TToter vom Stader Bahnhof: Zeuge der Opferfamilie redet sich um Kopf und Kragen
Die Polizei nimmt bei einer Razzia fünf Tatverdächtige fest. Foto: Vasel
Trachtete die Großfamilie K. tatsächlich Mehmet S. nach dem Leben? Diese Frage bleibt offen. Ein Zeuge der Opferfamilie wäre vor Gericht aber fast hinter Gittern gelandet.
Stade. „Die wollen mich töten“, habe ihm Mehmet S. am 9. Januar 2024 an einem Taxistand in Hamburg gesagt. Seine Kapuze hatte er dabei tief in das Gesicht gezogen, berichtete der als Zeuge geladene Taxifahrer im Schwurgerichtssaal des Stader Landgerichts. Am 22. Januar war Mehmet S. aus Hamburg tatsächlich tot.
Einen Tag zuvor war er am Bahnhof in Stade vor dem Parkhaus angegriffen und mit Faustschlägen und Fußtritten lebensgefährlich verletzt worden. Deshalb müssen sich seit August 2025 fünf Männer vor der 3. Großen Strafkammer für den Tod von Mehmet S. verantworten.
Er habe „große Angst gehabt“, so der Zeuge, der der Cousin des Opfers ist. Konkrete Namen habe Mehmet S. allerdings nicht genannt. Dieser habe lediglich wiederholt das Dorf in Kurdistan genannt, aus dem die Familie K. stamme. Erst nach seinem gewaltsamen Tod habe er die Worte von Mehmet S. „nachvollziehen können“. Ihm sei klar geworden, dass die Großfamilien K. und S. sein Leben auf dem Gewissen haben müssen.
Richter droht Zeugen mit Ordnungshaft
Der Vorsitzende Richter Marc-Sebastian Hase konfrontierte den Zeugen mit seinen Aussagen bei der Polizei. Dort hatte er keinen Verdacht geäußert. Vielmehr habe er dem Beamten erzählt, dass sein Cousin „viele unlogische Sachen gesagt“ habe. „Jeder Mensch guckt mich an“, das soll Mehmet S. ihm laut Protokoll gesagt haben. Das würde für Verfolgungswahn sprechen.

Spurensuche am Tatort: In dem Beet ließen die Angeklagten ihr Opfer Mehmet S. zurück. Foto: Polizei
„War er psychisch krank?“, hakte Richter Hase nach. Dieser Frage und anderen wich der Zeuge aus. „Ich kann mich daran nicht erinnern, das kann ich Ihnen nicht sagen“, sagte der Taxifahrer wiederholt. „Familiäres“ wollte der Zeuge vor dem Gericht ohnehin nicht ausbreiten.
Dem Vorsitzenden Richter platzte der Kragen: „Sie befinden sich hier vor einer Strafkammer an einem deutschen Landgericht. Sie müssen antworten.“ Der Zeuge missachtete trotzdem wiederholt das Gericht. Er fuhr Richter, Staatsanwalt und Anwälten über den Mund.
Hase drohte dem unwilligen Zeugen letztlich sogar mit Ordnungsgeld oder -haft: „Ich lasse mich nicht weiter verschaukeln.“ Ihm drohten eine Zahlung von 5 bis 1000 Euro beziehungsweise bis zu sechs Wochen hinter Gittern. Das beeindruckte den Zeugen nicht: „Bin ich jetzt der Schuldige?“
Zeuge hält Angeklagten für Mitglied einer „Mafia-Bande“
Die Familien der Angeklagten bezeichnete er als „Mafia-Bande“, die Verteidigerin Gül Pinar als „Lügnerin“. Jetzt drohen ihm zwei Strafverfahren wegen Beleidigung. Er entschuldigte sich - nach einem Hinweis des Gerichts auf das Strafgesetzbuch.
Bei Beleidigung oder übler Nachrede droht eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe. Die Angeklagten nahmen die Entschuldigung nicht an. Staatsanwalt Johannes Oertelt bezweifelte sogar die kognitiven Fähigkeiten des Zeugen.

Polizei - auf der Suche nach Beweisen am Burggraben nach der Tat. Foto: Vasel
„Müssen wir uns an dem Zeugen überhaupt noch abarbeiten?“, fragte Verteidiger Dr. Dirk Meinicke rhetorisch in die Runde. Er war sich mit seinen Kollegen Pinar und Andreas Thiel sowie Staatsanwalt Oertelt einig, dass die Vernehmung des Taxifahrers „keinen Erkenntnisgewinn“ bringe.
Nach Auffassung der Nebenkläger-Anwälte Dr. Christine Yüksel und Rasul Özpek untermauerte der Zeuge ihre These, dass „man“ Mehmet S. habe töten wollen - aus Rache für die schweren Verletzungen, die Yunus K. mit einem Messer am 23. November 2023 am Bahnhof in Horneburg von S. zugefügt worden waren.
Toter vom Bahnhof litt unter Wahnvorstellungen
„Unlauter“ nannte Verteidigerin Gül Pinar die Schlussfolgerungen der Nebenklage. Im Grunde habe der Zeuge nur eine Aufgabe gehabt: die Angeklagten zu belasten. Gericht und Staatsanwaltschaft wollen ein psychologisches Gutachten im Prozess beleuchten. Mehmet S. stand unter Betreuung. „S. litt unter erheblichen Wahnvorstellungen“, so Oertel.
Opferfamilie lehnt Wiedergutmachung ab
Es gab auch versöhnliche Töne. Die Verteidigerin von Hasan S., Dinah Busse, berichtete, dass ihr Mandant der Familie des Toten im Zuge eines Täter-Opfer-Ausgleichs symbolisch 5000 Euro als Wiedergutmachung angeboten habe. Hasan S. habe sein „tiefes Bedauern“ über den Tod und das verursachte Leid in einem Brief zum Ausdruck gebracht. Busse sprach von „aufrichtiger Reue“.
Die Familie des Opfers habe dieses Angebot abgelehnt, bestätigte Dr. Christine Yüksel. Während des Prozesses hatten Zeugen behauptet, dass die Opferfamilie S. von der Familie K. 450.000 Euro „als Schadenersatz für den Tod“ von Mehmet S. gefordert hatte.
Der Prozess wird am Montag, 1. Dezember, 9.15 Uhr, fortgesetzt. Bis dahin will das Gericht prüfen, ob zwei Zeugen aus dem Köz-Grill gehört werden. Sie wollen laut Anwältin Busse beobachtet haben, wie ein oder zwei Wochen vor seinem Tod jemand an der Hansestraße auf den Kopf von Mehmet S. eingeschlagen habe. Ein neues Gutachten steht im Raum. Mögliche Folgeschäden müssten womöglich bei der Strafzumessung berücksichtigt werden.

Blick auf das Landgericht Stade. Foto: Vasel
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