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Prozess

TToter vom Bahnhof: Anwältin der Familie spricht von Treibjagd und Hinterhalt

Polizeisprecher Rainer Bohmbach steht am Tatort, links ist das Parkhaus am Bahnhof zu sehen.

Polizeisprecher Rainer Bohmbach steht am Tatort, links ist das Parkhaus am Bahnhof zu sehen. Foto: Vasel

Der Prozess um den Toten vom Stader Bahnhof steht kurz vor dem Ende. Die Nebenklage will die Angeklagten im Gefängnis sehen und spricht von Totschlag. Das sieht die Staatsanwaltschaft anders.

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Von Björn Vasel
Mittwoch, 10.12.2025, 22:21 Uhr

Stade. „Es darf in Deutschland keinerlei Form der Selbstjustiz geben“, sagte Rechtsanwältin Dr. Christiane C. Yüksel im Namen der Familie von Mehmet S., der am 22. Januar 2024 im Elbe Klinikum Stade gestorben war. Die Nebenkläger-Vertreterin kritisierte in ihrem Plädoyer vor der 3. Großen Strafkammer am Landgericht Stade, dass die fünf Angeklagten rechtswidrig das Recht in die eigenen Hände genommen hätten. Es dürfe keine Parallelgesellschaften geben.

Die Angeklagten hätten Mehmet S. laut der Anwältin mit Faustschlägen und Fußtritten so schwer vor dem Parkhaus am Bahnhof Stade traktiert, dass dieser einen Tag später seinen lebensgefährlichen Verletzungen erlag. Yüksel forderte die Kammer um den Vorsitzenden Richter Marc-Sebastian Hase auf, den in U-Haft sitzenden Yunus K. (28) für acht Jahre hinter Gittern zu bringen. Außerdem hofft die Nebenklage-Vertreterin, dass das Gericht auch Hasan S. (27) in Haft steckt.

Nebenklage-Vertreterin spricht von feigem Hinterhalt

Yüksel sprach von einem „feigen Hinterhalt, der durch nichts zu rechtfertigen ist“. Die kurdischstämmigen Angeklagten hätten „billigend in Kauf genommen, dass ein Mensch zu Tode kommt“. Sie gehe davon aus, dass die Gruppe ihr Opfer gezielt habe töten wollen - aus Rache für die Verletzungen, die Mehmet S. am 23. November 2023 am Bahnhof in Horneburg dem Angeklagten Yunus K. mit einem Messer „aus Notwehr“ zugefügt hatte.

Die Täter hätten eine „regelrechte Treibjagd veranstaltet“, nachdem Mehmet S. auf dem Weg nach Stade in der S-Bahn von Yunus K. entdeckt worden war. Dieser informiert telefonisch die anderen. Yüksel sprach von gemeinschaftlichem Totschlag. Auch Mord und Totschlag durch Unterlassen habe sie in Betracht gezogen, ergänzte die Nebenkläger-Vertreterin. Die Täter gehörten in Haft.

„Man kann ein Menschenleben nicht kaufen“

Die Hinterbliebenen vertrauten auf das deutsche Rechtssystem, so Yüksel. Ganz bewusst hätten diese das Angebot des Angeklagten Hasan S. abgelehnt, im Zuge eines Täter-Opfer-Ausgleichs symbolisch 5000 Euro als Wiedergutmachung an die Opferfamilie zu zahlen.

„Man kann ein Menschenleben nicht kaufen - auch nicht für 100.000 Euro“: Diese Worte hätten ihr die Hinterbliebenen mit auf den Weg gegeben. Die Verteidigerin des angeklagten Yunus K., Astrid Denecke, hätte im Prozess von Hinweisen auf eine Blutgeld-Forderung gesprochen. Angeblich hatte die Opfer-Familie S. von Familie K. 450.000 Euro als Schadenersatz für den Tod von Mehmet S. gefordert.

Die Polizei sichert den Eingang: Strenge Kontrollen am Landgericht Stade.

Die Polizei sichert den Eingang: Strenge Kontrollen am Landgericht Stade. Foto: Vasel

Die Familie von Mehmet S., so Yüksel, hoffe auf ein „gerechtes Urteil“. Angesichts der erdrückenden Videobeweise habe die Reue der geständigen Angeklagten für sie „keinen Wert“.

Staatsanwalt sieht keine Beweise für Tötungsabsicht

Auch Staatsanwalt Johannes Oertelt war von der Schuld der fünf Angeklagten überzeugt. Er forderte in seinem Plädoyer eine Freiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren für Yunus K. wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung mit Todesfolge.

„Hauptagitator“ Yunus K. habe Mehmet S. zur Rede stellen wollen. Sie hätten gewusst, dass dieser psychisch krank sei. Laut Auffassung von Oertelt war allen klar, dass Familie K. eine Abreibung im Sinn gehabt habe. Eine Tötungsabsicht hingegen habe nicht bestanden, so der Staatsanwalt. Dafür gebe es keine Beweise.

SEK-Kräfte bei der Razzia im März 2024 in der Altländer Straße in Stade. Sie waren auf der Suche nach den Männern, die das Leben von Mehmet S. auf dem Gewissen haben.

SEK-Kräfte bei der Razzia im März 2024 in der Altländer Straße in Stade. Sie waren auf der Suche nach den Männern, die das Leben von Mehmet S. auf dem Gewissen haben. Foto: Vasel

Oertelt verwies auf die Aussagen des Facharztes für Psychiatrie, Dr. Birol Aydin, aus Hamburg. Mehmet S. habe unter paranoider Schizophrenie gelitten. In seinen Wahnvorstellungen hätten ihn Syrer und Iraner töten wollen. Der psychisch Kranke habe überall Kameras vermutet, so Gutachter Aydin. Laut Yüksel lasse sich seine Todesangst, ob real oder eingebildet, nicht mit einem fünf Jahre alten Gutachten vom Tisch wischen.

Angeklagte sollen Kosten des Verfahrens tragen

Oertelt sah das anders. Fakt sei: Der emotional aufgeladene Yunus K. habe den am Boden liegenden Mehmet S. mit dem Fuß getreten, Hasan S. vorher mit der Faust unvermittelt auf sein Opfer eingeschlagen. Das sei umgefallen. Todesursache seien Schädel-Hirn-Trauma und eingeatmetes Blut gewesen.

Gehirn und Schädel wurden schwer geschädigt. Der Aufschlag auf den Kantstein führte zur Schädelfraktur. Diese Verletzung sei durch Faustschläge und Tritte „potenziert“ worden. Sein Leben sei laut Rechtsmedizin nicht mehr zu retten gewesen. Allerdings hätten die Angeklagten nicht ahnen können, dass sie letztlich sein Leben auf dem Gewissen haben würden.

Razzia in Stade: Beweise werden gesichert.

Razzia in Stade: Beweise werden gesichert. Foto: Polizei

Immerhin habe Isa K. davon Abstand genommen, ihr Opfer am Parkhaus mit einem Stein aus dem Gleisbett zu malträtieren. Hasan S. habe den Bewusstlosen ins Beet gelegt. Serhat S. und Isa K. seien später zum Tatort zurückgekehrt. Sie hätten Passanten gefragt, ob ein Rettungswagen bereits auf dem Weg sei.

Für Hasan S. forderte Oertelt eine Strafe von 3 Jahren und sechs Monaten, für die anderen eine Strafe zwischen einem Jahr und einem Jahr und vier Monaten - ausgesetzt zur Bewährung. Sie alle sollen die Kosten des Verfahrens tragen.

Blick auf das Landgericht Stade.

Blick auf das Landgericht Stade. Foto: Vasel

Der Prozess wird am Mittwoch, 17. Dezember, 10.15 Uhr, mit den Plädoyers der Verteidiger fortgesetzt.

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