TVon Rivalen zu Partnern – Wie sich der Jugendfußball verändert hat
Der JFV D/A & Stade mischt seit dieser Saison mit und will mit seinen Mannschaften so hoch wie möglich spielen. Dafür braucht es Talente und die Konkurrenz fürchtet Abwerbungen. Foto: Struwe
Aus Derbyfieber wurde Zusammenarbeit: Warum sich Vereine zusammenschließen müssen, welche Herausforderungen es gibt und wie Eltern und Profiklubs das Geschehen mitprägen.
Landkreis. Es war für einstige Jugendgenerationen das wichtigste Spiel der Saison: das Derby zwischen Nachbarvereinen wie Bützfleth und Assel, VfL Stade gegen Güldenstern oder Hedendorf gegen Immenbeck. In der Startelf zu stehen und dann auch noch zu gewinnen – das war das Größte. Selbstbewusst ging es für Wochen in die Schule und auf Partys.
Das ist Jahre oder sogar Jahrzehnte her. Aus den Gegnern von einst sind Kameraden geworden. Die Vereine gibt es nicht mehr – oder an ihre Stelle sind neue Vereinigungen getreten: JFV A/O/B/H/H, JSG Geest, JSG Niederelbe oder JSG Nord, um nur einige zu nennen. Doch was steckt hinter diesem Buchstabensalat? Und warum gibt es kaum noch Jugendmannschaften in kleinen Ortschaften?
Ehrenamt: Der Butty Cup in Agathenburg ist mittlerweile ein Highlight in der Saisonvorbereitung in den Juniorenklassen im Landkreis Stade. Foto: SV Agathenburg/Dollern (nomo)
Eine Jugendspielgemeinschaft (JSG) wird gegründet, um Kräfte und Ressourcen mehrerer Vereine zu bündeln. So können Mannschaften auch in Altersklassen bestehen, in denen ein einzelner Verein zu wenige Spieler hätte. Durch die Kooperation entsteht eine breitere Basis für die Nachwuchsförderung und bessere Trainings- und Spielmöglichkeiten.
Im Gegensatz dazu sind Jugendfördervereine (JFV) laut Niedersächsischem Fußballverband (NFV) eigenständige Vereine mit eigener Satzung, Vorstand und Eintragung im Vereinsregister. Sie konzentrieren sich ausschließlich auf den Jugendfußball. Die Stammvereine führen meist nur noch Herren- oder Altherrenmannschaften.
Warum sich Vereine zusammenschließen mussten
„Wir haben uns vor zehn Jahren dazu entschlossen, in eine Spielgemeinschaft zu gehen, um Jahrgangsmannschaften weiterhin zu besetzen. Das Problem ist ja, dass man immer weniger Kinder jahrgangsweise in einem Verein bekommen hat“, sagt Frank Sandmann-Litfin, Jugendobmann des Deinster SV. Sein Verein ist Teil der JSG Geest, in der der FC Mulsum/Kutenholz, Schwinger SC sowie der Deinster SV gemeinsam ihre Nachwuchskicker fördern.
Fußball-Regionalliga
T Ist D/A bereit für die 3. Liga? So arbeitet der Club am Aufstieg
Seit etwa 15 Jahren erfolgt im NFV die Konzentration in U-Mannschaften auf einen Jahrgang. „Das ist eine gewollte künstliche Verknappung“, erläutert Sandmann-Litfin, der selbst in der Bezirksliga spielte, Schiedsrichter ist und als Torwarttrainer in Hammah arbeitet. Dort steht sein ältester Sohn im Tor der Herrenmannschaft.
„Der Vorteil der Jahrgangsmannschaften ist für die kleineren Vereine, dass sie ihr Spielrecht bei Aufstieg in eine höhere Liga im Bezirk Lüneburg mitnehmen“, erläuterte der Vorsitzende des Kreisjugendausschusses Frank von Bargen die Gründe für die Regelung. Als Beispiel nannte der erfahrene Kreisfunktionär die JSG Niederelbe.
Die U15 sei aufgestiegen, habe ihr Spielrecht für die Bezirksliga in die U16 mitgenommen, dort wieder wacker geschlagen und sich für die Landesliga qualifiziert. „Dort spielen sie jetzt in der U17-Landesliga, weil sie in dem Jahrgang recht gute Fußballer haben“, erklärte von Bargen. In anderen Jahrgängen sei die JSG Niederelbe im Bezirk eher ein No Name mit weniger guten Akteuren.
Aufwand ist kaum noch ehrenamtlich zu stemmen
„In Bayern spielen 48 Prozent der Kinder von sechs bis 18 Jahren Fußball. Eine beeindruckende Zahl. Aber die Hälfte davon hört ab der C- und B-Jugend wieder auf, weil andere Interessen in den Vordergrund rücken. Das Phänomen haben wir in Niedersachsen und im Bezirk Lüneburg gleichermaßen“, so der Drochterser Frank von Bargen. Es sei denn, man habe hochqualifizierte Fußballer oder Akteure, die mit Herzblut ihrem Hobby Fußball nachgehen. Die seien meistens weiter heiß dabei und spielten auch.
Ein Leben für den Fußball. Das gibt es noch, vor allem auf dem Land. Doch es braucht neben den Jugendlichen auch mehr Engagement im Ehrenamt, weiß nicht nur Alexander Krause, Vorsitzender des JFV Buxtehude. Mit 500 Kindern in mehr als 30 Mannschaften und rund 70 Trainern und Betreuern sei der Verein fast wie ein mittelständischer Betrieb. „Das ist schon ein enormer Aufwand, den man kaum noch ehrenamtlich betreiben kann“, gibt Krause zu bedenken.
Ein Netzwerk für Talente: Zusammenarbeit und Förderung
Die fünf Großbuchstaben A/O/B/H/H stehen für SV Ahlerstedt/Ottendorf, TuS Eiche Bargstedt, TuS Harsefeld und Heeslinger SC. „Die Orte liegen in einem Dreieck. Zu jedem Ort sind es sieben Kilometer. Heeslingen gehört ab der U13 im leistungsbezogenen Fußball dazu. Davon haben wir sechs Mannschaften. Die anderen 37 Teams sind Breitensport“, erklärt Tanja Schroten, sportliche Leiterin des JFV. Rund 800 Kinder werden dort von etwa 100 Übungsleitern im Ehrenamt betreut, was überhaupt nicht selbstverständlich ist.

Der JFV A/O/B/H/H ist seit Jahren das Aushängeschild in der Region. Die U19, hier gegen die Stuttgarter Kickers, spielte in diesem Jahr zwei Runden im DFB-Pokal. Foto: Struwe
Weiterhin besteht mit Werder Bremen eine Kooperation, die sich auch in den Breitensport verlagert. Werder organisiert zum Beispiel jedes Jahr ein Kleinfeld-Festival für die kleinsten Jungen und Mädchen im Kreis. Gleichzeitig wird über den NFV-Kreis Stade die Kitzausbildung (Kindertrainer Zertifikat) angeboten.
Die Bemühungen um Talente in der Region fanden ihren geregelten Niederschlag in den Statuten. So gibt es seit 2021 den Paragrafen 4 der Jugendordnung. Demnach muss der Heimatverein über die Einladung zum Probetraining informiert werden. Was in den meisten Fällen wohl auch funktioniert.
Wettkampf um Talente beginnt schon früh
Alexander Krause lobt die Arbeit der Konkurrenz aus der Samtgemeinde Harsefeld: „Eine sehr gute Arbeit. So weit sind wir noch nicht – aber da wollen wir hin!“
Doch nicht alle Jugendobleute im Kreis Stade sehen die zunehmende Konkurrenz positiv. Der Wettstreit um die besten Nachwuchsspieler beginnt inzwischen oft schon vor der U14, berichtet Jürgen Dierken von der JSG Niederelbe (VfL Horneburg, VSV Hedendorf/Neukloster, FSV Bliedersdorf-Nottensdorf). „Die Eltern möchten, weil ihr Kind so gut ist, auch, dass es hier oder dort höher spielt“, erzählt Dierken.
Zwischen Ehrgeiz, Eltern und Ehrenamt
Sein Kollege Sandmann-Litfin sieht ein weiteres Problem: Je älter die Kinder werden, desto geringer werde die Bereitschaft, sich durchzubeißen. „Nach draußen gehen, zweimal trainieren, sich einem Spielplan unterwerfen am Wochenende – das ist nicht mehr so da. Hinzu kommt, dass einige Eltern ihre Kinder nur abgeben, um Quality Time für sich zu haben. Dann kommen Absagen per WhatsApp zehn Minuten vor dem Spiel. Oder der Junge kann nicht spielen, weil er Mama- beziehungsweise Papa-Wochenende hat.“
David Szcudlo von der JSG Dollern/Hagen ergänzt: „Wir sollen sie sozial auf das Leben vorbereiten. Viele müssen lernen zu verlieren und wieder aufzustehen. Die Eltern haben aber Angst, dass sich ihre Kinder verletzen könnten, weil ihnen jemand auf die Füße tritt. Viel mehr als die Kinder selbst.“
„Vollkasko- oder Fitnessstudio-Mentalität“ nennt es ein Gesprächspartner. Die Anspruchshaltung sei hoch: „Ich will alles!“ Tolle Sportanlage, Top-Trainer, niedrige Beiträge. Doch sobald man durch das Drehkreuz geht, „widmet man sich dem wirklichen Leben“. Das einst so typische Gemeinschaftsgefühl im Fußball drohe verloren zu gehen.
Trotzdem: Viele engagieren sich weiterhin
Jugendtrainer arbeiten unentgeltlich, bekommen ihre Ausbildung vom Verein finanziert oder eine kleine Aufwandsentschädigung. „Eure Bezahlung ist das Leuchten in den Kinderaugen, wenn sie gespielt und das erste Tor geschossen haben“, sagt Sandmann-Litfin.
Was bleibt, sind Wünsche der Verantwortlichen: keine Winterwechsel, weniger Bürokratie, mehr Trainer und professionellere Vereinsstrukturen – bis hin zu besserem Sponsoring. Denn Jugendfußball lebt vom Einsatz vieler, die sich trotz aller Herausforderungen dem Nachwuchs verschrieben haben.
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