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Landgericht

TTotschlagsprozess: Mann wohl am Boden, als er ins Koma geprügelt wurde

In dem Prozess vor dem Stader Landgericht geht es um schwere Körperverletzung und versuchten Totschlag.

In dem Prozess vor dem Stader Landgericht geht es um schwere Körperverletzung und versuchten Totschlag. Foto: dpa

Ein brutaler Angriff, ein Opfer im Wachkoma und ein schweigender Angeklagter: Die Hintergründe der Tat vom September 2021 in Stade blieben auch am dritten Verhandlungstag im Dunkeln. Aufhorchen ließ aber die Vernehmung eines Zeugen.

Von Silvia Dammer Sonntag, 11.02.2024, 17:02 Uhr

Stade. Es war eine Herausforderung: Am dritten Verhandlungstag des Prozesses um schwere Körperverletzung und versuchten Totschlag sollte Dr. med. Ulla Lübcke-Werner, Oberärztin der Klinik für forensische Psychiatrie und Psychotherapie Lüneburg, eine diagnostische Einschätzung des Angeklagten abgeben, ohne ihn vorher direkt begutachtet zu haben, weil der 23-Jährige dies abgelehnt hatte. Außerdem waren sowohl das Motiv als auch der genaue Tatablauf unbekannt.

Aus dem Videomaterial der Tankstelle ging hervor, dass der Angeklagte und das Opfer in der Tatnacht stark alkoholisiert waren. Eine genaue Einschätzung bezüglich Alkoholmissbrauch oder -abhängigkeit des Angeklagten konnte die Medizinerin mangels Informationen zu dessen Konsumverhalten nicht vornehmen. Lübcke-Werner vermutete aufgrund des Verletzungsbildes eine impulsive, affektive Tat aus Wut mit niedriger Hemmschwelle. Sie erläuterte, dass das Opfer vermutlich bereits am Boden lag, als es die Verletzungen erlitt.

Betrunkene wissen, dass sie jemanden verletzen können

Die Verteidigung hinterfragte, ob sich jemand mit verminderter Hemmschwelle um die Tragweite einer solchen Tat bewusst sei. Die Oberärztin stellte klar, dass auch Betrunkene grundsätzlich wissen, dass sie jemanden verletzen können, aber keine Methode existiere, um festzustellen, ab wann genau diese Einsichtsfähigkeit durch Alkohol beeinträchtigt ist.

Vor dem Sachverständigengutachten hatte die Kammer verschiedene Zeugen zum Verhalten des Beschuldigten nach der Tat gehört. Dabei lieferte der Zeuge O. - nach eigenem Bekunden ein Freund des Angeklagten – nur eine fragmentarische Aussage vom Morgen des 6. September 2021. Die Tat hatte sich in der Nacht vom 5. auf den 6. September 2021 zwischen 1.06 Uhr und 1.47 Uhr in der Nähe der Tankstelle in der Harsefelder Straße ereignet. Seit der Tat liegt das Opfer im Wachkoma.

Der Angeklagte habe mit ihm telefoniert und gesagt, er habe Mist gebaut, schilderte der Zeuge. Er beschrieb den Angeklagten bei ihrem Treffen als sichtbar nervös und stark alkoholisiert. Weiter konnte er sich nur bruchstückhaft an die Ereignisse erinnern. Nach Konfrontation mit seinen früheren Angaben erinnerte sich der Zeuge, dass der Angeklagte eine Schlägerei mit einem Mann erwähnt hatte, blieb jedoch in seinen Details ungenau, was bei Richter Marc-Sebastian Hase den Eindruck einer bewusst unvollständigen Erinnerung hervorrief. Der Zeuge charakterisierte den Angeklagten trotz fehlender Selbstkontrolle im Umgang mit Alkohol als nicht aggressiv. Seine lückenhafte Zeugenaussage veranlasste das Gericht, eine nochmalige Befragung der Polizistin anzuordnen, die den Zeugen ursprünglich vernommen hatte.

Angeklagter meldete sich am Tag nach der Tat krank

Den Verteidigern Rainer Mertins und Ayke Bielke war es wichtig herauszufinden, wie wortgetreu die Zeugenaussagen bei der Polizei verschriftlicht wurden. Insbesondere der Beamtin, die den Zeugen vernommen hatte, warfen sie eine unsaubere Vorgehensweise bei der Protokollierung der Vernehmung vor. Das veranlasste sie, über einen Verwertungswiderspruch sowohl der Zeugenaussage als auch der vernehmenden Beamtin nachzudenken.

Mit der Kritik an der Kammer ging es nach der Vernehmung eines Arbeitskollegen des Angeklagten weiter. Der Zeuge hatte gesagt, dass der Angeklagte sich am Tag nach der Tat krankgemeldet habe, weil ihm seine Hand wehgetan hätte. Auf Nachfrage gab er an, gewusst zu haben, dass der Angeklagte sich einige Tage zuvor an einer Säge verletzt hatte. Dazu stellte die Kammer keine Fragen, was Mertins „befremdete“.

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