TVom Wald- zum Stadtvogel: Einst lebte die Ringeltaube in Gehölzen
Die Ringeltaube kehrt dem Wald den Rücken und hat die Städte erobert. Foto: Hajo Schaffhäuser
Brehms Tierleben führte die Ringeltaube noch als Waldvogel. Gut 150 Jahre später hat sie die Städte erobert und ihren Bestand fast verzehnfacht. Sie ist eine echte Anpassungskünstlerin.
Landkreis. Ein kurzer Steckbrief: Groß, graublauer Rücken, weißgrau befiederter Bauch, an beiden Halsseiten ein weißer halbkreisförmiger Fleck. Deshalb der Name „Ringeltaube“. In Brehms Tierleben von 1867 ist zu lesen: „Sie ist ein echter Wald- und Baumvogel.“ Auch 1927 steht darin geschrieben: „Es scheint, dass sie den Nadelwald bevorzugt.“
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Noch in den 1950er Jahren brüteten Ringeltauben eher in Wäldern und in Feldgehölzen. Einige hunderttausend Vögel, so die Schätzungen, mögen es gewesen sein. Das änderte sich seit den 1960er Jahren. Die Bestände nahmen trotz Bejagung deutlich zu. Heute gibt es mindestens 2,5 Millionen Ringeltaubenpaare in Deutschland. Im Winter bilden sie große Schwärme mit Hunderten von Vögeln. Der Trend zur Ausbreitung nahm besonders seit etwa 1970 noch weiter zu. In Skandinavien wurden neue Brutgebiete erschlossen, in den Städten breiteten sie sich ebenfalls aus. Diese Entwicklung hatte unterschiedliche Gründe.
Nahrungsangebot und Landschaft hat sich gewandelt
Der Mensch: Die besiedelten Flächen haben sich in Europa ausgeweitet. Das Nahrungsangebot für Tauben auch: In Stadtparks sind ausreichend Eicheln, Bucheckern und Brotabfälle zu finden. Darauf sind manche Ringeltauben besonders spezialisiert. Ornithologen konnten belegen, dass das warme Stadtklima dazu führt, dass hier mehr Tauben überleben. Die Stadt bietet also einer Ringeltaube viel Gutes.
Zugleich hat sich die freie Landschaft verändert. Größere Felder, weniger Gehölze, große Schläge mit Monokulturen. Untersuchungen ergaben, dass sich mit der Vereinheitlichung der Landschaft die Tauben im Winter weitaus besser zu Schwärmen zusammenfinden können. Das Überleben in der Gruppe, so ließ sich nachweisen, gelingt Ringeltauben besser. Und auf großen, abgeernteten Getreideflächen oder frisch eingesätem Getreide finden Ringeltauben leicht einen gedeckten Tisch. Hier ist der Tauben-Treffpunkt. Auch Blättchen von Löwenzahn, Klee oder Rübe finden sich überall.
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Die Ringeltaube: Eine Ringeltauben-Ehe kann über einige Jahre halten, wenn das Paar erfolgreich Nachkommen hervorbringt. So haben sich allmählich die städtischen Anpassungskünstler von Jahr zu Jahr gut vermehren können. Denn wer in Stadtbäumen zwischen lärmenden Häuserschluchten, sogar im Bahnhof, mutig sein liederliches Nest baut, der hat gegenüber zurückhaltenden Taubenpaaren den Vorteil. Erfolgreich in Siedlungen sind die Tauben, die nicht schreckhaft sind und sich wenig fürchten.
Immer mehr Ringeltauben überwintern im Norden
Weitere Verhaltensänderungen führten zum Ringeltauben-Boom: Im Verlauf der immer wärmeren, schneearmen Winter wurde aus dem Zugvogel ein Standvogel, der in der kalten Jahreszeit hier gut im Schwarm überleben kann. Immer öfter bleiben Ringeltauben im Winter bei uns, beginnen früh mit dem Brüten und können nun anstatt früher einer Brut jetzt zwei Bruten durchführen. Augustbruten sind sehr erfolgreich. Dann sind Gärten und Felder ein wahres Schlaraffenland.
Die eintönig gewordene Landschaft führte zu einem veränderten Verhalten der Ringeltauben. Deshalb zählen sie zu Gewinnern. Doch für viele andere Vögel ging es in die andere Richtung, denn die monotone Agrarlandschaft bietet immer weniger Tieren einen Lebensraum. Es gibt weitaus mehr Verlierer.
Serie und Buch
Was kreucht und fleucht in der Region? Wolfgang Kurtze, Vorsitzender der Lions-Naturschutz-Stiftung, schreibt über Phänomene und Kuriositäten in der Natur. Das TAGEBLATT veröffentlicht die Artikel des promovierten Biologen in loser Reihenfolge. Die erfolgreiche TAGEBLATT-Serie „Phänomene der Natur“ rückt kurzweilig Wissenswertes aus der Natur in den Mittelpunkt. Der zweite, reich illustrierte und in Jahreszeiten gegliederte Band von Wolfgang Kurtze ist für 19,90 Euro im Buchhandel erhältlich. Herausgeber ist die Lions Stiftung Stade zur Förderung des Natur- und Umweltschutzes.