TUnterwegs auf dem Protest-Traktor: Was macht die Landwirte so wütend?

Als geschlossene Kolonne fuhren die Traktoren in Richtung Hafen. Foto: privat
200 Traktoren machten sich am Donnerstagmorgen von Neukloster auf den Weg. Ihr Ziel: der Hamburger Hafen. Es ist Tag vier des ausdauernden Bauernprotests. Woher rührt die Wut? Nicht nur vom Diesel, nicht von der Ampel. Ein Landwirt erzählt bei seiner Protestfahrt.
Landkreis. Der Pfingstmarktplatz in Neukloster leuchtet - mal wieder. Geschätzte 200 Traktoren ließen um 8 Uhr am Donnerstagmorgen die Rundum-Leuchten blinken. Eine neue Protestfahrt stand an.19 Seiten Genehmigung hat Organisator Meik Prigge aus Wiegersen dafür ausgefüllt. „Wir sind ja eine Kolonne, richtig?“, fragt er die Polizeibeamten. Am Anfang und Ende des Konvois gibt es Polizeibegleitung. Heute dürfen die Traktoren auch über Rot fahren.
Als Ziel wurde der Hamburger Hafen auserkoren, die Stadt erwartet 750 Traktoren. Der Hafen wurde zum Tagesmotto gewählt: „Wird der Bauer ruiniert, wird das Essen importiert.“ Die Landwirte zielen heute vor allem auf internationale Lieferketten ab, die durch Ereignisse wie den Ukraine-Krieg oder eine Pandemie anfällig würden. „Der Selbstversorgungsgrad liegt bereits bei deutlich unter 90 Prozent, Tendenz fallend“, heißt es von der Bewegung LSV (Land schafft Verbindung) Niedersachsen-Bremen. Doch die Bauern sehen sich in Europa nicht mehr wettbewerbsfähig.

Meik Prigge führt die kilometerlange Kolonne mit seinem Traktor an. Foto: Ahrens
Prigge selbst hat Erfahrung mit Protestfahrten: Seit 2019 war er schon sechs Mal mit einem Traktor in Berlin. „Nichts tun ist auch keine Lösung.“ Sonntag geht es wieder nach Berlin. Aber heute steht erst mal Hamburg an.
Um 8.30 Uhr steigt Meik Prigge auf seinen gelben Traktor, dem er den Spitznamen „Tigerente“ gegeben hat. Er führt die Kolonne an - hinter dem Streifenwagen. Zu dieser Zeit ist der meiste Pendlerverkehr schon passé. „Um acht oder halb neun sind die mit den Genehmigungen für Demonstrationen meistens entspannter“, sagt er. Und so hätten noch einige Landwirte mehr Zeit gehabt, sich zu beteiligen.

Bevor der Konvoi starten kann, werden letzte Details mit den begleitenden Polizisten besprochen. Foto: Ahrens
Meik Prigge betreibt in Wiegersen einen Betrieb mit Biogas, Ackerbau und Lohnarbeit. Sein Familienbetrieb bewirtschaftet 190 Hektar Land, davon 60 Hektar Grünland. Bei vielen Bauern sei aus Missmut irgendwann Ärger und inzwischen Wut geworden. „Wir können die gestiegenen Kosten nicht weitergeben“, heißt es von ihm und anderen Bauern seit Jahren.

200 Traktoren hatten sich auf dem Pfingstmarktplatz angekündigt. Foto: drohnen-fotos-stade.com
Was bedeutet dieser Satz, der so oft gepredigt wird? Meik Prigge nimmt die Milchwirtschaft als Beispiel: Kühe müssen täglich gemolken werden - und die Landwirte sind auf eine Abnahme durch Molkereien angewiesen. „Wir können unsere Produktion ja nicht einfach stoppen.“ Den Preis für beispielsweise einen Liter Milch können sie dabei aber nicht bestimmen - er bildet sich aus einem Zusammenspiel von Börse, Molkereien und Handel. „Die Marktmacht vom Einzelhandel ist ein Problem“, sagt Prigge. Obwohl die Landwirte aktuell wieder weniger Gewinne einfahren, kosten die Lebensmittel im Supermarkt genauso viel oder sogar mehr.
Gewinne der Landwirte schwanken stark
Prigge sagt aber auch: Für die meisten Landwirte war das letzte Jahr wirtschaftlich ein gutes. Doch die Landwirtschaft unterliegt extremen Gewinnschwankungen. Durch immer neue Auflagen werde das Geschäft noch weniger planbar. Das Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung gibt in seinem Bericht für 2023 an: Das durchschnittliche Einkommen je Arbeitskraft auf landwirtschaftlichen Betrieben lag in den vergangenen zehn Jahren zwischen 26.900 (2015/2016) und 46.100 (2021/2022) Euro pro Jahr. Fährt ein Betrieb in einem guten Wirtschaftsjahr 2021/2022 beispielsweise über 80.000 Euro Gewinn ein, stelle das meistens das Einkommen von mehr als einem Familienmitglied dar. Eine 70-Stunden-Woche sei laut Prigge für viele ein Regelfall.
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Bauernproteste: Sternfahrt der Stader Landwirte nach Hamburg
Die „Tigerente“ von Meik Prigge fährt in gemütlichem Tempo dem Streifenwagen hinterher. In den Nebenstraßen der B73 warten Autos, bis die kilometerlange Kolonne an ihnen vorbeigezogen ist. Hupkonzerte der Traktoren erklingen. Einige spielen sogar kleine Lieder ab. Bei Demozügen werde das geduldet, so Prigge. Er erinnert sich an 2019, als Deutschlandfahnen und Melodie-Hupen überall ausverkauft waren.

Die Landwirte warten, bis der Konvoi in Neukloster abfahren kann. Foto: Ahrens
Seine Maschine an der Spitze bietet Komfort. Und fährt mit Diesel. Dass der Kraftstoff in seinem Trecker subventioniert ist, sei aber ein Trugschluss. Landwirte kaufen zum gleichen Preis wie Verbraucher an der Tankstelle. Dieser beinhaltet 47 Cent Steuern pro Liter, 21 Cent davon werden für die Straßennutzung erhoben. Weil Landwirte mit ihren Maschinen meist auf Feldern unterwegs sind, so die historische Begründung, bekommen sie die 21 Cent zurück. Diese Erstattung soll laut neuesten Sparplänen nicht sofort, aber schrittweise abgeschafft werden. Das würde Bio-Höfe sogar am härtesten treffen, vermutet Prigge. Durch weniger Einsatz von Pflanzenschutz ist der maschinelle Aufwand bei ihnen deutlich höher. Jeder siebte Hof in Deutschland ist inzwischen Bio, heißt es vom Landwirtschaftsministerium.
Belastung der Bürger im Blick behalten
Am Straßenrand wirken Bürger noch immer zugewandt. Viele filmen. An einem Aldi-Markt zeigt eine Frau den Daumen hoch. Doch es ist Protesttag Nummer vier. Kippt die Unterstützung der Bürger bei zunehmender Belastung? „Wir beobachten die Umfragen“, so Prigge. „Da denken wir schon drüber nach.“ Aktuell sehe es noch gut aus, doch in den Gruppen werde das immer wieder diskutiert.
Ein weiteres Risiko, die Unterstützung der Öffentlichkeit zu verlieren, ist die Unterwanderung des Protests. „Die Gefahr besteht auf jeden Fall“, so Prigge. „Aber die Landwirtschaft ist bunt.“ An Prigges Trecker weht eine schwarze Flagge, die bei Protesten oft kontrolliert wird. „Aber da steht nur drauf, dass wir aus Niedersachsen kommen.“ Es werde streng darauf geachtet, dass keine rechten Parolen Platz im Demozug finden. Die Fahrt am Donnerstag verläuft ohne besondere Vorkommnisse.

Übergabe an der Stadtgrenze. Ab hier übernimmt die Hamburger Polizei. Foto: Ahrens
Doch woher kommt die Wut, die bei manchen sogar dazu führt, dass ihnen der Kragen platzt? Für Prigge fehlt in politischen Entscheidungen oft die Wissenschaft - und Entscheidungsträger, die sich in der Branche auskennen. „Uns werden Auflagen gemacht, die sich teilweise widersprechen.“ Prigge spricht über das Thema Düngen, als Ackerbauer betrifft ihn das besonders. Seine Flächen befinden sich in roten, also besonders stickstoffhaltigen Gebieten, wo das Düngen eingeschränkt ist. Die Art, nach der die Gebiete eingeteilt werden, kritisieren die Landwirte seit Jahren.
Dass Naturschutz in Zeiten des Klimawandels unerlässlich ist, das findet auch Meik Prigge. „Man kann immer viel meckern, aber dann muss man auch Lösungen anbieten.“ Es könnten nicht ständig Verbote erfolgen, ohne eine Alternative zu bieten. Ein weiterer Punkt, der viele Landwirte verärgert: Bürokratie. „Wenn mein Vater mal nicht mehr da ist, kann ich das Büro auf unserem Familienbetrieb nicht mehr alleine schaffen.“
Regierung lädt zu Gesprächen
Die Kolonne passiert um 9.30 Uhr die Stadtgrenze. Die Hamburger Polizei übernimmt. Mit den Treckern fahren auch viele „Die Ampel muss weg“-Plakate in Hamburg ein. Prigge ergänzt aber: Nicht nur die aktuelle Regierung sei schuld am Ärger der Landwirte, die Probleme seien auch unter der CDU verursacht. Und in der aktuellen gesamtpolitischen Lage könnten Neuwahlen auch gefährlich sein, betont er. „Aber so kann’s nicht weitergehen.“
Den Landwirten geht es mit den Kolonnen auch um die Aufmerksamkeit der Bevölkerung. Sie wollen zum Nachdenken anregen. Und zumindest etwas scheint sich auch bei der Bundesregierung zu bewegen: Sie hat für Montag Landwirte in Berlin zum Gespräch geladen. „Es braucht viel Durchhaltevermögen für kleine Schritte“, kommentiert Meik Prigge den anstehenden Dialog.

Als geschlossene Kolonne fuhren die Traktoren in Richtung Hafen. Foto: privat