TVfL Fredenbeck: So geht Sharnikau mit seinem Rauswurf um

Igor Sharnikau wurde beim VfL Fredenbeck in zwölf Jahren zwei Mal entlassen. Foto: Jörg Struwe
Liefert eine Mannschaft nicht die gewünschten Ergebnisse, wird der Trainer gefeuert. Diesen üblichen Mechanismus im Sport erlebte zuletzt Igor Sharnikau beim VfL Fredenbeck. Wie geht ein Coach damit um und was bringt ein Trainerwechsel überhaupt?
Fredenbeck. Zweieinhalb Wochen nach seiner Entlassung bei den Drittliga-Handballern des VfL Fredenbeck sitzt Ex-Trainer Igor Sharnikau in der Geestlandhalle auf der Tribüne. Er verfolgt den ersten Auftritt seiner ehemaligen Mannschaft unter Nachfolger Jörg Rademacher. Er sieht einen 27:23-Sieg gegen Bielefeld. Rademacher jubelt.
Sharnikau sagt, er sei ein selbstbewusster Mensch. Er habe sich hinterfragt, was er falsch und was er richtig gemacht hat in seiner Zeit als Cheftrainer. Er habe eine Entwicklung in der Mannschaft gesehen. Eine Steigerung in den vergangenen Jahren. Er könne voller Selbstvertrauen in die Geestlandhalle gehen. Mit der Gewissheit, „dass sie ihn nicht mit Tomaten bewerfen werden“.
VfL-Handballchef Lars Müller wollte mit dem Trainerwechsel ein Zeichen setzen, „den Bock umstoßen“. Der Sieg zum Debüt des neuen Trainers Rademacher galt als Überraschung. Aber letztendlich hat der VfL das gezeigt, was er auch unter Sharnikau in guten Spielen gezeigt hat. Nur eben mit 10 Prozent mehr Energie und mit 20 Prozent mehr Überzeugung. Und ohne die obligatorischen fünf- bis zehnminütigen Aussetzer.
Dirk Leun ist seit fast 16 Jahren beim BSV
Lange im Geschäft ist der Trainer der Bundesliga-Handballerinnen des Buxtehuder SV, Dirk Leun. Seit knapp 16 Jahren trainiert Leun den BSV. Seine Antwort auf die Frage, ob Trainerwechsel im Handball einen Effekt erzielen, lautet: „Es kommt drauf an.“ Klingt schwammig. Im Detail erklärt Leun aber konkret das Phänomen, das jetzt Fredenbeck punkten lässt.

BSV-Trainer Dirk Leun ist lange im Geschäft: „Die Mannschaft muss als Einheit funktionieren.“ Foto: IsoluxX Fotografie
„Die Spieler werden nicht plötzlich besser“, sagt Leun. Nach einem Trainerwechsel „passiert etwas im Kopf“. Im Idealfall würden sich die Spieler mehr anstrengen, nachdem sie der neue Trainer von seinem Plan überzeugt habe. Leun nennt das „Push-Moment“. Die Unbekannte ist nun, ob dieser Moment, in dem Spieler mit mentaler Stärke zu höheren Leistungen fähig sind, verfliegt oder nicht.
Schafft es ein Trainer, die Qualität der Mannschaft auf die Platte zu bringen? Hat er einen Plan von den Stärken und Schwächen seiner Spieler und setzt sie entsprechend ein? Funktioniert sein System? Das sind grundlegende Fragen nach einem Trainerwechsel. Am wichtigsten findet Leun die Frage, ob das Team als Einheit funktioniert. „Das ist mein Hauptjob seit 16 Jahren“, sagt der Bundesligacoach, der mal als Nationaltrainer im Gespräch war. „Cliquenwirtschaft in der Mannschaft ist Gift“, sagt Leun.
Beim Kicken zeigt Mannschaft wahres Gesicht
Der 59-Jährige ist der mit Abstand dienstälteste Handballtrainer der Bundesliga und hat mit Entlassungen persönlich keine Erfahrungen gesammelt. Einen Rat gibt er Trainern, die in kritischen Phasen Mannschaften übernehmen dennoch. Leun würde die Mannschaft erst mal eine halbe Stunde Fußball spielen lassen. Und in Ruhe zusehen.
In einem Spiel könne sich niemand verstecken. „Man sieht, wer was drauf hat“, sagt Leun. Wer kämpft um jeden Ball, wer kommuniziert, wer hat taktisches Verständnis, wie sehen die Hierarchien aus? Danach würde Leun Einzelgespräche führen, das Rollenverständnis und die Vorstellungen der Spieler abfragen. „Die sind nicht immer realistisch“, verrät Leun.
Im Handball ist der Effekt eines Trainerwechsels nicht wissenschaftlich belegt. Zumindest nicht in einschlägigen Studien. Im Fußball haben sich Forscher verschiedener Universitäten darüber intensiv den Kopf zerbrochen. Ihre Ergebnisse sind nicht eindeutig. Die einen verneinen die Frage nach einem positiven Effekt, die anderen sprechen von einem positiven Effekt von zeitlich begrenzter Dauer. Einig sind sich die meisten, dass Vereine einen längeren Atem haben und ihren Trainern mehr Zeit geben sollten.
Vom Oberliga-Durchschnitt zum Drittliga-Team
Handballtrainer Sharnikau war in Fredenbeck mit einem Plan angetreten. „Wir wollten ein Team entwickeln, das die 3. Liga halten kann“, sagt er. Die letzten Jahre haben ihm gezeigt, dass der VfL auf dem richtigen Weg war.
Der VfL spielte im Mittelfeld der Oberliga. Durch eine Modusänderung stieg er in die 3. Liga auf, war sportlich noch nicht so weit und stieg sang- und klanglos ab. In der nächsten Oberligasaison beherrschte der VfL die Konkurrenz und stieg erneut auf. Heute kann Fredenbeck manchmal gegen die Spitzenteams mithalten und hat alle Chancen im Kampf um den Klassenerhalt.
Deshalb geht Sharnikau auch weiter gern in die Halle. Außerdem wohnt er nur 100 Meter entfernt. Sein Sohn Daniel ist Teil des Kaders. Die Entlassung bucht Sharnikau als Erfahrung ab. „Ich falle nicht in ein mentales Loch“, sagt er. Obwohl auch er nach zwölf Jahren beim VfL erst mal loslassen müsse.