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Innovationslehrgang

TVom Fleischer zum Pfleger: Berufsschule qualifiziert ungelernte Hilfskräfte

Hans-Joachim Reift ist gelernter Fleischer. Pfleger ist sein Traumberuf, sagt er.

Hans-Joachim Reift ist gelernter Fleischer. Pfleger ist sein Traumberuf, sagt er. Foto: Stehr

Was haben eine Metallschlosserin, eine Fotolaborantin, ein Fleischer und eine Hauswirtschafterin gemeinsam? Alle arbeiten schon lange in der Pflege - ungelernt. Das soll sich jetzt ändern.

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Von Lena Stehr
Montag, 24.03.2025, 05:50 Uhr

Stade. Hans-Joachim Reift ist ein Seelentröster, sagt der 52-Jährige über sich selbst. Reift arbeitet seit elf Jahren als Pflegekraft im Seniorenheim Bergfried im Alten Land. „Ich begleite viele Menschen, die sonst niemanden mehr haben, auf ihrer letzten Station im Leben“, sagt Reift. Er habe seinen Traumberuf gefunden. Dabei ist er gelernter Fleischer.

Krankheitsbedingt konnte Reift den Knochenjob irgendwann nicht mehr ausüben. Anpacken konnte und wollte er aber immer noch und fing als 1-Euro-Jobber in der Altenpflege an - als ungelernte Hilfskraft. Jetzt bekommt Reift an der BBS III in Stade eine neue berufliche Chance.

Angebot für Pflegende jedes Alters ohne Berufsabschluss

Gemeinsam mit insgesamt 32 weiteren Pflegenden ohne Berufsabschluss besucht er seit November 2024 den neuen Kurzbildungslehrgang Pflegeassistenz-Inno. Das Innovationsvorhaben ist ein Experiment des niedersächsischen Kultusministeriums für unqualifizierte Pflegeerfahrene. Die BBS III Stade wurde als eine von sieben Schulen in Niedersachsen für die Durchführung ausgewählt.

Die meisten Kursteilnehmer sind um die 50 Jahre alt und arbeiten schon viele Jahre in der Pflege, hauptsächlich in Teilzeit zwischen 8 und 22 Stunden in der Woche. Sie müssen mindestens 4500 Stunden Tätigkeit in einer Pflegeeinrichtung nachweisen, das entspricht drei Jahren mit 30 Wochenstunden. Die Schulferien sind unterrichtsfrei. Eine Altersgrenze gibt es nicht. Neben pflegerischen Fächern steht nur Deutsch als allgemeinbildendes Fach auf dem Lehrplan.

Klassenlehrerin Martina Hoops (vorne rechts) und Abteilungsleiterin Anke Hilck (vorne links) mit den angehenden Pflegeassistenten.

Klassenlehrerin Martina Hoops (vorne rechts) und Abteilungsleiterin Anke Hilck (vorne links) mit den angehenden Pflegeassistenten. Foto: Stehr

Im Mai dieses Jahres wollen alle Teilnehmer ihre Abschlussprüfung bestehen und danach als staatlich geprüfte Pflegeassistenten einen höheren Mindestlohn für qualifizierte Hilfskräfte in der Pflege verdienen. Der liegt zurzeit bei 15,50 Euro pro Stunde brutto. Eine weitere Erhöhung folgt zum 1. Juli 2025.

Der Abschluss des sechsmonatigen Kurzbildungslehrgangs berechtigt auch zur anschließenden Weiterbildung zur Pflegefachkraft. Diese erhält mindestens 19,50 Euro pro Stunde brutto. „Die meisten Menschen, die in der Pflege arbeiten, werden aber deutlich über Mindestlohn bezahlt“, sagt Anke Hilck, Abteilungsleiterin Gesundheit-Pflege an der BBS III Stade.

Vorteile für Teilnehmer, Betriebe und Pflegebedürftige

Der Innovationslehrgang habe nicht nur Vorteile für die Teilnehmenden, sondern auch für die Betriebe und die Pflegebedürftigen. „Von der besseren Qualität profitieren alle“, so Hilck. Deshalb finanzieren auch viele Arbeitgeber den kostenlosen Lehrgang, indem sie das Arbeitsentgelt während der beiden wöchentlichen Schultage weiterzahlen und ihre Angestellten während der Zeit vom Dienst freistellen. Auch eine Förderung durch die Agentur für Arbeit ist möglich.

„Ich lerne hier noch ganz viel dazu und bin froh, dass ich mich endlich offiziell qualifizieren kann“, sagt Teilnehmerin Anke von Holten. Sie habe nicht mehr daran geglaubt, dass sie mit 55 die Chance auf einen Abschluss bekommen würde. Ihre Heimleitung vom Seniorenheim Klosterfeld in Himmelpforten habe sie auf den neuen Kursus aufmerksam gemacht. „Ich sehe vieles jetzt mit anderen Augen, kann auch die Bewohner noch besser verstehen“, sagt Anke von Holten.

Anke von Holten wollte schon immer Altenpflegerin werden, kam aber nur auf Umwegen zu ihrem heutigen Job.

Anke von Holten wollte schon immer Altenpflegerin werden, kam aber nur auf Umwegen zu ihrem heutigen Job. Foto: Stehr

Sie habe eigentlich schon immer gewusst, dass Pflegerin ihr Traumberuf ist, doch als sie ihren Schulabschluss machte, war sie noch nicht 18 und durfte keine Ausbildung in der Pflege anfangen. Anke von Holten wurde Hauswirtschafterin und Mutter, fing dann schließlich ungelernt als Hilfskraft in der Pflege an.

Späte Chance, sich zu qualifizieren

Ungelernt und unqualifiziert rutschte auch Ramona Eckhoff im Jahr 2019 in den Pflegeberuf. Die 44-Jährige, die früher als Metallschlosserin und in der Gebäudereinigung tätig war, fing bei einem ambulanten Pflegedienst in Buxtehude an, nachdem sie ihre Großmutter bis zu deren Tod betreut hatte. „In der Pflege zu arbeiten erfüllt mich, weil es ein herzlicher und dankbarer Beruf ist“, sagt Ramona Eckhoff. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sie sich nach einer sehr kurzen Einarbeitungszeit im Grunde alles selbst beibringen musste.

Ramona Eckhoff hat früher als Metallschlosserin und in der Gebäudereinigung gearbeitet.

Ramona Eckhoff hat früher als Metallschlosserin und in der Gebäudereinigung gearbeitet. Foto: Stehr

Dass sie jetzt plötzlich wieder die Schulbank drücken müssen, ist für viele Teilnehmenden des Kurzbildungslehrgangs Pflegeassistenz-Inno erst mal ungewohnt. Die meisten haben lange keine Schule mehr besucht. Das trifft auch auf Tanja Sternberg zu.

Tanja Sternberg ist gelernte Fotolaborantin.

Tanja Sternberg ist gelernte Fotolaborantin. Foto: Stehr

Die 51-jährige gelernte Fotolaborantin fing 2012, zwei Jahre nach der Geburt ihrer Tochter, als ungelernte Hilfskraft in der Klinik Dr. Hancken in Stade an. Ihr Chef ermutigte sie, einen Abschluss bei der BBS III zu machen. Wie ihre Mitstreiter freut sie sich riesig über diese späte Chance, sich endlich für den Job zu qualifizieren, den sie schon so lange ausübt.

Bundesweit einheitliche Pflegefachassistenzausbildung

Hintergrund: Insgesamt arbeiten in Deutschland 1,7 Millionen Pflegekräfte. 62 Prozent beziehungsweise 1,1 Millionen haben eine Pflegefachausbildung. 30 Prozent beziehungsweise 515.000 Beschäftigte sind Pflegehilfskräfte. Rund 343.000 von ihnen haben eine Ausbildung in einem Pflegehelfer- oder -assistenzberuf oder in einem anderen Beruf. Für den Pflegehelfer- beziehungsweise -assistenzberuf gibt es derzeit 27 unterschiedliche Ausbildungswege, die in den Ländern angeboten werden. Dabei unterscheiden sich die Ausbildungsdauer und die Ausbildungsinhalte erheblich. Um bürokratische Hürden abzubauen und Pflegeberufe attraktiver zu machen, ist derzeit auf Bundesebene die Einführung einer neuen, bundesweit einheitlichen Pflegefachassistenzausbildung ab 2027 in Arbeit.

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