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Heimatbesuch

TVizekanzler Klingbeil: „Der Lars“ hat den Hurricane-Besuch fest eingeplant

Bürgernah: Vizekanzler Lars Klingbeil auf Heimattour.

Bürgernah: Vizekanzler Lars Klingbeil auf Heimattour. Foto: Krüger

Lars Klingbeil besucht mit neuem Titel erstmals seine alte Heimat. Auf Tuchfühlung mit dem neuen Vizekanzler und Finanzminister unterwegs im Wahlkreis Rotenburg I/Heidekreis.

Von Michael Krüger Dienstag, 03.06.2025, 14:32 Uhr

Landkreis Rotenburg. Die erste Reihe bleibt erst mal frei. Die Stimmung ist gut an diesem Dienstagnachmittag im neuen Kulturhaus Alte Schlachterei in Schneverdingen, man kennt sich, Smalltalk, Umarmungen. Es gibt Kaffee aus Pappbechern und Butterkuchen aus Pommes-Schalen. Lars ist da, ihr Lars, dieser immer noch junge Mann für die meisten Anwesenden, gerade 47, seit 2009 ihr Bundestagsabgeordneter für den Heidekreis und Altkreis Rotenburg. Lars wurde SPD-Parteichef, nun ist er auch noch Finanzminister und Vizekanzler. Wächst da die Entfernung?

Im Sommer durch die Region radeln

„Die Leute trauen sich nicht nach ganz vorne“, ärgert sich Klingbeil, gerade jetzt, bei seinem ersten öffentlichen Auftritt im Wahlkreis nach der Ernennung, da wolle er nicht das Gefühl haben, dass die Distanz größer wird. Also bitte alle nach vorne, die erste Reihe besetzen. Klappt schon mal. „Der Wahlkreis hat für mich eine hohe Priorität“, betont er.

Wenn Leute in Berlin fragten, woher er denn wisse, wie die Menschen tickten, dann sage er immer wieder: aus seiner Region. Weil er mit den Menschen spreche. Weil er es sich nicht nehmen lassen werde, im Sommer wie gewohnt mit Bürgern durch die Region zu radeln, auch der Besuch beim Hurricane-Festival sei fest eingeplant. „Ich bin weiter der Lars“, sagt Lars, der dann doch einige Fragende siezt.

Das Kaffeetrinken mit den fast 60 Bürgern wird zur Plauderei über große und kleine Themen, den Umgang mit der AfD, den Ärztemangel auf dem Dorf, Rente, Pflege, Fördermittel, bessere Löhne: „Wir haben uns zuletzt zu wenig um die Fleißigen gekümmert, die das Land am Laufen halten“, blickt Klingbeil auf die gescheiterte Ampelkoalition zurück. Mehr oder weniger Distanz? Die zahlreichen Personenschützer, die mittlerweile rund um die Uhr um den Munsteraner herumschwirren, wünschten sich manches Mal sicherlich zumindest mehr Abstand.

Plaudern und Kaffeetrinken - Klingbeil nimmt sich Zeit

Eineinhalb Stunden nimmt sich Klingbeil Zeit, dann muss er weiter. Gegen Abend, bevor es zurück nach Berlin geht, steht noch ein Bürgertreff in Schwarmstedt an, dazwischen passt ein Pressegespräch im Walsroder Abgeordnetenbüro. Die Fahrt dauert keine 40 Minuten: Zeit genug für zwei Telefonkonferenzen in den Blaulicht-Limousinen.

Etwas ausgeschlafener als zu harten Wahlkampfzeiten im Winter wirkt Klingbeil, fitter, auch bei Auslandsreisen muss die Polizei sich darauf einrichten, dass jemand zum morgendlichen Mitjoggen abgestellt wird. Er kommt nicht gehetzt rüber trotz der Terminfülle, fragt, wenn Mikrofone aus sind, nach Persönlichem.

Dem musste er sich in diesem harten Wahlkampf in neuem Scheinwerferlicht zuletzt auch stellen. Seine überstandene Zungenkrebserkrankung machte er in einem Podcast selbst öffentlich, die Geburt seines Sohnes „enthüllte“ die Bildzeitung. Das muss er nun akzeptieren, grundsätzlich sagt er: „Die Bedrohungslage von Politikerinnen und Politikern hat kontinuierlich zugenommen. Den größten Gefallen, den man sich selbst und der Familie tun kann, ist, dass man versucht, das aus der Öffentlichkeit rauszuhalten.“ Anwälte und Gerichte kümmern sich um Details dieses Streits: „Ja, ich bin Vater geworden. Alles andere ist privat.“

Bedrohungslage für Politiker hat zugenommen

Deutschlandweit holt Klingbeil bei der Bundestagswahl am 23. Februar, seinem Geburtstag, das beste Ergebnis aller SPD-Wahlkreisgewinner: 42,1 Prozent. Das gibt ihm Rückenwind als Wahlgewinner, der aber Chef einer Partei ist, die mit 16,4 Prozent Bundesergebnis an ihrem historischen Tiefpunkt angekommen ist. Es läuft rein rechnerisch schnell auf eine Neuauflage der einstigen „großen Koalition“ von CDU und SPD hinaus, Klingbeil sitzt in den Verhandlungen an vorderster Stelle mit CDU-Chef Friedrich Merz. Klingbeil holt überraschend viel heraus für seine Partei, für nicht wenige Beobachter auch für sich selbst.

Klingbeil ist seit 6. Mai Finanzminister und Vizekanzler, der erste Bundesminister aus dem Wahlkreis überhaupt. Ob ihn seiner neuer Duz-Kollege, Kanzler Merz, auch als „netten Lars“ empfunden hat auf dem Weg zum Koalitionsvertrag? Oder seine Parteigenossen und -genossinnen, für die das Wahlergebnis das politische Aus oder zumindest den Abschied aus der ersten Reihe bedeuteten?

„Ich wäre nicht da, wo ich bin, wenn ich nicht auch zielstrebig wäre, und trotzdem ist mein politischer Stil immer gewesen, Sachen im Team zu machen und Menschen zusammenzubringen. Aber klar war eben auch am Wahlabend, wir brauchen eine starke Verhandlungsposition gegenüber CDU und CSU“, sagt Klingbeil. Und dann habe er gemacht. „Ich habe mich bewusst entschieden, mehr Verantwortung zu übernehmen.“

Klingbeil wünscht sich neuen Ton in der Politik

Im Schneverdinger Kulturhaus möchte Klingbeil für einen neuen Ton in der Politik werben. Klar steht auch die Frage im Raum, warum gerade er der Gewinner einer SPD am Abgrund ist, die dann doch mitregieren darf und muss. Aber man ist sich hier in seiner Heimat einig: Lars muss dabei sein. Er wirbt für ein Miteinander und Zuversicht in der Politik. Natürlich würden wegen der internationalen Herausforderungen, wegen Krieg und Trump und der notwendigen Investitionen ins Land die kommenden „ganz harte Jahre für die Bundesregierung“, aber: „Wir müssen die Leute wieder davon überzeugen, dass unser Land ein großartiges ist.“ Reife diese Überzeugung, werde die politische Mitte an Vertrauen gewinnen und die AfD an Zuspruch verlieren. „Wir müssen lauter werden für die Demokratie“, betont Klingbeil.

Klingbeil: AfD „baut auf schlechte Laune“

Selbstverständlich müsse man ein AfD-Verbot prüfen lassen, aber das sei kein Allheilmittel. Es müssten Lösungen her für die Probleme, die AfD habe diese nicht, sondern „baut auf schlechte Laune und Dinge, die nicht funktionieren“. Auch er könnte es sich als Bundespolitiker leicht machen, täglich „etwas raushauen“, um Schlagzeilen zu erzeugen, aber: „Wir müssen wegkommen von zu einfachen Antworten.“ Auch werde es von ihm nie Tiktok-Tanzvideos geben. „Das will niemand sehen.“ Der Saal lacht, ist vielleicht erleichtert. Klingbeil trägt einen grauen Anzug mit weißem Hemd und Lederschuhen. Die Zeiten ewig weißer Turnschuhe sind bei Lars vorbei.

Drei Mitarbeiter aus seinem Wahlkreisteam schwirren an diesem Tag um ihn herum. Natürlich wird daraus eine schöne Story für die sozialen Medien, in denen sich Klingbeil nah an den Menschen präsentiert. In der er betont, wie wichtig ihm der Wahlkreis ist, in der er Hände schüttelt und mit dem Kulturverein-Vorstand Carsten Bargmann scherzt. Seine Mitarbeiter sprechen aber auch mit denen, die sich zu Wort melden und von schlechten Zufahrten zu Tierheimen oder fehlenden Fördergeldern für soziale Initiativen berichten.

Man nimmt das auf, und wenn sich das Team Klingbeil später in Rathäusern oder Behörden meldet, hat das Gewicht. „Vielleicht geht jetzt die eine oder andere Tür mehr auf für den Wahlkreis“, sagt Klingbeil, immer den Spagat zwischen Berlin und der Welt und dem kleinsten Ortsteil von Visselhövede meisternd. Im Pressegespräch fragt er kurz nach, es stimme doch, dass heute beide Landräte aus Rotenburg und dem Heidekreis Geburtstag hätten? Kontaktpflege ist wichtig.

„Wir haben eine hohe Verantwortung für dieses Land“, ist einer dieser Sätze, die Klingbeil öfter sagt an seinem ersten Tag mit neuen Titeln im alten Wahlkreis, aber man glaubt ihm ja immer noch, dass es keine Phrasen sind. Der, dem irrtümlich weiter nachgesagt wird, er sei mal in der Antifa gewesen, wo er doch nur gegen rechts demonstriert habe, was immer eine gute Sache sei, blickt dabei auf die kommenden Wahlen. Erstarken die Feinde der Demokratie weiter? „Die nächsten bundesweiten Wahlen sind 29 und 33.“ Und jeder, dem Geschichte nicht ganz fremd ist, muss kurz schlucken.

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