Zähl Pixel
Tag der Arbeit

T1. Mai: Wofür Betriebsräte aktuell kämpfen

Zwei Betriebsratsvorsitzende, eine Gewerkschaft: Oliver Elsen von AOS und Jonas von Holt von Olin mit Fahnen (Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE).

Zwei Betriebsratsvorsitzende, eine Gewerkschaft: Oliver Elsen von AOS und Jonas von Holt von Olin mit Fahnen (Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE). Foto: Anping Richter

Als der 1. Mai zum Tag der Arbeit wurde, gab es Hungerlöhne und 70-Stunden-Wochen. Heute hat der Arbeitskampf neue Ziele. Warum viel auf dem Spiel steht, erklären Betriebsratsvorsitzende von Airbus, AOS, Dow, Olin, Trinseo, DRK und Elbe Kliniken.

author
Von Anping Richter
Mittwoch, 01.05.2024, 12:30 Uhr

Landkreis. Sie könnte überall Wahlkampf machen. Aber Katarina Barley, Europa-Spitzenkandidatin der SPD, kommt zur Maikundgebung nach Stade. Es gibt gute Gründe dafür, gerade hier die Sache der Arbeiter hochzuhalten. Einer davon ist, dass die Konjunkturkrise der Chemieindustrie zu schaffen macht. Der Firma Trinseo droht das Aus.

Noch vor Katarina Barley wird deshalb Bernd Guse, der Betriebsratsvorsitzende von Trinseo in Bützfleth, bei der Kundgebung auf dem Platz am Sande ab 11 Uhr das Wort haben. Die knapp 90 Mitarbeiter kämpfen um ihre Arbeitsplätze, weil der Konzern den Standort, an dem bisher Polycarbonat produziert wird, schließen will.

Wehmütige Erinnerung an goldene Zeiten im Chemiepark

Früher wurde der Chemiepark von einem Player bestimmt, der als Garant für gute, sichere Arbeitsplätze galt: Dow. Auch Bernd Guse hat dort ab 1988 seine Ausbildung zum Chemikanten und später in der Abendschule den Meister gemacht. Als sie für vier Prozent mehr Lohn kämpften, verkündete der damalige Werksleiter Bernhard Brümmer: „Ich gebe Euch fünf!“ Klar, dass die Motivation, in die Gewerkschaft einzutreten, gering war.

Bernd Guse, Betriebsratsvorsitzender von Trinseo.

Bernd Guse, Betriebsratsvorsitzender von Trinseo. Foto: privat

Das sollte sich ändern, als Dow 2011 einen Teil seiner Produktion an Styron (später Trinseo) verkaufte - mitsamt den Mitarbeitern. „Für die Übergangszeit gab es eine Betriebsvereinbarung, aber was dann? Da war eine Riesen-Unsicherheit“, berichtet Guse. Viele traten in die Gewerkschaft ein, auch er. Heute ist die Situation ähnlich. Nur findet sich kein Käufer.

Die Betriebsratsvorsitzenden im Chemie-Park, unterstützt von der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE), haben sich jetzt in einer ungewöhnlichen Initiative zusammengetan. „Wir sind solidarisch mit den Kollegen von Trinseo, schließlich hängen wir in Außenwirkung und auch in der Infrastruktur voneinander ab“, sagt Christian Deppe, Betriebsratsvorsitzender der Dow mit 1100 Mitarbeitern.

Christian Deppe, Betriebsrat Dow.

Christian Deppe, Betriebsrat Dow. Foto: Privat

Mit den Kollegen von Trinseo, Olin und AOS haben sie ein Konzept entwickelt, um den Standort zu stärken und die Arbeitsplätze zu sichern. Daraus sei auch eine politische Initiative entstanden, sagt Deppe. Anfang des Jahres stellten sie das Konzept Wirtschaftsminister Olaf Lies vor, als der zum ersten Rammschlag des neuen LNG-Terminals kam. „Ein cooler Typ, konkret, sachlich, von Haus aus Elektrotechnik-Ingenieur“, sagt Guse, der auf Einladung von Lies vor zehn Tagen mit seinen Kollegen im Ministerium in Hannover zu Besuch war.

Betriebsräte von Dow, Trinseo, Olin und AOS als Standort-Lobby

Für Trinseo stellen die Betriebsräte sich eine Umwandlung in eine Kunststoff-Recycling-Anlage vor. Der Konzern plane so etwas ohnehin. Lies hat versprochen, sich dafür einzusetzen. „Zum ersten Mal erfahre ich an meiner eigenen Person, was Solidarität wirklich bedeutet“, sagt Bernd Guse. Auch für die Gewerkschaft hat er viel Lob: „Das ist wirklich oberste Schublade, was die gerade abliefern.“

Wenn die Bahn nicht fährt, das Flugzeug nicht fliegt, die Kita nicht öffnet, geben viele der Gewerkschaft die Schuld, sagt der 28-jährige Olin-Betriebsratsvorsitzende Jonas von Holt. Aber: „Die Gewerkschaft ist kein Dienstleistungsunternehmen, sondern eine Mitgliederorganisation.“

Errungenschaften wie 40-Stunden-Woche, Mutterschutz, Elternzeit seien nicht selbstverständlich. Olin habe keinen Tarifvertrag. Die Löhne richten sich nach dem Markt und liegen recht nah am Tariflohn. Trotzdem sieht von Holt den Tarif für Olin mit seinen 400 Mitarbeitern als Ziel: „Dann bestimmen wir, wie die Lohnerhöhung aussieht.“

Die aktuelle Tarifrunde sei allerdings ein Drahtseilakt, die chemische Industrie habe zu kämpfen. „Ach was, die Klage ist der Gruß des Kaufmanns“, sagt der AOS-Betriebsratsvorsitzende Oliver Elsen. Energie, Rohstoffe und Personal seien die Haupt-Kostenfaktoren, aber der Personal-Anteil sei angesichts der Steigerungen bei den anderen beiden stark gefallen.

AOS ist seit 1973 ununterbrochen tarifgebunden

Die Arbeitslöhne müssten sich den Preissteigerungen annähern, sagt Elsen. Auch, damit die Arbeitsplätze angesichts des Fachkräftemangels attraktiv bleiben. AOS ist seit 1973 tarifgebunden. Seit 2000 gibt es für die 510 Mitarbeiter die Möglichkeit, zwischen einer 35-, 37,5- oder 40-Stunden-Woche zu wählen. 75 Prozent der Belegschaft sind in der Gewerkschaft. Bei Dow sind es etwa 40 Prozent, bei Olin um die 50 Prozent, bei Trinseo etwa 75 Prozent.

Im Airbus-Werk Stade liegt der gewerkschaftliche Organisationsgrad bei mehr als 50 Prozent. „Top. Wir sind absolut arbeitskampffähig“, sagt Tamer Yüksel. Seit er in Stade Betriebsratsvorsitzender sei, kämen sie bei den Azubis sogar auf fast 100 Prozent. Yüksel, am Fischmarkt aufgewachsen, ging schon als Kind an der Hand seines Vaters zur Maikundgebung. Sein Vater war in der IG Metall, er war Schweißer und Schlosser bei der Sietas-Werft in Cranz.

Tamer Yüksel, Betriebsratsvorsitzender bei Airbus Stade.

Tamer Yüksel, Betriebsratsvorsitzender bei Airbus Stade. Foto: privat

Airbus-Betriebsrat hofft auf Wasserstofftechnologie

Yüksel ist Verfahrensmechaniker für Kunststofftechnik. Für den Ausbildungsplatz bei Airbus verzichtete er auf das Abitur und machte den Meister in der Abendschule. „Ich habe es nicht bereut“, sagt er. Der Tarifvertrag mit der IG Metall gilt bis 2030. Als aktuell wichtigste Ziele sieht Yüksel, die Beschäftigung auszubauen und Arbeitspakete nach Stade zu holen. Er hofft auf Entwicklungen im benachbarten CFK-Valley und bei der Wasserstofftechnologie.

Ein Transformationsprozess steht auch bei den Krankenhäusern an. Kai Holm, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Elbe-Kliniken, denkt, dass Lauterbachs Vorschläge funktionieren werden - „wenn sie in fünf Jahren umgesetzt sind“. Doch die Umstellung brauche eine Anschubfinanzierung. „Sonst geht unstrukturiert etwas kaputt.“

Kai Holm, Betriebsratsvorsitzender der Elbe-Kliniken.

Kai Holm, Betriebsratsvorsitzender der Elbe-Kliniken. Foto: Anping Richter

Wegen Personalmangel 100 von 550 Betten gesperrt

Als größtes Problem sieht er den Fachkräftemangel. Die Krankheitsstände steigen: Vor Corona lagen sie laut Holm bei 4 bis 6 Prozent, in Corona-Zeiten bei mehr als 20 Prozent, heute seien sie immer noch zweistellig. Anfang des Jahres seien in Stade 100 von 550 Betten gesperrt gewesen, in Buxtehude 50 von 250. Die Frage sei, wie es gelingen könne, das vorhandene Personal nicht zu überlasten.

Gewerkschaftlich organisiert sind im Gesundheitswesen nur wenige, bedauert Kai Holm. Das bestätigt Robin Millner, Konzernbetriebsrat beim DRK-Kreisverband Stade. Für ihn selbst war die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft selbstverständlich: „So sehr, dass ich anfangs gar nicht wusste, dass man extra eintreten muss.“ Millner ist im Ruhrgebiet aufgewachsen, sein Großvater war Kohlekumpel, der Vater Schlosser: „Da stand man anders zur Arbeit.“

Robin Millner, Konzernbetriebsrat des DRK Kreisverbands Stade.

Robin Millner, Konzernbetriebsrat des DRK Kreisverbands Stade. Foto: privat

In der Pflege seien die Löhne so lange so niedrig geblieben, dass der Gesetzgeber sich mit dem Tariftreuegesetz am Ende etwas ausdenken musste. „Mit Arbeitskampf wäre das anders gelaufen“, sagt Millner. Als Betriebsrat ist er froh, mit Verdi die Arbeitszeit im niedersächsischen Rettungsdienst zur Sprache zu bringen: „Wir arbeiten 44 Stunden pro Woche, bekommen aber nur 38,5 bezahlt.“ 5,5 Stunden Bereitschaftszeiten werden nicht bezahlt.

Nina Witting kämpft für besseren Ruf der Pflege

„Wenn ich am 1. Mai für etwas kämpfe, dann für einen besseren Ruf der Pflege in Deutschland“, sagt Nina Witting, Betriebsratsvorsitzende der DRK-Seniorenheime in Buxtehude, Stade und Harsefeld. Wie berichtet, müssen Pflegeheime bei zu geringem Personalschlüssel die Belegung reduzieren und können kaum noch kostendeckend arbeiten. Der Personalmangel mache die Häuser kaputt, sagt Witting. Dabei sei der Verdienst in Ordnung. Für sie sei die Pflege nach 17 Jahren immer noch ein Beruf, bei dem sie jeden Tag mit Stolz in den Spiegel schauen könne.

Nina Witting, Betriebsratsvorsitzende der DRK-Seniorenheime im Landkreis Stade.

Nina Witting, Betriebsratsvorsitzende der DRK-Seniorenheime im Landkreis Stade. Foto: privat

Ein Beruf, bei dem man sich reflektieren müsse, der gute Ausbildung und fachgerechte Weiterbildung brauche. Dafür setzt sie sich als Betriebsrätin und Verdi-Mitglied ein. „Das DRK ist ein ordentlicher Arbeitgeber“, sagt Witting. Hier und da müssten Stellschrauben gedreht werden, „aber gemeinsam mit der Geschäftsführung kriegen wir das hin.“ Ihr Appell an die Kollegen in der Branche ist es, die Möglichkeiten zu nutzen, die eine Gewerkschaftsmitgliedschaft bietet - von der Steuerberatung bis zur Arbeitsrechtsschutzversicherung. Ihr Appell an die Gesellschaft: „Holt unseren Berufsstand aus dem Schatten. Denn wenn es Euch schlecht geht, braucht ihr uns.“

Das Programm am 1. Mai

Die Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbunds zum 1. Mai steigt zum ersten Mal auf dem Platz am Sande in Stade. Um zehn Uhr sind die Stände, ein Imbiss und eine Hüpfburg aufgebaut. Bernd Freydanck und Christian Stross begleiten die Kundgebung mit jazziger Musik, Harald Winter mit Arbeiterliedern. Der DGB-Kreisvorsitzende Wilfried Behrendt begrüßt Publikum und Redner ab 11 Uhr. Nach dem Grußwort des Bürgermeisters sprchen Bernd Guse und Katarina Barley.

Weitere Artikel