T„Tragischer Verlauf“: Warum dieser Autodieb trotz Geständnis kein Doppelmörder ist

Verhängnisvoller Zufall: Der Audi wurde in der Tatnacht in Bremerhaven gestohlen. Foto: Archiv/Scheer
Hat dieser 20 Jahre alte Autodieb kaltblütig zwei Frauen erschossen? Die Polizei hält Frank D. für den Mörder. 33 Jahre später stellt Kommissar Klaus Harjes klar: Die Kripo hat sich verrannt.
Bremerhaven. Ein Auto wird gestohlen - beinahe zu der Zeit, als nur ein paar hundert Meter entfernt eine Frau, die Krankenschwester Bärbel Barnkow (45), erschossen wird. Fünf Tage später taucht der grün-metallicfarbene Audi 80 wieder auf - ausgerechnet da, wo bereits wegen der nächsten erschossenen Frau, Ingrid Remmers (42), ermittelt wird.
Gestohlener Audi führt Polizei in die Irre
Der Autodieb muss in beiden Fällen der Mörder sein, schlussfolgert die Polizei im September 1991. Denn zwischen den Taten gibt es einen Zusammenhang. Beide Frauen wurden mit Schüssen aus derselben Waffe getötet, eine Pistole des belgischen Herstellers FN, Kaliber 7.65.
Zwischen den beiden Schüssen lagen nicht mehr als vier Stunden. Der Täter muss also bald nach dem ersten Mord nach Bremen gefahren sein, um dort den zweiten zu begehen.
Vom Bremerhavener Tatort am Krankenhaus am Bürgerpark sieht es so aus, als könnte sich die Spur in die Richtung des Autos bewegen: Die Handtasche der Krankenschwester wird in einem Vorgarten an der Schiffdorfer Chaussee gefunden, eine Jacke mit ihrem Blut daran auf dem Geestemünder Friedhof.
Wer geradeaus über den Friedhof geht, ihn auf der anderen Seite wieder verlässt und nach links abbiegt, läuft beinahe geradewegs in Richtung Daimlerstraße. Dort parkte der Audi.
Kommissar spricht von einem „tragischen Verlauf“
Wieder aufgefunden wird der Wagen mit herausgerissenen und kurzgeschlossenen Zündkabeln in Nienburg - ganz in der Nähe der Wohnung, in der Ingrid Remmers die letzten Stunden vor ihrem Tod verbracht hatte. Bei ihrem Geliebten.
„Der Eindruck war bei allen, dass der Autodieb der Täter sein muss“, sagt der inzwischen pensionierte Kriminalhauptkommissar Klaus Harjes. Mit dem Doppelmord hat er sich mehrere Jahre lang befasst, das erste Mal aber erst als sogenannten Cold Case, als die Taten schon Jahre zurücklagen.

Klaus Harjes hat sich viele Jahre mit dem Doppelmord beschäftigt. Er sagt: Am Anfang wurde unnötig viel Zeit verloren. Foto: Döscher
Heute sagt er, die Ermittlungen vor 33 Jahren seien geradezu „tragisch“ verlaufen, weil die Mordkommission die Suche nach dem eigentlichen Täter eingestellt habe, als sie den Autodieb nach fünf Tagen ermittelt und mit einem unter fragwürdigen Umständen abgegebenen Geständnis alles auf eine Karte gesetzt habe. Schon allein deshalb stehe die Polizei „tief in der Schuld der Angehörigen“, den Fall nun erneut zu bearbeiten.
In dem Audi finden die Polizisten damals schnell die Fingerabdrücke eines gewissen Frank D., einem notorischen und mehrfach vorbestraften Autodieb. Einen Tag nach seiner Festnahme gesteht er, der Dieb des Audis zu sein und noch einen Tag später, auch die beiden Frauen erschossen zu haben. Aber sein Geständnis ist nicht das Papier wert, auf das es mit Schreibmaschine von den Kriminalpolizisten getippt wird.
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Ein Erfolg, der gar keiner ist
Als die Mordkommission ihren Arbeitserfolg verkündet, beide Fälle aufgeklärt zu haben, hat der Tatverdächtige sein Geständnis längst widerrufen. Es strotzt vor Widersprüchen und Behauptungen, die nicht stimmen können. Und das wissen auch die Polizisten.
Der 20-Jährige weiß nichts von dem, was geschehen ist. Er will die Tasche von Bärbel Barnkow auf der Autobahn aus dem fahrenden Auto geschmissen haben - dabei wurde sie in Tatortnähe in einem Garten gefunden. Er nennt ein Waffenversteck, das es gar nicht gibt. Er weiß nichts von zwei Jacken, die nur dem Täter gehören können.
Trotzdem versucht die Kripo mehr als ein Jahr lang, doch noch ihm die Taten nachzuweisen. Ohne Erfolg. Erst als auch ein Fasergutachten keine brauchbaren Ergebnisse liefert, dass D. in den Autos der beiden getöteten Frauen gesessen hat, werden im November 1992 die Ermittlungen gegen ihn wegen mangelnden Tatverdachts eingestellt. An beiden Tatorten fand sich kein einziger Hinweis auf den 20-Jährigen.
Warum Frank D. in diesem Jahr in Haft saß
In Haft saß Frank D. in diesem Jahr auch nicht wegen der Mordermittlungen gegen ihn, sondern weil eine Bewährungsstrafe aufgehoben worden war wegen mehrerer Autoaufbrüche.
Auch an dem Abend, als Bärbel Barnkow erschossen wird, steuert der 20-Jährige einen gestohlenen Opel nach Lehe. Er will dessen Autoradio verkaufen. Sein Hehler fordert ihn noch auf, das Auto nicht vor dessen Haustür zu parken.
Geholfen hat das nicht: Denn Frank D. stellt den Wagen eine Ecke weiter und versperrt eine Einfahrt. Als er wieder los will, ist die Polizei schon am Auto. Also macht er sich unentdeckt zu Fuß auf den Weg, besucht Freunde in der „Alten Bürger“, schaut mit ihnen einen Film. Als der spät in der Nacht endet, stirbt gerade Ingrid Remmers in Bremen.

Mit diesem Phantombild suchte die Kripo zunächst nach dem mutmaßlichen Täter. Mehrere Zeugen sahen am Abend des Mords am Krankenhaus am Bürgerpark einen schlanken Mann mit dunklen Haaren und, dessen Blick als stechend und durchdringend beschrieben wurde. Der Autodieb war dagegen klein und schmächtig. Foto: Archiv
Audi knackt er am liebsten
Frank D. fährt in der Nacht noch nach Bremen, den Zug will er angeblich nehmen. Aber es fährt gar keiner mehr so spät. Also geht der Weg vom Hauptbahnhof weiter bis nach Grünhöfe, wo am Straßenrand ein grün-metallicfarbener Audi mit weißen Rallyestreifen und Spoiler parkt, der auf das Gefallen des Autodiebs stößt. Audi knackt er am liebsten.
Frank D. fährt mit dem Auto tagelang herum, erst als ihm nach fast 800 Kilometern der Sprit ausgeht, stellt er ihn in Nienburg ab. Ausgerechnet an dem Ort, der geeignet ist, einen Zusammenhang herzustellen zum zweiten Mord.
„Das ist erst ihm und dann der Kripo zum Verhängnis geworden“, das gestohlene Auto habe nie in Verbindung mit den Morden gestanden, sagt Harjes. Mehr als einen Kfz-Diebstahl hätten seine Kollegen damals nicht geklärt. „Das mit dem Autodieb war ein Zufall und die Polizei hat es nicht erkannt.“
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Warum gesteht der Autodieb zwei Morde?
Aber warum gesteht dann jemand zwei Morde, wenn er keinen davon begangen hat? Die Erklärung liefert 1991 sehr schnell die Anwältin des 20-Jährigen - in einer Beschwerde an den Haftrichter: Demnach haben die Polizisten Frank D. unter Druck gesetzt, ihn angeschrien, ihn mit unwahren Behauptungen konfrontiert.
Auch von einer Bedrohung ist die Rede und einem Stuhl, der durchs Vernehmungszimmer geflogen sein soll. Als Frank D. schließlich tränenüberströmt alles gesteht, kehrt Ruhe ein, sind plötzlich alle nett zu ihm und fangen an, ein Protokoll zu schreiben. Erst danach wird ihm gestattet, seine Anwältin anzurufen.
Er habe in seiner gesamten Laufbahn nie ein schlechteres Geständnis als das von Frank D. gelesen, sagt Harjes heute. In ihm sei kein einziger Hinweis auf Täterwissen zu finden gewesen. „Das wusste auch die Polizei.“
Der Fall Barnkow/Remmers ist einer dieser Cold Cases, die Polizisten verzweifeln lässt.