TVom Aussterben bedroht: Die Fleischerklasse der Berufsschule in Stade
Michelle Schwaß ist bei Bömmelburg in Stade in der Ausbildung. Foto: Richter
Viele essen Fleisch, aber nur wenige wollen damit auch beruflich zu tun haben. Dabei ist der Job abwechslungsreich, wie Schüler der Stader Jobelmannschule berichten.
Landkreis. Die allermeisten Menschen in Deutschland - laut einer repräsentativen Umfrage der Fleischwirtschaft 94 Prozent - essen Fleisch. Doch im Fleischerhandwerk wird es trotzdem immer schwieriger, Auszubildende zu finden. Warum ist das so? Und wie sieht der Alltag in der Branche wirklich aus?
Aus drei Landkreisen insgesamt nur neun Azubis
Darüber geben die Schüler und Schülerinnen der Fleischerklasse der Jobelmannschule in Stade Auskunft. Es sind nur neun, obwohl die Auszubildenden der Fleischer und Fleischereifachverkäufer aus zwei Jahrgängen und drei Landkreisen - Stade, Cuxhaven und Rotenburg - in einer Klasse zusammengefasst wurden.

Die Azubis der Fleischerklasse beim Besuch im Pressehaus (von links): Phoom Photiwat, Michelle Schwaß, Lukas Buck, Finn Drczymalla, Alessandro Sinatra, Bastian Hey, Jason Dean und Jolie Jean Brumm. Foto: Richter
„Dabei werden Fleischer doch gebraucht. Überhaupt gibt es im Handwerk großen Bedarf“, sagt der Fleischer-Azubi Bastian Hey. Sein Eindruck: „Viele wollen sich die Hände nicht mehr schmutzig machen und suchen nur Bürojobs.“
Hey ist 23 Jahre alt, und die Ausbildung zum Fleischer ist nicht seine erste. Mit 16 lernte er Einzelhandelskaufmann bei Marktkauf in Cuxhaven. „Im dritten Lehrjahr bin ich in die Fleischabteilung reingerutscht“, berichtet er. Danach arbeitete er zwei Jahre und wurde im Januar 2023 Abteilungsleiter. Sein Arbeitgeber schlug ihm vor, auch die Fleischerlehre zu machen - ohne Gehaltseinbußen.
„Die haben mein Interesse bemerkt. Ich hatte einfach Bock darauf“, sagt Bastian Hey. Er schwärmt für die Vielseitigkeit des Berufs: „Allein schon, was du alles aus einem Nacken machen kannst: Nackenbraten, Steaks, Rollbraten.“ Hey ist auch kulinarisch interessiert, grillt und kocht sehr gerne.
Hinterm Tresen bei Fleischerei Bömmelburg
Das Kochen gefällt auch der 21-jährigen Michelle Schwaß, die ihre Ausbildung zur Fleischereifachverkäuferin bei Bömmelburg in Stade absolviert. Dort gibt es täglich einen Mittagstisch. „Salate mache ich auch, nach unseren eigenen Rezepten“, berichtet sie. Und Wurst und Schinken stammten komplett aus eigener Herstellung - mit Ausnahme von Serrano-Schinken und Meerrettich-Röllchen.

Michelle Schwaß im Geschäft, im Hintergrund ihr Ausbilder Steffen Bömmelburg. Foto: Richter
Schon während ihrer Schulzeit hatte Schwaß bei der Bio-Fleischerei Cuxland in Hemmor gejobbt. Die Zusage für ihre Ausbildungsstelle bekam sie schon, bevor sie ihren Hauptschulabschluss machte. Als Cuxland im Juni bis auf die Grundmauern abbrannte, wechselte sie zu Bömmelburg.
Fleischkonsum erstmals wieder gestiegen
Es gefällt ihr gut in Stade. Auch mit ihrer Berufswahl ist sie zufrieden: „Was ich jetzt mache, hat eine Perspektive.“ Gegessen wird schließlich immer - auch Fleisch. Im Schnitt sind es in Deutschland rund 53 Kilo pro Kopf und Jahr. Eine Zeit lang sank der Konsum, doch 2024 hat er erstmals seit Jahren wieder zugenommen.
Die Ausbildungsvergütung ist die gleiche wie bei Fleischern und kann je nach Betrieb und regional variieren. Laut Deutschem Fleischerverband liegt sie im ersten Ausbildungsjahr bei 682 bis 1150 Euro, im zweiten bei 905 bis 1150 Euro und im dritten bei 921 bis 1350 Euro.
Die Gehälter im Fleischerhandwerk
Finn Drczymagalla ist erst 18 und im dritten Lehrjahr seiner Fleischerlehre beim Handelshof in Stade. Er hat schon mit 15 angefangen - das geht in diesem Beruf. Im Januar ist er fertig. Dann kann er mit einem Bruttoverdienst zwischen 2220 und 3077 Euro rechnen - und mehr, wenn er sich zum Fleischermeister fortbildet.
„Früher hatten wir 30 Schülerinnen und Schüler pro Klasse und Jahrgang“, berichtet Catrin Rosebrock, die seit 20 Jahren an den Berufsbildenden Schulen in Stade unterrichtet. Ihre Kollegin Ina Roth weiß, dass viele Betriebe zwar Ausbildungsplätze, aber gar keine Ausbildungsanfragen mehr haben. Auch Mitarbeiter seien schwer zu finden.
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„Ich wäre gar nicht von alleine darauf gekommen, mich zum Fleischereifachverkäufer ausbilden zu lassen“, sagt der 21-jährige Lukas Buck. Er kam über das Jobben in die Ausbildung: Per Kleinanzeige auf E-Bay hatte er keine Ausbildung, sondern nur einen Job gesucht, um Geld zu verdienen. Die Fleischerei Kindler in Otterndorf bot ihm einen an - und dann auch eine Ausbildung. Dass er wenig Berührungsängste hatte, erklärt er sich damit, dass sein Großvater Jäger ist: „Letztes Jahr haben wir ein Reh bekommen - mit Fell.“
Wenn aus dem Umfeld schiefe Blicke kommen
Viele seiner Bekannten können sich so etwas gar nicht vorstellen, sagt er. Das merke er an den Blicken, wenn er berichte, was er macht. Sein Mitschüler, der 20-jährige Alessandro Sinatra, hat sogar erlebt, dass Veganer zu ihm sagten: „Was bist du denn für ein Mörder.“ Er selbst sieht das anders. Auch, weil er es schon im familiären Umfeld kennengelernt hat: Sein Onkel in Sizilien ist Pferdeschlachter.
Berufsschule dual
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In der Fleischerei Friemann in Harsefeld ist Alessandro Sinatra jetzt im zweiten Ausbildungsjahr. Er weiß: Fleischerhandwerk ist Knochenarbeit. „Und die will keiner mehr machen.“ Er allerdings schon. Besonders das Wurstmachen mag er gern - mit frischen, nach Rezept abgewogenen Gewürzen: „Das schmeckt echt gut. Da steckt viel Arbeit dahinter - und viel Liebe.“
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