldt/dpa Foto: Sina Schuldt/dpa

Foto: Sina Schuldt/dpa

Die Spurensicherung arbeitet hinter einer Polizeiabsperrung an der Von-Düring-Ka...
Die Spurensicherung arbeitet hinter einer Polizeiabsperrung an der Von-Düring-Kaserne. Foto: Sina Schuldt/dpa Foto: Sina Schuldt/dpa

Foto: Helen Hoffmann/dpa

Beamte der Spurensicherung gehen zu einem Einfamilienhaus in Scheeßel. Foto: Hel...
Beamte der Spurensicherung gehen zu einem Einfamilienhaus in Scheeßel. Foto: Helen Hoffmann/dpa Foto: Helen Hoffmann/dpa

Foto: Helen Hoffmann/dpa

Beamte der Spurensicherung stehen vor einem Einfamilienhaus in der Gemeinde Sche...
Beamte der Spurensicherung stehen vor einem Einfamilienhaus in der Gemeinde Scheeßel. Foto: Helen Hoffmann/dpa Foto: Helen Hoffmann/dpa

Foto: Helen Hoffmann/dpa

Ein Absperrband ist vor einem Einfamilienhaus in der Gemeinde Scheeßel zu sehen....
Ein Absperrband ist vor einem Einfamilienhaus in der Gemeinde Scheeßel zu sehen. Foto: Helen Hoffmann/dpa Foto: Helen Hoffmann/dpa

Foto: Kai Moorschlatt/NordwestMedia TV/dpa

Die Polizei steht in einem Wohngebiet in Bothel, nachdem Schüsse gefallen sind. ...
Die Polizei steht in einem Wohngebiet in Bothel, nachdem Schüsse gefallen sind. Foto: Kai Moorschlatt/NordwestMedia TV/dpa Foto: Kai Moorschlatt/NordwestMedia TV/dpa

Foto: Sina Schuldt/dpa

Ein Auto steht hinter einem Absperrband in der Nähe der Von-Düring-Kaserne in Ro...
Ein Auto steht hinter einem Absperrband in der Nähe der Von-Düring-Kaserne in Rotenburg (Wümme). Foto: Sina Schuldt/dpa Foto: Sina Schuldt/dpa

Foto: Sina Schuldt/dpa

Eine Flasche mit Textilfasern im Flaschenhals steht in der Tür eines Autos. Foto...
Eine Flasche mit Textilfasern im Flaschenhals steht in der Tür eines Autos. Foto: Sina Schuldt/dpa Foto: Sina Schuldt/dpa

Foto: Sina Schuldt/dpa

Ein Auto steht hinter einem Absperrband. Foto: Sina Schuldt/dpa
Ein Auto steht hinter einem Absperrband. Foto: Sina Schuldt/dpa Foto: Sina Schuldt/dpa

Foto: Sina Schuldt/dpa

Gegenstände liegen neben einem Auto. Foto: Sina Schuldt/dpa
Gegenstände liegen neben einem Auto. Foto: Sina Schuldt/dpa Foto: Sina Schuldt/dpa

Foto: Sina Schuldt/dpa

Pistolenpatronen steht auf einer Schachtel im Kofferraum eines Autos. Foto: Sina...
Pistolenpatronen steht auf einer Schachtel im Kofferraum eines Autos. Foto: Sina Schuldt/dpa Foto: Sina Schuldt/dpa

Foto: Sina Schuldt/dpa

Von der Polizei abgesperrt ist das Areal vor der Von-Düring-Kaserne. Ein Bundesw...
Von der Polizei abgesperrt ist das Areal vor der Von-Düring-Kaserne. Ein Bundeswehrsoldat steht im Verdacht, vier Menschen im niedersächsischen Landkreis Rotenburg (Wümme) erschossen haben. Foto: Sina Schuldt/dpa Foto: Sina Schuldt/dpa

Foto: JOTO

Schwerbewaffnete Polizisten stehen vor einem Wohnhaus in Scheeßel. Foto: JOTO
Schwerbewaffnete Polizisten stehen vor einem Wohnhaus in Scheeßel. Foto: JOTO Foto: JOTO

Später ist die Polizei gekommen, erinnert er sich. Es sei ein Irrtum zu glauben, dass solche Familiendramen nur in Städten passieren. „Auch in einem Dorf wie Brockel kann so etwas geschehen“, so der Nachbar.

Die Kinder gingen zusammen in den Kindergarten

Ein paar Häuser weiter verfolgt eine junge Frau mit einem Kleinkind die Szene. Sie erzählt, dass sie die junge Mutter und ihre Tochter aus dem Kindergarten kennt, weil ihre beiden Kindern dort dieselbe Gruppe besuchen. Näheres weiß sie aber nicht über die Familie. „Zu den direkten Nachbarn bestand engerer Kontakt.“ Die ganze Geschichte bewegt die junge Mutter sehr. „So etwas ist normalerweise ganz weit weg. Man liest davon oder sieht es im Fernsehen. Direkt vor der eigenen Haustür ist es plötzlich so dicht dran. Das ist schrecklich.“

Der örtliche Kindergarten hat am Freitag und am Montag erst einmal geschlossen. „Die Kinder werden gar nicht verstehen, was da passiert ist. Das wird ihnen sicherlich erst bewusst, wenn plötzlich ein Kind aus ihrer Mitte nicht mehr da ist.“

Auch im Garten werden Spuren gesichert.

Auch im Garten werden Spuren gesichert. Foto: Helen Hoffmann/dpa

Eine ältere Dame, offenbar eine Dorfbewohnerin, geht sichtlich bewegt an der Polizeiabsperrung vorbei. Nur mühsam kann sie die Tränen zurückhalten. „Das ist so schrecklich“, sagt sie leise.

Schüsse im Kreis Rotenburg: Polizei nimmt den Soldaten fest

Der mutmaßliche Todesschütze stellte am Morgen nach der Tat sein Auto vor der Von-Düring-Kaserne ab und stellte sich - die Polizei nahm den 32-Jährigen wenig später fest. Er wurde zunächst auf die Wache in Rotenburg gebracht und noch am selben Tag einem Haftrichter in Verden vorgeführt.

Am Mittag erließ der Ermittlungsrichter gegen den Beschuldigten Haftbefehl wegen Mordes in vier Fällen. Der Beschuldigte wurde schließlich in eine Justizvollzugsanstalt überführt. Für die Veröffentlichung weiterer Erkenntnisse ist es laut Polizeisprecher Heiner van der Werp noch zu früh: „Jetzt schlägt die Stunde der Ermittler“, sagt er.

Was zu diesem Zeitpunkt aber bereits klar ist: Der Bundeswehrsoldat ist nicht in der Von-Düring-Kaserne in Rotenburg stationiert.

Ein Molotowcocktail steckte in der Tür des Autos des mutmaßliche Täters.

Ein Molotowcocktail steckte in der Tür des Autos des mutmaßliche Täters. Foto: Sina Schuldt

Bürgermeisterin steht unter Schock

Auch die Bürgermeisterin von Scheeßel, Ulrike Jungemann, ist erschüttert. Sie hatte kurz nach 6 Uhr von den Taten erfahren und steht nach eigenem Bekunden seitdem unter Schock: „Unfassbar, dass ein Mensch gezielt die Waffe auf andere richten kann, noch dazu auf ein dreijähriges Kind!“ Sie habe bis jetzt den Eindruck gehabt, „dass wir hier ein Stück weit in einer heilen Welt leben, wo man sich kennt und aufeinander aufpasst - das stimmt ab heute nicht mehr.“

Verteidigungsministers Boris Pistorius zeigte sich ebenfalls bestürzt über die Tat. „Die mehrfache Tötung von unschuldigen Menschen in Scheeßel ist einfach grauenvoll“, sagte der SPD-Politiker am Freitag. Vieles spreche für eine Tat im Kontext einer privaten Beziehung. „Aber das ist alles Spekulation, daran will und kann ich mich jetzt nicht beteiligen“, sagte der Minister. „Mein Mitgefühl ist bei den Angehörigen der Opfer, so ein Verbrechen ist einfach furchtbar.“

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